Wir sind Juden aus Breslau

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

14 Zeitzeugen erinnern sich

Zwischen den beiden Weltkriegen war Breslau die Stadt mit der drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands. Doch heute hat die Geschichte der Breslauer Juden, wie die beiden Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies feststellen, weder in Deutschland noch in Polen einen gebührenden Platz im öffentlichen Bewusstsein. Mit ihrem Film wollen sie diese Lücke schließen helfen. Kaper und Szuszies haben 14 jüdische Zeitzeugen aufgesucht, die im Jahr 1933 in Breslau als Kinder oder Jugendliche lebten. Ihre Erzählungen formieren sich zum historisch wichtigen, aufschlussreichen Porträt einer ganzen Generation zwischen Zerstörung und Neuaufbau.
Im Jahr 1933 war das Leben in Breslau noch weitgehend in Ordnung. So erinnern es die Befragten. Obwohl die nach dem Ersten Weltkrieg aus Polen eingewanderten Juden in der sozialen Hierarchie ziemlich weit unten standen. Die alteingesessenen Breslauer Juden sahen sich als Deutsche. Eine Frau erzählt, dass ihr Vater – wie so viele seiner Generation – begeistert in den Ersten Weltkrieg gezogen war. Und dann begann die Ausgrenzung: Ein Junge spielte noch eine Weile unbekümmert mit den Kindern der Hitlerjugend vor seinem Haus, bis dann „Jude“ als Beschimpfung gemeint fiel. Eine Frau bekam sie als kleines Mädchen in der Schule zu hören. Damals war sie erstaunt: „Ich hatte gar nicht gewusst, dass es verschiedene Menschenarten gab.“

Schon in diesem Teil des Films bewährt sich das Montagekonzept mit den aneinandergereihten Details und Bruchstücken aus der individuellen Erinnerung. Die Erzählungen der Zeitzeugen ergeben eine Oral History, die eine ganz andere menschliche Nähe und Ausdruckskraft hat als die in Fachbüchern referierten Fakten. Unter den Befragten befinden sich auch bekannte Persönlichkeiten wie der inzwischen verstorbene Historiker Fritz Stern und die Cellistin Anita Lasker-Wallfisch, die zum Mädchenorchester von Auschwitz gehörte. Einige der Überlebenden des Holocaust besuchen während der Dreharbeiten das heutige Wrocław und führen eine deutsch-polnische Jugendgruppe zu den Stätten ihrer Erinnerung. Zu diesen gehört auch der Balkon, auf dem sich Hitler von der jubelnden Menge feiern ließ.

Nach der Reichspogromnacht von 1938, die auch in Breslau wütete, begannen die Verhaftungen und Deportationen. Die Stimmen im Film überlappen, die bange Dringlichkeit der Frage nach dem Wohin, die sich in allen Familien stellte, wird spürbar. Viele der Zeitzeugen wurden von ihren Eltern getrennt, manche konnten nach Palästina fliehen, andere kamen nach Auschwitz. Die beiden Filmemacher kombinieren die Schilderungen mit reichem Archivmaterial, beginnend von den Nazi-Aufmärschen bis hin zu Bildern aus den Konzentrationslagern im Moment der Befreiung. „Wo war Gott in Auschwitz?“, fragt Anita Lasker-Wallfisch. Ihr Enkel aber spielt vor der Kamera auf dem Cello die Instrumentalversion des Totengebets Kaddisch. Auch andere Szenen legen nahe, wie viel Trost und Genugtuung diesen alten Menschen die Anteilnahme der eigenen Nachkommen und überhaupt der jungen Generation gibt.

Einige der Zeitzeugen halfen als Kibbuzim beim Aufbau des Staates Israel mit. Viele von ihnen leben heute entweder in Israel oder in Amerika. Auch dorthin folgt ihnen der Film. Oft differieren ihre Meinungen und Einstellungen, so auch in Bezug auf das heutige Wrocław. An die einstige Heimat erinnert es viele nicht mehr, aber einige loben den Wiederaufbau der Synagoge und die Initiativen der Jüdischen Gemeinde von Wrocław. Wie zur Warnung streuen die Filmemacher Aufnahmen eines Aufmarsches polnischer Rechtsradikaler im Jahr 2015 ein. Und auch wenn einer der Zeitzeugen sagt, „Ich glaube immer noch an die europäische Integration“, lässt sich das als hochaktuelle Mahnung deuten, die Lehren aus der Geschichte nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen.

Wir sind Juden aus Breslau

Zwischen den beiden Weltkriegen war Breslau die Stadt mit der drittgrößten jüdischen Gemeinde Deutschlands. Doch heute hat die Geschichte der Breslauer Juden, wie die beiden Filmemacher Karin Kaper und Dirk Szuszies feststellen, weder in Deutschland noch in Polen einen gebührenden Platz im öffentlichen Bewusstsein. Mit ihrem Film wollen sie diese Lücke schließen helfen.
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