Wie die anderen

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Zu Besuch in der psychiatrischen Kinderklinik

„Alle fragen sich, warum ich so seltsam bin. Keiner weiß eine vernünftige Erklärung. (…) Ich hoffe, ich werde mich bald ändern, so dass ich wie die anderen sein kann.“ Der Junge, der das sagt, betrachtet mit einer Psychologin eine Zeichnung, auf der ein Mädchen vor einer Gruppe Menschen im Hintergrund abgebildet ist. Er legt dieser Figur seine Interpretationen in den Mund, die auch auf seine Erlebnisse in der Institution zutreffen könnten, in der er sich gerade befindet. Es ist die Abteilung für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am niederösterreichischen Landesklinikum Tulln.
Der in Wien lebende Dokumentarfilmer Constantin Wulff (In die Welt, Ulrich Seidl und die bösen Buben) hat den Alltag in dieser Klinikabteilung über einen Zeitraum von eineinhalb Jahren mit der Kamera begleitet. Im Stil des Direct Cinema, ohne Kommentare, Interviews und Statements, fängt der Film die verschiedensten Beobachtungen ein. Team- und Fallbesprechungen, spieltherapeutische Momentaufnahmen, Gespräche zwischen Arzt und Patient fügen sich zu einem vielschichtigen Gesamtbild. Ein Junge verweigert sich dem Unterricht, eine Pädagogin müht sich ab, ihn aus dem Flur wieder in den Schulraum zu bringen. Später, in einer Fallbesprechung, äußern einige Therapeuten und Betreuer Verständnis für sein Verhalten. Der Junge wisse ja gar nicht, wohin er als nächstes komme, wie es für ihn weitergehe und niemand könne ihm das sagen, gibt eine Mitarbeiterin zu bedenken.

Die hier vorgestellte Kinder- und Jugendpsychiatrie ist nur eine kurze Zwischenstation im Leben ihrer Patienten. Auffällige Kinder und Jugendliche werden dorthin wie zur Reparatur gebracht. Dabei fängt die Konfusion schon oft bei der Diagnostik an, ganz so wie es der anfangs genannte Junge beschreibt. Denn in dem abweichenden Verhalten der Patienten spiegelt sich viel von dem Druck wider, den sie in der Familie und dem weiteren sozialen Umfeld erleben. In den Besprechungen taucht oft die Sorge auf, dass zu klare Worte eine Familie überfordern, auf die das Kind angewiesen ist. Die Mitarbeiter wissen, dass sie die Patienten sehr bald wieder in eine ungewisse Zukunft entlassen und dass ihre Entscheidungen und Kompromisslösungen auch falsch sein können.

Da ist zum Beispiel die Jugendliche, die an einer Essstörung leidet und sich die Unter- und Oberarme unzählige Male aufgeritzt hat. Immer wieder gibt es Rückfälle. Die lächelnde, aber verschlossene junge Frau macht ihrem Arzt große Sorgen. Er versucht im Gespräch immer wieder, sie zur Eigenverantwortung und Selbstkontrolle zu animieren. Aber die Patientin, die ein selbstbestimmtes Leben führen will, hat dazu noch keine wirklich praktikable Einstellung gefunden.

Die Ärzte und Therapeuten setzen auf den Dialog und die Kooperation mit den Patienten. Aber im äußersten Notfall gibt es auch, wie eine Szene zeigt, das Mittel der Fixierung. Und in einer aufgewühlten Diskussion zerbrechen sich die Mitarbeiter über die Frage den Kopf, ob sie einer ausgerissenen Patientin, die sich selbst gefährden könnte, auf der Straße nachlaufen dürfen oder sogar sollen. Auf ihre Weise, das machen diese vielen kurzen Momentaufnahmen klar, ist auch die Psychiatrie oft latent überfordert und ratlos.

Der Film wirft viele Fragen auf und das Schicksal der jungen Patienten, die oft nur sehr kurz vor der Kamera auftauchen, bewegt einen als Zuschauer unweigerlich. Gerne hätte man mehr erfahren über sie, den einen oder anderen Fall näher betrachtet. Aber Wulff wahrt die Distanz mit seinem Puzzle aus lauter einzelnen Beobachtungsschnipseln. Dabei bleiben viele Eindrücke unvollständig, aber es zeigt sich auch, wie wichtig es ist, der traditionellen Stigmatisierung psychischer Leiden entgegenzuwirken, indem man eine solche Behandlungsstätte überhaupt besucht. Vielleicht reicht es schon, dem anfangs zitierten Jungen zuzuhören, damit er sich nicht mehr als so anders empfindet.

Wie die anderen

„Alle fragen sich, warum ich so seltsam bin. Keiner weiß eine vernünftige Erklärung. (…) Ich hoffe, ich werde mich bald ändern, so dass ich wie die anderen sein kann.“ Der Junge, der das sagt, betrachtet mit einer Psychologin eine Zeichnung, auf der ein Mädchen vor einer Gruppe Menschen im Hintergrund abgebildet ist.
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