12 Years a Slave (2013)

Eine Filmkritik von Stephan Langer

"My name is Solomon Northup, I'm a free man"

Die Presse war und ist voll von ihm, ja, alle haben auf ihn gewartet, just hat er nun auch den Golden Globe für den besten Film bekommen – oftmals ja Wegweiser für die Oscarverleihung: 12 Years a Slave, der neue Film von Steve McQueen, diesmal eine bewegende, episch erzählte und visuell beeindruckende Literaturverfilmung. Der gebildete Afro-Amerikaner Solomon Northup (Chiwetel Ejiofor ) lebt ein einfaches aber glückliches Leben als freier Mann im Staate New York Mitte des 19. Jahrhunderts. Als zwei ihm unbekannte Männer den virtuosen Geigenspieler für einen Auftritt engagieren und danach noch auf einen Drink einladen, hegt er keinerlei Misstrauen. Umso kafkaesker ist dann der nächste Morgen, als er sich in einem Kerker wiederfindet, in Ketten gelegt, fertig für den Transport auf einem Sklavenschiff in Richtung Louisiana. Die Kamera präsentiert ihn als das Objekt, zu dem er gemacht wurde: ein einzelner Scheinwerfer ist auf ihn gerichtet, sonst gibt es keine Beleuchtung, die Perspektive ist von oben herab. Er wurde verkauft und muss in Zukunft unter unmenschlichsten Bedingungen als Sklave schuften. Das eindringliche Drehbuch (John Ridley) basiert auf der realen, schier unglaublichen Lebensgeschichte des Solomon Northup, der sie damals nach seinen Erlebnissen biographisch niederschrieb.

Bemerkenswert ist zunächst, dass McQueen inszeniert, wie ein bürgerlicher Afro-Amerikaner innerhalb Nordamerikas aufgrund seiner Hautfarbe zur Ware degradiert und versklavt wird und nicht etwa wie (in anderen Filmen) üblich diejenigen dafür verwendet werden, die mit den Schiffen aus Afrika im Land ankommen. Nein, geldgierige Künstlerkollegen locken Northup in einen fiesen Hinterhalt, aus dem er sich erst zwölf Jahre später mit irreparablen psychologischen Schäden wieder befreien kann, ironischerweise mit Hilfe des weißen, politisch aktiven Zimmermanns Bass (Brad Pitt). Während seiner Zeit als Unterjochter ist Northup von seiner Umwelt reduziert auf die Arbeitskraft seines Körpers, auf sich selbst als Masse Mensch, auf sein „nacktes Leben“. Zu Beginn versucht er noch, das aus seiner Sicht offensichtlich vorliegende Missverständnis aufzuklären, indem er entgegnet: „My name is Solomon Northup, I’m a free man, and you have no right whatsoever to detain me!“ Darauf folgt die lapidare Antwort: „You’re nuthin but a Georgia runaway.“ Northup stammt gar nicht aus Georgia, sondern aus New York, aber das interessiert niemanden. Wer er wirklich ist (oder war), spielt keine Rolle mehr. Geige spielende und lesende bzw. schreiben könnende Afro-Amerikaner existieren in den verblendeten Augen der allermeisten Weißen nicht, deswegen rät ihm ein Mitgefangener, diese Dinge besser für sich zu behalten, falls er überleben möchte. Später wird er sogar seiner Identität beraubt: er bekommt von einem Menschenhändler einen neuen Namen: Platt Hamilton. Abgesehen davon, dass dieser Name nichts mit ihm als Person zu tun hat, dient er auch nur als Rufname, als eine Art identifizierendes Unterscheidungsmerkmal zu den anderen und als Rufhilfe, er könnte genauso gut eine Nummer sein.

12 Years a Slave ist stellenweise sehr rabiat, indem was er zeigt. Und das ist auch sehr gut so, hat man selten zuvor (außerhalb vielleicht des Exploitation-Kinos) einen solch drastischen Film zu diesem Thema gesehen, der konsequent aus der Perspektive eines Misshandelten erzählt. Trotzdem macht McQueen nicht den Fehler, die Unterlegenen einzig als bemitleidenswert darzustellen, sondern eröffnet mit seinem Film einen schmerzhaft-glaubwürdigen Raum, in dem jeder nur sich selbst der Nächste ist. Jeder versucht nur für sich selbst zu sorgen, sprich: sich wegzuducken und zu überleben. In einer der Schlüsselszenen des Films, einer minutenlangen Einstellung (gefühlt ist sie um ein Vielfaches länger), hängt Northup an einem Ast, geradeso auf Zehenspitzen stehend, vor Schmerzen stöhnend und kämpft mit der Bewusstlosigkeit – inmitten der Wohnhütten der anderen Sklaven. Diejenigen, die ihn dort erhängt haben, sind längst aus dem Bild verschwunden. Langsam und vorsichtig kommen die Sklavinnen wieder aus den Hütten hervor (vorher, bei der Misshandlung, die dem Hängen vorausging, sind alle langsam in ihre Hütten ausgewichen). Jeder beginnt, in dieser gespenstischen Szenerie seinen vorher unterbrochenen Arbeiten nachzugehen, keiner schaut hin, keiner hilft ihm. Alle sind durch und durch bestimmt vom Überlebensinstinkt und der damit verknüpften Angst vor dem Tod, der unter jedem Stein, hinter jeder Laune des Plantagenbesitzers lauert. Ohne dialogisches Erklären wird in diesem Kontext auf ungeheuerliche Weise gezeigt, in welcher gesellschaftlichen und persönlichen Stellung sich hier Menschen zueinander befinden.

Die Ästhetik der langen Einstellungen kennt man als stilistisches Mittel von McQueen bereits aus Hunger und Shame. Sie etablieren ein langsames Tempo und sorgen für eine maximale Wirkung des Bebilderten, in diesem Falle des durch Menschen hervorgerufenen Elends. Es gibt einige weitere solcher Szenen im Film, die dramaturgisch stets gekonnt zugespitzt sind. An keiner Stelle jedoch wird die Darstellung von Gewalt zum Fetisch: die Szenen (wie zum Beispiel auch die Nacktszenen bei einer Verkaufsveranstaltung der Sklaven) bieten keinerlei ambivalenten, interpretatorischen Freiraum, sie sind unmissverständlich direkt. Die Tableaus sind wunderbar fotografiert (Kamera: Sean Bobbitt), die Kostüme von Patricia Norris und vor allem die Musik von Hans Zimmer versetzen einen eben in diesen südstaatlichen Raum: die Tonspur ist erfüllt von dunklem Donnergrollen, Windgeräuschen, dem Zirpen der Grillen in den trockenen Wiesen, spirituellen Gesängen, immer wieder den Hammerschlägen, die beim Aufbau von Häusern oder Scheunen Nägel ins Holz jagen, Peitschenhieben, die auf Körper treffen. Der Sound untermalt die Emotionalität der Geschichte, verleiht dem ländlich-düsteren Süden dieser Zeit ein klangvolles Lokalkolorit, ohne in Kitsch abzugleiten. Lediglich das Digitale der Bilder „stört“ dabei ein wenig – eine 35mm-Kamera (oder gar 70mm) wäre vielleicht die bessere Wahl gewesen – doch das erscheint gegen die Wucht und Fülle des Films auf anderen Ebenen fast wie ein Detail am Rande. Apropos Lokalkolorit: es ist unbedingt empfehlenswert, sich 12 Years a Slave im Original anzuschauen. Ja, ich würde noch weiter gehen: Synchronisation ist bei diesem Fall fast schon eine Sünde. Dem durchweg hervorragend besetzten und spielenden Ensemble beim Südstaatenakzent zuzuhören ist ein Genuss, auch wenn man sich zu Beginn erst an die konsequente Verwendung des Wortes „Nigger“ gewöhnen muss. All das wird mit der Synchronisation (und sei sie noch so gelungen) ausgelöscht bzw. bei „Nigger“ in die Nähe des Lächerlichen gerückt.

12 Years a Slave ist in jedem Fall ein lange in Erinnerung bleibendes Gesamtwerk mit glänzend aufgelegten Schauspielern, nach dem man den Kinosaal eher taumelnd als geradeaus gehend verlässt. Die Geschichte bietet keine Hoffnung, keinen Ausweg, auch wenn Northup am Ende wieder in Freiheit kommt. Zu hasserfüllt, zu zerstörend waren die zwölf Jahre Gefangenschaft. Obwohl: vielleicht bildet ja die im Wortsinne glänzende Ästhetik des Films eine Art Optimismus. Wenn man Kino, als humanistisches Medium für die Massen, als ein ästhetisches Korrektiv betrachtet, kann man McQueen verzeihen, dass er zu den Bildern des Schreckens keine schrecklichen Bilder produziert hat, sondern mit seinem Kameramann seinem etwas unterkühlten, hoch ästhetischen Stil treu geblieben ist. Am Ende bleibt nichts mehr zu sagen, bis auf den letzten Satz des Films vielleicht, den Northups Ehefrau zu ihm sagt, als dieser nach der Gefangenschaft zurück nach Hause kommt. Die Kinder sind erwachsen, ein anderer Mann ist im Haus. „There’s nothing to forgive“, sagt sie. Als Person gibt es in Anbetracht der Umstände nichts, was sie ihm oder er ihr verzeihen müsste. Aus kollektiver Sicht gibt es nichts, wofür Afro-Amerikaner andere um Verzeihung bitten müssten. Was als Antwort bleibt, ist Solomon Northup, der gezeichnet aus dem Fenster schaut, unablässig weinend.
 

12 Years a Slave (2013)

Die Presse war und ist voll von ihm, ja, alle haben auf ihn gewartet, just hat er nun auch den Golden Globe für den besten Film bekommen – oftmals ja Wegweiser für die Oscarverleihung: „12 Years a Slave“, der neue Film von Steve McQueen, diesmal eine bewegende, episch erzählte und visuell beeindruckende Literaturverfilmung.

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Meinungen

@o.h. · 12.03.2014

Bitte den Film bewerten und nicht den Oberlehrer spielen :-)

o.h. · 12.03.2014

An T.T: Bitte den Film bewerten und keine sozio-politischen Analysen !

T.T · 06.03.2014

Wenn man in unsere Gesellschaft blickt dann ist unser hier und heute nur ein Spiegelbild von diesem grausamen Film. Noch heute haben es Schwarze auf Grund ihrer Hautfarbe schwer eine Wohnung zu bekommen. Auf der Arbeit werden viele Schwarze wie Menschen zweiter Klasse behandelt. Alles schimpft auf die USA. Aber wie ist man den im zweiten Weltkrieg mit den Schwarzen in Deutschland umgegangen. Wer sich mit der Geschichte auskennt weiß worauf ich hinaus will. Die Schwarzen die als Soldaten hier gedient haben. Es war ihnen verboten mit weißen Frauen zu verkehren. Aber im Leistungssport waren sie für Deutschland gut genug. Sie waren so gut das man sie sogar bei großen Sportereignissen auf Grund des guten Körperbaues ausschließen wollte. Sie werden heute immer noch wie Sklaven behandelt. Im modernen Sinn.

Europäer · 18.02.2014

Ich kann mit den, für mich vollkommen absurd klingenden, Ausführungen, meines Vorredners R.J., in keinster Weise anschließen.

Für mich ist der Film ein MEISTERWERK. Als ich ihn, im Kino sah, haben gestandene Mannsbilder geweint.

Es handelt sich um einen anspruchvollen Film. Wen dabei Rückblenden und Zeitwechsel "verstören", sollte eventuell doch beim kommerziellen Film bleiben.

Die Synchronstimmen sind einwandfrei ausgewählt und die Musik passt atmosphärisch perfekt, wie auf kino-zeit.de bestätigt.

Eine fressende Raupe, wenn es um eine Raupenplage geht, ist eine durchaus passende Einstellung.

Nicht umsonst ist dieser Film für 9 Oscars nomminiert.

Mir scheint, als sei "R.J." ein bezahlter Negativkritiker.

Ich persönlich kann mich Stephan Langer nur, im vollem Umfang, anschließen.

R.J. · 19.01.2014

Überall in der Presse und auch hier wird dieser Film in kaum überbietbaren höchsten Tönen gelobt. Was bietet er wirklich:
Die Ästhetik langer Einstellungen. Lange Einstellungen als cineastisches Mittel sind etwas sehr Schönes, in diesem Film überstrapaziert. Mehrere kalendermäßige Aufnahmen von Sonnenuntergängen, fressende Raupen in Makroaufnahme, beispielhaft schöne Naturaufnahmen. Aber: passend zur Intention dieses Films ist das nicht. Stimmungsvolle Szenen bei Kerzenlicht stören und verstören ebenso. Wiederholte Brüche in der Handlung und Widersprüche in der inneren Logik des Films irritieren. Das vom Rezensenten angesprochene minutenlange Hängen im Baum trieft von Ästhetik. Die Synchronisation ist komplett mißlungen, wobei die ausgewählten Synchronstimmen nicht zu den handelnden Personen passen noch paßt die Stimmführung zum Inhalt des Gesagten. Es gäbe noch etliche andere Kritikpunkte, beispielsweise die kitschige Musik und die unnatürlichen Geräusche.... Persönliches Fazit: Ein Film, den man nicht gesehen haben muß. Das Thema wäre spannend, aber: Thema verfehlt.