11.6

Eine Filmkritik von Martin Beck

Der Mann, nicht die Tat

Als Toni Musulin im November 2009 der Banque de France 11,6 Millionen Euro klaute, war das auch bei uns ein großes Nachrichtenthema. Ein unscheinbarer Sicherheitsbeamter, der als Fahrer einer Geldtransportfirma arbeitete, tickte auf einmal aus und brauste mit einem Lieferwagen voller Geld davon. Zwar wurde Musulin kurze Zeit später gefasst und schmort bis heute im Gefängnis, doch trotzdem bleiben noch etliche Fragen – wie zum Beispiel ein nach wie vor verschwundener „Restbetrag“ von 2,5 Millionen Euro.
Es ist insofern nur konsequent, wenn im Zentrum von 11.6 Toni Musulin und nicht der Raub an sich steht. Filme über Bankräube gibt es ja genug, was das tatsächlich eher nüchterne kriminelle Vorgehen kaum der filmischen Rede wert macht, aber die dazugehörige Person plus ihre Motivation sind ganz sicher keine Stangenware. Toni Musulin ist eigentlich ein absoluter Durchschnittsbürger, ein Einzelgänger und ziemlich unscheinbar. Er behandelt seine Freundin (Corinne Masiero) eher abweisend, liebt Sportautos und fährt dann irgendwann mit 11,6 Millionen Euro davon. Der größte Raub der französischen Kriminalgeschichte. Einfach so.

Was aber natürlich nicht sein kann, und doch am Ende des Films als Fazit stehenbleibt. Musulins Gesamtsituation, zu der auch noch das magere Gehalt und die unliebsamen Kollegen gehören, ist zwar nervig, aber keineswegs so drastisch, dass der Raub plausibel erscheinen würde. Er passiert einfach, mit gehöriger Präzision und Organisation, und erhält damit Musulin eine enigmatische Faszination, die dem Film bis ganz zum Ende seine Spannung gibt. Einfach mal ausbrechen, einfach mal komplett gegen den Strich bürsten – ja, warum eigentlich nicht? Im schlimmsten Fall kann so ein Unterfangen fünf Jahre Gefängnis kosten.

Fast eine Stunde vergeht bei 11.6 vor den ersten Gedanken an den Raubzug, immer allerdings mit der eröffnenden Verhaftung Musulins im Hinterkopf. Regisseur Philippe Godeau, ein etablierter Produzent, auf dessen Konto zum Beispiel Largo Winch oder Mr. Nobody gehen, nimmt sich viel Zeit, den Mann zu portraitieren und verzichtet dabei auf alle Heist-Klischees. Fernab flashiger Wackel-Optik legt sich ein gedämpfter Grauschleier über das bewusst reduzierte Geschehen, und Hauptdarsteller Francois Cluzet (Ziemlich beste Freunde) spielt dazu mit einer nuancierten Seelenruhe, die in ihrer Normalität quasi ungewollt fesselt.

Weil, der Mann muss doch völlig getrieben sein und ständig Extreme erleben – oder?? Oder eben nicht. Was zugleich jede Erwartung abprallen lässt und in ihrer simplen, wunderbar elegant inszenierten Verweigerung genau das ist, was den Film so außergewöhnlich macht. Tony Musulin, das Hirn hinter – Zitat deutsches Cover- „The French Job“, ist weder eine possierliche ältere Dame noch ein cooler Karriere-Gangster noch ein trickreicher „Inside Man“. Tony Musulin ist einer von uns und möchte das nicht einmal hinausposaunen. Höchste Zeit, mal wieder seine Nase am Schaufenster der örtlichen Sparkassen-Filiale plattzudrücken…

11.6

Als Toni Musulin im November 2009 der Banque de France 11,6 Millionen Euro klaute, war das auch bei uns ein großes Nachrichtenthema. Ein unscheinbarer Sicherheitsbeamter, der als Fahrer einer Geldtransportfirma arbeitete, tickte auf einmal aus und brauste mit einem Lieferwagen voller Geld davon.
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