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Die letzten Bergleute der mittlerweile stillgelegten deutschen Steinkohlezechen sind geprägt von Klassenbewusstsein und Stolz auf ihren engen Zusammenhalt. Gelingt es ihnen, sich im Leben neu zu orientieren? Fünf Betroffene erzählen.

Wir waren Kumpel (2023)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Vom Leben ohne Zeche

Der Steinkohlebergbau in Deutschland ist seit Ende 2018 Geschichte. Wie ergeht es ehemaligen Bergleuten, die nach Jahrzehnten in diesem Beruf plötzlich ohne ihn dastehen? Um den großen Bruch im Leben der Kumpel auszuloten, den das Ende dieser Ära markiert, hat der Dokumentarfilm auch das Vorher ins Visier genommen. Er hält die letzten Tage seiner Protagonisten im Bergbau fest und würdigt so auch ihre Lebensleistung sowie die Prägung durch den Beruf und sein Milieu. Erst wenn man erfahren hat, was es bedeutet, Kumpel zu sein, lässt sich ermessen, welche Herausforderung es sein wird, die entstandene Leerstelle zu füllen.

Die beiden Kumpel Locke und Langer – Wolfgang Herrmann und Marco Edelmann – sind unzertrennlich. Den ganzen Arbeitstag über bleiben sie Seite an Seite und wenn sie mit kohlegeschwärzten Gesichtern unter die Dusche gehen, seifen sie sich auch gegenseitig den Rücken ein. Die beiden Familienväter ziehen sich mit derben Worten auf, nehmen kein Blatt vor den Mund und im nächsten Moment legt der eine schon wieder seinen Arm um die Schulter des anderen. Er sehe Locke mehr als seine eigene Frau, fasst Langer ihr Verhältnis zusammen. Thomas Hagedorn legt im Umkleidebereich die frische Arbeitskleidung bereit, hält die Duschen sauber, ist zur Stelle, wenn die Kumpel etwas brauchen. Kirishanthan Nadarajah, genannt Kiri, kam vor über 20 Jahren aus Sri Lanka nach Deutschland. „Mein Deutschland ist die Zeche“, sagt der Führer einer Werkslok. Als er dann Ende 2019, nach dem Rückbau, zum letzten Mal vor der Lokomotive steht, kann er die Tränen nicht zurückhalten.

Die beiden Regisseure dieses Dokumentarfilms, Christian Johannes Koch und Jonas Matauschek, lassen ihre Protagonisten erzählen – vom Bergbaualltag und ihren Gedanken über das Ende. Dazu sind Bilder des Zechengeländes zu sehen, die auch die Enge und Dunkelheit unter Tage einfangen, die Förderbänder, die dann plötzlich stillstehen und die imposante Architektur der Bergbauhallen. Auch von ihrem Abriss gibt es Schnappschüsse. Martina Klimatzki ist die einzige Frau, die je unter Tage im deutschen Steinkohlebergbau gearbeitet hat. Lange Zeit hielten sie alle für einen Mann, doch dann wollte sie nicht mehr im falschen Körper gefangen sein und unterzog sich einer geschlechtsangleichenden Behandlung. Mit dieser interessanten Protagonistin betrachtet der Film das Milieu des Bergbaus aus einer erweiterten Sicht: Wie sieht sie die Geschlechterrollen, wo möchte sie sich selbst einordnen, was macht ihr zu schaffen? Martina begreift den Bergbau als Teil von ihr und ist deswegen nun in den Salzbergbau gewechselt. 

In der Ruhrpott-Kohlezeche gibt es das Gruppen-Abschiedsfoto, die Abschiedsrede, kleine Geschenke werden unter Kumpels ausgetauscht. Und dann beginnt die neue Zeit, in der man durchschlafen könnte, weil die Schicht nicht ruft, und es doch nicht kann. Nun entfaltet der Film eine neue Intensität und kommt den Protagonisten ganz nahe. Mittlerweile haben sie so viel Vertrauen zu den Filmemachern gewonnen, dass die Kamera ihr Privatleben inspizieren und dort sogar bis an die Liegestätten nächtlicher Grübelei treten darf. Langer hat rasch Arbeit gefunden als Schulbusfahrer. Sein Freund Locke aber bekommt daheim beim Staubsaugen von seiner pubertär-gereizten Tochter an den Kopf geworfen: „Such dir einen Job!“ Sein größter Wunsch ist es, mit Langer eine Reise nach Frankreich zu machen. Martina hat Arbeit, aber sie sehnt sich nach einer Lebensgefährtin. Kiri gibt neuerdings seinen und anderen Kindern tamilischen Sprachunterricht. Und Thomas, der mit seiner Mutter in einer Blockwohnung lebt, muss sich daheim einen neuen Freiraum am Herd erkämpfen. Denn er entwickelt Spaß am Kochen. 

In diesen Beobachtungen gewinnt der Film Tiefe und berührt. Die Protagonisten sprechen reflektiert und abwägend über den Bruch in ihrer Biografie, bemühen sich, nach vorne zu schauen, ohne sich zu verleugnen. Dem Film geht es allein um diese persönliche Ebene. Die gesellschaftliche Aufgabe des Strukturwandels blendet er aus. Aber die fünf Porträts, die sich gemeinsam zu einem schönen Andenken an das Selbstverständnis der Bergbaukumpel formen, machen Mut. Denn Menschen können auch später im Leben neue Wege beschreiten, neue Interessen entdecken. Die Politik sollte sich ein Beispiel daran nehmen und den Strukturwandel in jenen Gebieten, in denen der Kohleausstieg noch bevorsteht, beherzter und ideenreicher anpacken.

Wir waren Kumpel (2023)

Schwarzer Staub, schrille Metallgeräusche, dunkle Stollen, hart arbeitende Männer – das ist Vergangenheit. Das ist die humorvolle und herzerwärmende Reise von fünf Bergleuten, die sich in Zeiten von Klimawandel und Genderdiskussionen neu entdecken müssen, als das letzte Steinkohlebergwerk in Deutschland endgültig stillgelegt wird.

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