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Auf dem Fahrrad durch Fernost – das hört sich nach der nächsten Reisedoku an. Was Claus Boje seinem Publikum in „Zero Gravity“ präsentiert, könnte davon jedoch nicht weiter entfernt sein.

Zero Gravity (2020)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Fest im Sattel durch Fernost

Claus Boje ist einer jener Namen, die einem in der deutschen Filmbranche zwangsläufig begegnen, denen man aber nicht unbedingt ein Gesicht zuordnen kann. Der ehemalige Kinobetreiber, unter anderem des Delphi Filmpalasts in Berlin, ist Kompagnon von Detlev Buck und hat mit der gemeinsamen Firma seit Anfang der 1990er unzählige Kassenschlager und Kultfilme produziert. Bei einem Dokumentarfilm über eine Radreise durch Japan führte Boje nun nicht nur selbst Regie, sondern zeigt als Protagonist auch Gesicht.

Die Idee des Films ist vermeintlich simpel, deren Umsetzung stellt sich jedoch als Problem heraus. Claus Boje möchte Japan vom äußersten Südwesten in den äußersten Nordosten immer entlang der Kirschblüte durchradeln. Drei Monate soll das dauern. Und weil außer ihm selbst sich niemand anderes so lange freinehmen kann, stoßen unterwegs verschiedene Freunde und Bekannte hinzu, die Boje ein Stück des Weges begleiten.

Was Boje seinem Publikum im fertigen Film präsentiert, könnte von der simplen Ausgangsidee allerdings kaum weiter entfernt sein. Denn mit dem Protagonisten auf dessen Selbstfindungstrip in Fernost verliert sich irgendwann auch das Publikum. Wo auf der Landkarte wir uns gerade genau befinden, spielt schnell keine Rolle mehr. Es geht vielmehr darum, ein Gefühl für Japan, dessen Kultur und Menschen zu bekommen. Und Boje gibt den spirituell angehauchten Reiseleiter, der hunderte Jahre alte Haikus als Inserts einstreut und sich in euphorisierte Rage reden kann, wenn er sich für ein Thema begeistert.

Das Bild von Japan, das sich in diesem Film vor unseren Augen zusammensetzt, ist freilich ein zutiefst subjektives. Weil Boje selbst Rad fährt, darf Keirin, die japanische Variante des Bahnradsprints, natürlich nicht fehlen. Auch fürs Sumoringen und für Onsen, also die heilende Wirkung eines Bads in einer heißen Quelle, kann sich der kahlrasierte Deutsche begeistern. Weitere Stationen sind Schreine, japanische Gärten, der Besuch einer Schnapsbrennerei und ein endlos erscheinender Anstieg am Mount Fuji. Andere, in der westlichen Wahrnehmung typisch japanische Dinge kommen hingegen überhaupt nicht vor. Manga und Anime sind ebenso wenig zu finden wie die Gaming Culture. Ja selbst das vielfältige Essen, das Myriaden mehr als nur Sushi und Ramen zu bieten hat, kommt vergleichsweise kurz. Bojes nächste Zigarette ist hingegen unverzichtbar.

Da der Filmemacher aus all diesen Unzulänglichkeiten keinen Hehl macht und uns durch seine Präsenz für sich einzunehmen weiß, ist Zero Gravity ein unterhaltsamer Film geworden. Eineinhalb Stunden frei flottierende Sinnsuche zwischen Idealisierung einer fremden Kultur und hartem Reality Check. Auf seinem Fahrrad sitzt Boje zwar fest im Sattel, erzählerisch hebt sein Film jedoch wiederholt ab und scheint mitunter einen Zustand der Schwerelosigkeit zu erreichen.

Zero Gravity (2020)

In Zero Gravity nimmt Claus Boje die Zuschauenden mit auf eine Reise durch Japan in der Kirschblüte — vom Süden in den Norden mit dem Rennrad. Doch aus der geplanten Reise eines Paares wurde die Suche nach der Schwerelosigkeit. In seiner Selbstfindung verliert sich der Protagonist mit seinem Filmteam, zwischen rauschenden Keirin-Rennen und ergreifenden Sumo-Kämpfen.

Zero Gravity ist kein klassischer Dokumentarfilm. Vielmehr ist er ein filmisches Experiment, welches -immer nah am Alltagsleben der Japaner*innen- ein beeindruckendes Land erfahrbar macht, ohne es zu kommentieren. Ganz nach dem Leitspruch „Ready to get lost in Japan“. (Quelle. Delphi Filmverleih)

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