Zero Killed

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der ganz reale Horror

Mordphantasien? Die hat ja wohl (fast) jeder mal. So ganz heimlich und in Gedanken, wenn der liebe Kollege wieder nervt, der/die Partner/Partnerin nörgelt oder sonst etwas schief läuft im Leben. Zum Glück aber kommen die allerwenigsten Menschen auf den Gedanken, diese Wünsche in die Tat umzusetzen. Was aber wäre, wenn sie das könnten? Im geschützten Raum und ohne (reale) Folgen, sondern als Teil einer Inszenierung? Dieser Frage geht der Filmemacher Michal Kosakowski in seiner filmischen Versuchsanordnung Zero Killed nach: Seit 1996 hat er dafür Menschen mit verschiedenen sozialen Hintergründen dazu gebracht, ihre Mordphantasien in Kurzfilmen zu inszenieren. Die einzige Beschränkung, die er ihnen dabei mit auf den Weg gab: Die Befragten mussten selbst als Darsteller in dem Film mitwirken — entweder als Täter oder als Opfer.
Die Filme, die diesem Angebot entsprangen, sind so unterschiedlich geraten wie ihre Urheber es sind — vom Schubsen eines heruntergekommenen Mannes vor einen heranfahrenden LKW bis zum Mord während des Liebesaktes reicht die Vielzahl der fiktiven Tötungen. Und ebenso breit gespannt wie die „Täter“ sind auch die Opfer — und dementsprechend die Motive für ihre Delikte: Sie reichen von der klassischen Beziehungstat bis hin zum eher zufälligen Mord an einem vollkommen Unbekannten, sie werden mit Schusswaffen ausgeführt oder mit dem Beil, mit Messern, den bloßen Händen oder exotischeren Instrumenten, manchmal sogar mit den bloßen Händen, dem Fuß oder auf andere Art und Weise. So verschieden die Menschen sind, die hier ihr Innerstes nach außen kehren, so unterschiedlich ihre Opfer sind, so sehr variieren auch die Mordmethoden und mit ihnen die Inszenierungen der Taten.

Dann, viele Jahre später, sucht Kosakowski seine Protagonisten von einst nochmals auf und führt mit ihnen Interviews, die im Wechsel mit Fragmenten der früher gedrehten Kurzfilme das Grundgerüst des Filmes bilden. In ihnen geht es vor allem um Fragen nach dem Ursprung ihrer Phantasien, um moralische Bewertungen, darum, wie sie heute von ihren „Taten“ damals denken.

Die Idee zu Zero Killed entstand aus einem Kunstprojekt, einer Videoinstallation, die wiederum einer Beobachtung entsprang, die Michal Kosakowski vorher gemacht hatte: In vielen Fernsehfilmen, die er als Kind und Heranwachsender gesehen hatte, waren die Gewalttaten, die den dramaturgischen Höhepunkt der Story bildeten, eher versteckt und wurden nicht oder nur denkbar kurz explizit gezeigt, vielmehr spielten sich die Morde oder Übergriffe überwiegend hinter verschlossenen Türen ab. Ausgehend von dieser Beobachtung des schamhaften Verdrängens, des Wegschauens von Gewalttaten in unserer Gesellschaft, entstanden die Kurzfilme als Teil der Videoinstallation mit dem Titel Fortynine, die 2007 erstmals in München gezeigt wurde. Die Reaktionen auf das Kunstwerk waren so intensiv, dass Kosakowski sich dann dazu entschloss, aus dem Material einen Film zu gestalten, der sich im Spannungsfeld zwischen inszenierter Phantasie (=Spielfilm) und realen Hintergründen mit echten Interviews (=Dokumentarfilm) bewegt.

Nicht allein aufgrund dieser Mischung erinnert Zero Killed bei allen Unterschieden auch ein klein wenig an The Act of Killing von Joshua Oppenheimer, obwohl jenem „echte“ Morde zugrunde liegen und nicht „nur“ Mordphantasien. Dennoch: Schaut man sich diese beiden Filme (entweder unabhängig voneinander oder quasi als Double Feature) an, wird vor allem eines klar: Nur eine hauchdünne Schicht (nennen wir sie mal „Zivilisation“ oder „Moral“) trennt uns vom Morden. Das Böse, es schlummert nicht in finsteren Gestalten mit grimmigen Gesichtern, sondern in jedem von uns.

Und vielleicht ist gerade angesichts der Normalität der Menschen, die in Zero Killed zu uns sprechen — der Schock der Erkenntnis ist jedenfalls noch ein wenig ausgeprägter als bei The Act of Killing. Es ist die Erkenntnis, dass wir uns schnell auf der „anderen Seite“ befinden könnten — als Opfer genauso wie als Täter. Und es ist die Alltäglichkeit der geschilderten Mordphantasien, bei denen man gar nicht umhin kann zu erkennen, dass man die ein oder andere auch schon selbst hatte. Angesichts dessen fällt es kaum mehr ins Gewicht, dass man bei dem Film durch die repetitive Anordnung von Kurzfilm und Interview manchmal den seriellen Charakter einer künstlerischen Anordnung überstark wahrzunehmen scheint. Vielleicht entspringt dieses Gefühl aber auch nur einer (verständlichen) Abwehrreaktion gegen die Allgegenwart von Gewalt, die man darin erkennen kann bzw. muss.

Das nächste Projekt von Michal Kosakowski hat übrigens schon vor seinem Start für Aufsehen gesorgt — was auch ein wenig an den (prominenten) Namen seiner beiden Mitstreiter liegt: German Angst, so lautet der Titel des gemeinsamen Films von Kosakowski mit Andreas Marschall (Masks, Tears of Kali) und dem Gore-Papst Jörg Buttgereit, das bereits durch seinen ungewöhnlichen Finanzierungsansatz via Crowdfunding auf sich aufmerksam gemacht hat. Schon die Mischung der drei Filmemacher verspricht ein außergewöhnliches Ergebnis.

Zero Killed

Mordphantasien? Die hat ja wohl (fast) jeder mal. So ganz heimlich und in Gedanken, wenn der liebe Kollege wieder nervt, der/die Partner/Partnerin nörgelt oder sonstwas schief läuft im Leben. Zum Glück aber kommen die allerwenigsten Menschen auf den Gedanken, diese Wünsche in die Tat umzusetzen. Was aber wäre, wenn sie das könnten? Im geschützten Raum und ohne (reale) Folgen, sondern als Teil einer Inszenierung?
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