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In 4 Blocks zeigt Marvin Kren eindrucksvoll, wie deutsche Serien auch sein können: Spannend, authentisch und mit seltenen Einsichten in urbane Milieus, wie man sie so spannend und faszinierend nur selten sieht.

4 Blocks (Staffel 1) (2017)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Pate wider Willen

Dass deutsche Serien derzeit eine echte Hype-Phase erleben, kann man gerade schön an dem medialen Widerhall sehen, den Baran Bo Odars Netflix-Produktion Dark für sich verbuchen kann. Dabei gerät aber – auch typisch für die hiesige Medienlandschaft – 4 Blocks etwas in den Hintergrund, eine Serie, die gerade ihre Free-TV-Premiere feiert und das Zeug dazu hat, dem Mystery-Format in Sachen Originalität und Schlagkraft den Rang abzulaufen.

Die titelgebenden vier Blocks im Berliner Stadtteil Neukölln zwischen Sonnenallee und Hermannstraße sind das Gebiet des libanesischen Hamady-Clans; hier beherrschen sie nahezu alle Facetten des Gelderwerbs – von Schutzgelderpressung über Drogenhandel bis hin zum einträglichen Geschäft mit den Glücksspielautomaten, die aus keiner Kneipe der Gegend dort wegzudenken sind. Als Latif (Wasiem Taha aka Massiv) mit etlichen Kilo Kokain von der Polizei geschnappt wird, muss dessen Schwager Ali „Toni“ Hamady (Kida Khodr Ramadan) die Geschäfte der Familie übernehmen – dies geschieht allerdings eher widerwillig, denn eigentlich sehnt sich Toni nach Ruhe und sauberem Business. Zumal ihm und seiner Frau Kalila (Maryam Zaree) nun nach 26 Jahren der Duldung endlich die unbefristete Aufenthaltserlaubnis und damit der deutsche Pass winken. Als dann aber nach Ibrahims Inhaftierung der Fortgang der Geschäfte bedroht ist, fühlt sich Toni in der Pflicht – sein jüngerer Bruder Abbas (Veysel Gelin) ist zu hitzig und auch ein wenig zu schlicht gestrickt, um als kühler Kopf die Geschicke im Haifischbecken der organisierten Kriminalität zu führen. Denn die Rockerbande der Ctulhus (benannt nach einem Wesen aus dem Werk H.P. Lovecrafts), die unter der Führung von „Ruffi“ (Roland Zehrfeld) auf den Markt drängen, wollen den Hamadys nicht nur das Drogengeschäft im Görlitzer Park streitig machen.

Dann taucht plötzlich Vince (Frederick Lau) auf, ein enger Freund Tonis von früher, der 15 Jahre lang von der Bildfläche verschwunden war, kaum Auskunft darüber geben mag, was er in der Zwischenzeit gemacht hat, und plötzlich wieder die Nähe seines alten Freundes sucht. Schnell ahnt man, dass dahinter vielleicht etwas anderes stecken könnte. Aber Vince ist keineswegs der einzige, der ein doppeltes Spiel treibt. Es beginnt ein Krieg, in dessen Verlauf die Fronten und die Grenzen zwischen Freund und Feind immer mehr verschwimmen …

Dass 4 Blocks über die Dauer von sechs Folgen und von Beginn an einen Sog entstehen lässt, dem man kaum widerstehen kann, liegt an vielen Faktoren und an etlichen liebevollen kleinen Details, die zeigen, wie serielles Storytelling heutzutage funktioniert. Dem Regisseur Marvin Kren (Rammbock, Blutgletscher) sowie seinen Autoren Richard Kropf, Bon Konrad und Hanno Hackford (You Are Wanted) gelingt es überaus stimmig, eine Vielzahl von Charakteren derart einzuführen und zu begleiten, dass man sich trotz wenig Backgroundinfos sofort vertraut mit ihnen fühlt, dass man meint zu wissen oder zumindest zu spüren, was sie im Innersten antreibt, dass man um ihre schwachen Punkte, ihre Bruchstellen, ihre Narben aus der Vergangenheit weiß – und dass man dennoch oder genau deshalb mit ihnen mitfiebert. Auch wenn man ganz genau weiß, dass sie gerade wieder einmal dabei sind, die falsche Entscheidung zu treffen.

4 Blocks ist aber nicht nur eine Serie im Hier und Jetzt von Neukölln. Was der Serie zugleich gelingt, ist das Öffnen von vielfältigen Resonanzräumen verschiedener Couleur: Sie funktioniert als gelungene Beschreibung soziologischer Milieus und Subkulturen, von denen wir sonst nur in der Zeitung lesen, als präzise Beschreibung eines Bruderkonflikts, als Erzählung über Mentalitäten (oder „neudeutsch“ Mindsets) und Begrifflichkeiten von sonst oftmals nur hohlen Worthülsen wie „Ehre“, „Vertrauen“, „Loyalität“ und „Verrat“. Und als psychosoziale Feldstudie über die Lebenswelten junger und älterer Migrant*innen in urbanen Milieus, ihren ganz spießbürgerlichen Träumen von einem Leben als braver Unternehmer und den Hindernissen, die sich auf dem Weg dahin vor ihnen aufbauen. Nicht zuletzt fungiert 4 Blocks auch als Metaerzählung über andere filmische und serielle Schöpfungen der Film und Fernsehgeschichte, aus deren reichen Fundus sich Kren und seine Autoren bedienen, ohne dabei plumpe Plagiatoren zu werden. Man denkt – natürlich – an Coppola (Der Pate) und Scorsese (Mean Streets — Hexenkessel), an Brian De Palmas Scarface, an die Sopranos und neuere Werke italienischer Provenienz, die sowohl als Film wie auch als Serie funktionierten (Gomorrha und Suburra).

Trotz dieser gekonnten Anleihen, die analog zu den immer wieder im Soundtrack aufscheinenden harten HipHop-Tracks viel eher wie Samples denn als Zitate oder gar Plagiate erscheinen, präsentiert sich 4 Blocks wie aus einem Guss, wirkt niemals generisch, sondern atmet immer Street Credibility, beinharte Authentizität, Gewitztheit und Mut, wie man ihn sonst in deutschen Fernsehredaktionsstuben kaum mehr vorfindet. Durch die Bank herausragend besetzt (wie gut, das merkt an den vielen Nebenfiguren wie etwa dem schmalbrüstigen Kleinganoven Zeki und seinem dealenden Kumpel oder an Ludwig Trepte, den man als irren Ctulhu kaum erkennt), schafft 4 Blocks den Spagat zwischen Spannung und Tiefe, Rauheit und Momenten großer Zärtlichkeit, Sympathie für überaus ambivalente Charaktere und setzt damit in der im Aufbruch befindlichen deutschen Serienlandschaft neue Maßstäbe – und hat auch das Zeug dafür, international für Furore zu sorgen.
 

4 Blocks (Staffel 1) (2017)

Dass deutsche Serien derzeit eine echte Hype-Phase erleben, kann man gerade schön an dem medialen Widerhall sehen, den Baran Bo Odars Netflix-Produktion „Dark“ für sich verbuchen kann. Dabei gerät aber – auch typisch für die hiesige Medienlandschaft – „4 Blocks“ etwas in den Hintergrund, eine Serie, die gerade ihre Free-TV-Premiere feiert und das Zeug dazu hat, dem Mystery-Format in Sachen Originalität und Schlagkraft den Rang abzulaufen.

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