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Goran Stolevski landet mit seinem Kinodebüt einen Treffer im gefeierten Grenzbereich von Sozialdrama und Horror. Wie andere und bereits etablierte Werke dieser Schmiede bedient auch er das Subgenre Folk Horror, das seine Hochzeit in den 1970ern hatte und gegenwärtig ein anhaltendes Revival erlebt.

You Won't Be Alone (2022)

Eine Filmkritik von Julian Stockinger

Horror der Ausgestoßenen

Goran Stolevskis Langfilmdebüt verlangt dem Publikum einiges ab, um es im Anschluss umso reicher zu beschenken. Mit der Eröffnung eines weiten Assoziationsspielraums reiht er sich in eine Riege von großartigen Filmen, die mancherorts und nicht immer wertschätzend als Elevated Horror bezeichnet werden.

Der Horrorfilm liebt Außenseiter und Außenseiter lieben das Horrorgenre. Zugegeben, eine überspitzte Aussage, die sich nicht verallgemeinern lässt. Trotzdem handelt es sich um keine neue Beobachtung. Man denke an die Biografien einschlägiger Kunstschaffender (von H.P. Lovecraft bis John Carpenter), oder rede mit eingefleischten Fans der Gattung über ihre Kindheit und Jugend. Eine Tendenz, der zufolge sich Menschen mit Ausschlusserfahrungen zum Horror und zum abseitigen Kino besonders hingezogen fühlen, wurde bereits vielerorts besprochen. Andersrum pflegt es der Horrorfilm seit jeher, Menschen am Rande der Gesellschaft ins Zentrum seines Interesses zu stellen. Das Fremde fasziniert und verängstigt zugleich. Abjekte Gestalten und das Nicht-Zugehörige lösen Abscheu, aber auch Mitgefühl in der Mehrheitsgesellschaft aus. Und sie bieten potenzielle Identifikationsflächen für Personen, die von Marginalisierung, Stigmatisierung und Diskriminierung betroffen sind.

Das Subgenre Folk Horror befasst sich traditionell stark mit dem Phänomen des Abjekten. Philosophin und Literaturtheoretikerin Julia Kristeva beschreibt das Abjekte als etwas, das von der Gesellschaft ausgeschlossen werden muss. Körperflüssigkeiten wie Blut, Schweiß oder Sperma oder auch die Leiche eines Menschen, die Lebende mit ihrem eigenen Tod konfrontiert. Im Folk Horror geht es oft um isolierte Communities, die ihren eigenen Regeln und Gesetzen folgen. Wie etwa die naturmythologisch motivierten Sekten in The Wicker Man (1973) oder Midsommar (2019), bei denen das Menschenopfer ein zentrales Element ihres Brauchtums ist. In einer anderen Schlagrichtung des Genres werden Wesen aufgrund ihrer fantastischen Andersartigkeit und ihrer Nähe zum Tod ausgegrenzt, wie die vermeintlichen Hexen in Hagazussa (2017) und The VVitch (2015), um bei modernen Beispielen zu bleiben. You Won’t Be Alone schlägt in die zweite, fantastische Kerbe des Subgenres.

Die Filmgeschichte hat uns nur zu oft bewiesen, dass Deals mit dem Teufel selten zu befriedigenden Ergebnissen führen. Selbiges gilt für Hexen, vor allem wenn man versucht, sie auszutricksen, wie es die Mutter der frisch geborenen Nevena (Sara Klimoska) am Anfang von You Won’t Be Alone tut. Sie versichert der einsamen Hexe Maria (Anamaria Marinca), dass sich diese ihrer Tochter annehmen kann, sobald Nevena 16 Jahre alt geworden ist. Das von der Hexe begehrte Kind wächst daraufhin komplett isoliert in einer abgeschotteten Höhle auf, wo es lediglich von seiner Mutter mit Nahrung versorgt wird. Der beeindruckende Ort gilt als heilig und soll die Tochter vor dem hochgradig unerwünschten Besuch der „Wolf-Esserin“ beschützen. Natürlich geht der Plan nicht auf und Nevena landet just mit 16 in den Händen der gefürchteten Hexe. Durch ein blutiges Ritual wird sie selbst zur Gestaltenwandlerin, die von nun an versucht, in den Körpern unterschiedlicher Lebewesen, gesellschaftlichen Anschluss zu finden.

Zu den folkloristischen und sozialen Schlagseiten des Films gesellt sich also noch eine weitere Ebene. Nevena verlässt mit der Hexe zum allerersten Mal bewusst die Höhle und erlebt die Welt mit, wenn man so will, unbefangenem Blick. Diese Kaspar-Hauser-Thematik, die, neben Werner Herzogs Klassiker, in unterschiedlichen Genres Anwendung gefunden hat — vom verstörenden Kunstfilm Bad Boy Bubby (1993) bis zur Mainstream-Komödie George Of The Jungle (1997) — hält der Gesellschaft den Spiegel vor. So wird in Stolevskis Film einerseits die boshafte Intoleranz gegenüber nicht-normativen Lebensformen entlarvt und andererseits Geschlechterdifferenzen der damaligen Zeit (die bis heute wirken) aufgezeigt. Nevena erfährt nämlich bald, dass es einen großen Unterschied macht, ob sie im Körper einer Frau oder im Körper eines Mannes „haust“. Auch, aber nicht nur, weil sie als Frau aufgrund abweichenden Verhaltens schneller auf dem Scheiterhaufen landen würde.  

Formal werden die Themen des Films vor allem in den Kameraeinstellungen sichtbar. Wenn Nevena und Maria immer wieder die Form anderer Menschen und Tiere annehmen, schlüpft auch die Kamera in die Perspektive der Opfer. In der allerersten Szene überrascht der Film sogleich mit einer Kamerafahrt aus der POV-Perspektive einer Katze. Auch das grundlegende Thema des sozialen Ausschlusses behandelt der Film formal effizient. In den eindrucksvollsten Bildern von You Won’t Be Alone sieht man die Figuren an den Rand des Bildschirms gedrängt, statt, wie üblich, annähernd zentral. Und mit dem äußerst ungewöhnlichen Bildformat von 1,44:1 stellt das Werk selbst eine Randerscheinung dar.

Im Text vom SLASH Filmfestival, wo der Film seine Österreichpremiere feierte, liest man, dass er sich anfühlt, „als tanzten Robert Eggers und Terrence Malick gemeinsam durch die Walpurgisnacht“. Diesem treffenden Vergleich könnte man noch seitenweise weitere Referenzen und Assoziationen hinzufügen. Goran Stolevskis Langfilmdebüt bietet dem Publikum gleich mehrere Ebenen der Rezeption und Interpretation und lädt jedenfalls zu wiederholten Sichtungen ein.

You Won't Be Alone (2022)

Anfang der 1880er Jahre gehen in einem mazedonischen Bergdorf seltsame Dinge vor sich. Ein junges Mädchen wird von einem alten, formwandelnden Geist ihrer Mutter weggenommen und in eine Hexe verwandelt. Der Wildnis überlassen, betrachtet die junge Hexe die Natur mit Neugier und Staunen. Nachdem sie versehentlich einen Dorfbewohner getötet und sich dessen Körper bemächtig hat, schlüpft sie nach und nach in die Gestalt verschiedener anderer, hier lebender Menschen. Sie lebt jahrelang unter den Dorfbewohnern, beobachtet sie und ahmt deren Verhalten nach, bis der uralte Geist zurückkehrt.

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Meinungen

Mad Tacker · 23.10.2022

Man kann was Schlechtes nicht schön reden oder auch schreiben nur weil es anders schlecht ist. Es bleibt schlecht. Und bei diesem Machwerk gibt es da auch keine Ausnahme. Das einzige, was wirklich Horror ist, ist die Synchro!