Wir wollten aufs Meer

Eine Filmkritik von Sebastian Wotschke

Im Osten nichts Neues?

Die deutsche Geschichte bietet einen enormen Fundus an Filmideen für unsere hiesigen Studios. Und damit ist nicht nur der Zweite Weltkrieg gemeint. Spätestens seit Florian Henckel von Donnersmarck 2006 den Oscar für Das Leben der Anderen gewann, ist die ehemalige DDR und ihre Stasi-Vergangenheit beinahe schon ein Erfolgsgarant in der Filmlandschaft, wie kürzlich erst Christian Petzolds Barbara bewiesen hat. Während sich dieser mit einer kühlen Distanz der Thematik annahm, prescht Wir wollten aufs Meer mit Vollgas direkt durch die Mitte.
Rostock 1982: Cornelis Schmidt (Alexander Fehling) und Andreas Hornung (August Diehl) träumen von der Freiheit. Sie hoffen als Matrosen der Handelsmarine schon bald auf Meer hinaus zu dürfen und die Welt zu bereisen. Jahre später arbeiten sie immer noch als einfache Hafenarbeiter, und so lassen sie sich auf ein Angebot der Stasi ein. Wenn sie erfolgreich einen Kollegen bespitzeln, werden ihnen die Jobs als Matrosen gewährt. Doch nachdem Cornelis eine folgenschwere Aussage seines Kollegen Matthias Schönherr (Ronald Zehrfeld) auf Band aufgenommen hat, plagen ihn Gewissensbisse und er steigt aus. Andreas versucht weiterhin mit der Stasi zu kooperieren, was eine riesige Auseinandersetzung zwischen den beiden Freunden zur Folge hat. Er landet im Krankenhaus und Cornelis plant mit seiner Freundin Phuong Mai (Phuong Thao Vu) die Flucht über die Grenze. Doch Andreas verrät ihn und Cornelis landet im Gefängnis. Dort trifft er auf Schönherr, der ihn für alles verantwortlich macht. Andreas kooperiert mit der Regierung und verspricht den beiden, sie da rauszuholen. Doch verfolgt er in Wirklichkeit einen ganz anderen Plan …

Toke Constantin Hebbelns Kinodebüt basiert zwar nicht auf einer wahren Begebenheit, dennoch haben sich sein Co-Autor und er auf eine monatelange Recherchereise begeben, um die Stimmung in der damaligen DDR so authentisch wie möglich wiederzugeben. Das Ergebnis allerdings ist von einem starken Schwarz-Weiß-Denken geprägt, bei der die Charaktere zu Abziehbildern werden, die vollends auf ihre Funktion im System reduziert sind. Daher benehmen sich die „bösen“ Regierungsbeamten auch tatsächlich über die gesamte Spieldauer „böse“ und werden zu facettenlosen Gegenspielern. Eine anspruchsvolle historische Aufarbeitung sollte man daher lieber nicht erwarten. Trotz der Thematik erinnert Wir wollten aufs Meer formal an einen Film für das Massenpublikum. Und in Hinblick darauf macht Hebbeln zugegeben auch nichts falsch.

Kurz nach dem Vorspann umgibt den Film ununterbrochen ein Gefühl der Angespanntheit. Eine Suspense auf die Hitchcock stolz gewesen wäre durchzieht den Film und man verfolgt das Schicksal der Protagonisten mit einer solchen Spannung, dass gewisse Unzulänglichkeiten in Charakterzeichnung und Handlung fürs Erste in Vergessenheit geraten. Die zentralen Motive Freundschaft, Verrat und der Drang nach Freiheit sind universell und auch auf andere Sujets anwendbar.

Welche hochkarätigen Schauspieler Hebbeln für das Projekt gewinnen konnte, ist beispiellos. Der international gefragte August Diehl (Wer wenn nicht wir) und Alexander Fehling (Goethe!), die zum dritten Mal gemeinsam vor der Kamera stehen, liefern in diesem Katz-Maus-Spiel eine Leistung von durchdringender Emotionalität. Der dank Barbara mit dem Thema vertraute Ronald Zehrfeld bildet die Spitze des Dreiecks und Sylvester Groth (Inglourious Basterds) beglückt uns immer mal wieder mit zynischen Kurzauftritten. Rolf Hoppe (Mephisto) hingegen wirkt als strenger Oberst zu alt und müde um seiner Rolle die notwendige Diabolik zu verleihen. Die weiblichen Schauspieler müssen Platz machen in dem maskulinen Handlungskonstrukt, daher liefert die Rolle der heimlichen Liebe im Endeffekt zu wenig für Darstellerin Phuong Thao Vu um sich richtig zu entfalten.

Die Geschichte um DDR und Stasi bietet zwar im Endeffekt nichts erwähnenswert Innovatives und wird manchen Zuschauern im nachhinein mit seiner nicht vorhandenen Objektivität verärgern, aber was Inszenierung und Schauspiel angeht, beweist Toke Constantin Hebbeln, dass er das richtige Händchen hat und dass die Essenz der Geschichte auch losgelöst von der räumlich und zeitlichen Fokussierung funktioniert. Mit Spannung darf man die zukünftigen Projekte des jungen Filmemachers erwarten.

Wir wollten aufs Meer

Die deutsche Geschichte bietet einen enormen Fundus an Filmideen für unsere hiesigen Studios. Und damit ist nicht nur der Zweite Weltkrieg gemeint. Spätestens seit Florian Henckel von Donnersmarck 2006 den Oscar für „Das Leben der Anderen“ gewann, ist die ehemalige DDR und ihre Stasi-Vergangenheit beinahe schon ein Erfolgsgarant in der Filmlandschaft, wie kürzlich erst Christian Petzolds „Barbara“ bewiesen hat. Während sich dieser mit einer kühlen Distanz der Thematik annahm, prescht „Wir wollten aufs Meer“ mit Vollgas direkt durch die Mitte.
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Meinungen

Simone Fischer · 26.09.2012

Das ist ein super toller Film, sehr spannend, vom Anfang bis zum Schluss. Im Kino war eine Mega-Stille. Viele Tränen in den Augen der Zuschauer. Macht weiter so. Diesen Film muss man einfach gesehen haben.

pjotr · 16.09.2012

DDR-Problematik vom Kaffeetisch in Schwabing aus gesehen, schwülstig inszeniert und sachlich unrichtig: ärgerlich, daß dafür Geld vom Medienbord Brandenburg floß.