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Die Geschichte von Romeo und Julia ist zeitlos. Maria und Tony lieben sich, doch sie dürfen nicht zusammensein. Sie ist Puerto-Ricanerin, er US-Amerikaner, und damit ist das Paar in den 1950er Jahren in New York eine explosive Mischung. Steven Spielberg verfilmt das berühmte Musical neu.

West Side Story (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Romeo und Julia in New York

Nach „Dear Evan Hansen“ feiert mit „West Side Story“ innerhalb von kurzer Zeit das zweite Filmmusical, das die Zuschauer über zweieinhalb Stunden in eine gesungene Welt entführen will, seine Veröffentlichung. Beide Produktionen basieren auf einem ursprünglich auf der Bühne aufgeführten Musical, nur liegen die Entstehungszeiten der Werke viele Jahrzehnte auseinander. Während „Dear Evan Hansen“ sich bemüht, einen zeitgenössischen Stoff in den Vordergrund zu stellen, verharrt „West Side Story“ in der Vergangenheit und widerspiegelt eine soziale und politische Realität, die in gewissen Aspekten vielleicht noch heute ihre Gültigkeit hat, doch insgesamt veraltete Wertvorstellungen transportiert.

Verankert ist die Neuinterpretation der Romeo-und-Julia-Geschichte, die bereits Autor Arthur Laurents und Choreograph Jerome Robbins ihrem Musical 1957 zugrunde gelegt haben, in den 1950er Jahren. Dazu passt die Auseinandersetzung mit der Entwicklung New Yorks der Zeit, die am Anfang der Gentrifizierung der West und East Side der Stadt stand. Weiter greift das Musical die Thematik der Einwanderung der Puerto-Ricaner auf, die genau in diesen Jahren massiv stattgefunden hat. Auch wenn diese Problematiken immer noch von Interesse sind – wobei es nicht geschadet hätte, modernere Parallelen herzustellen –, so liegt die grundsätzliche Fragwürdigkeit des Films vielmehr darin, in der aktuellen Version von West Side Story am eindimensionalen Frauenbild, das die Geschichte prägt, festzuhalten.

Die Handlung spielt sich zwischen Riff (Mike Faist), Chef der Jugendbande Jets, Tony (Ansel Elgort), ehemaliges Mitglied der Jets und bester Freund von Riff, und Bernardo (David Alvarez), Chef der Jugendbande Sharks, die aus Puerto-Ricanern besteht, ab. In einem großen Kampf der beiden Gangs sollen die Machtverhältnisse im Viertel endgültig geklärt werden. Bernardo will sich zudem an Tony rächen, weil er unerlaubt seiner Schwester Maria (Rachel Zegler) nachsteigt. Die Frauen haben in dieser Konstellation nur wenig Spielraum. Bei den Jets sind ein paar Mädels als Freundinnen dabei, eine andere, die gerne Mitglied werden möchte, wird als Lesbe beschimpft und abgewiesen. Maria liebt Tony, muss aber mit Chino (José Andres Rivera) ausgehen, den ihr Bruder für sie bestimmt hat, und Anita (Ariana DeBose), Bernardos Freundin, kann sich lange beklagen, ihrem Freund kann sie die Vorzüge eines selbstbestimmten Lebens in den USA gegenüber der Gründung einer Großfamilie in Puerto Rico trotzdem nicht schmackhaft machen. Und schließlich Valentina (Rita Moreno), die Tony bei sich aufgenommen hat und als seine Ersatzmutter fungiert, kann lange auf diesen einreden, er macht doch, was er will.

Die Frauen sind die, die von einer besseren Zukunft träumen, die an die Kraft der Liebe glauben. Sie sind es, die auch für die Verwirklichung ihrer Wünsche arbeiten. Am Ende müssen sich sich aber fügen und mit den destruktiven Entscheidungen sich abfinden, die die Männer, getrieben von ihrem vermeintlichen Ehrgefühl, ihrer Gier nach Macht und ihrem Selbsthass, durchsetzen.

Regisseur Steven Spielberg gab an, gegenüber der Verfilmung von 1961 eine Größere inhaltliche Nähe zur Musicalvorlage anstreben zu wollen. Und tatsächlich weicht er von dem Werk von Robert Wise, das gemeinsam mit den gleichen Jerome Robbins und Arthur Laurents, die bereits das Musical mitkonzipierten, entstanden war, in manchen Punkten ab. Dies betrifft beispielsweise den Beruf der weiblichen Hauptfigur, die in der Version von Wise eine Schneiderin, aber bei Spielberg Putzfrau ist. Auch findet eine der großen Auseinandersetzungen im älteren Film unter einer Autobahnbrücke, im neueren aber in einem, visuell sehr eindrücklichen, Salzlager statt. Der größte Unterschied zwischen den beiden Werken besteht aber darin, dass Spielberg alle Rollen, die Puerto-Ricaner darstellen, auch von Puerto-Ricanern oder von US-amerikanischen Darstellern mit puerto-ricanischen Wurzeln besetzt hat, während dies bei Robert Wise nur in Ausnahmen der Fall war.

Über diese wenigen Tatsachen hinaus überwiegen aber bei weitem die Gemeinsamkeiten der beiden Filmmusicals. Diese beginnen damit, dass die Schauspielerin, die 1961 die Anita spielte, Rita Moreno, nun bei Spielberg als 70-Jährige in der Rolle der Krämerladenbesitzerin eingesetzt wurde. Darüber hinaus bleibt Spielberg, obwohl ihm sechzig Jahre später ein breites Repertoire an technischen Möglichkeiten für Neuerungen zur Verfügung gestanden hätte, dem visuellen Konzept von 1961 weitgehend treu. So sieht man auch bei ihm in der Eröffnungssequenz die Stadt New York aus der Vogelperspektive, die bei Spielberg, zugegebenermaßen, etwas spektakulärer ausfällt. Die Kamera fährt über die Ruine einer Wohnsiedlung, die bald ganz einem Neubau von Wohnungen eines neuen Standards Platz machen wird.

Die Anspielungen an Romeo und Julia lässt Spielberg auch alle nicht aus, ganz egal, ob der berühmte Balkon zur Feuertreppe wird oder die Kapelle, in der das Liebespaar heimlich verheiratet wird, zu einem mittlerweile als Museum dienenden Kreuzgang einer Kirche. Vergleichen könnte man Spielbergs West Side Story in Bezug auf die Romeo-und-Julia-Thematik mit dem Versuch den Baz Luhrmann in seinem William Shakespears Romeo + Julia (1996) unternommen hat. Leider erreicht Spielberg aber die Frische und Geschlossenheit nicht, die Luhrmanns Film ausmacht.

Unbestreitbar ist, dass bei Spielberg durchaus eine gewisse mitreißende Dynamik entsteht, die die lange Spieldauer kürzer erscheinen lässt. Der Gesang fällt nicht immer gleich gut aus, doch einzelne Lieder wie America oder Tonight, die den Originaltexten von Stephen Sondheim treu bleiben, sorgen für den Wiedererkennungswert und auch einige unbeschwerte Momente. Die Musik, auch original noch von Leonard Bernstein, stellt sich bei genauerem Hinhören allerdings als etwas flach heraus, an gewissen Stellen, wo die Tonlage im Fortissimo verharrt, wirkt sie ziemlich aufdringlich.

Schließlich nimmt sich West Side Story viel zu viel Zeit für die ersten Zweidrittel der Handlung und spult dann im Schnelltempo das große Finale ab, das den emotionalen Höhepunkt hätte ausmachen sollen. Damit verpasst der Film die Gelegenheit seine Botschaft, die man vielleicht darin sehen könnte, dass es die wahre Liebe gibt und sie auch Feinde zusammenbringen kann, nachhaltig zu vermitteln.

West Side Story (2021)

„West Side Story“ ist ein Musicalfilm von Steven Spielberg. Es handelt sich nach „West Side Story“ aus dem Jahr 1961 um die zweite Verfilmung des gleichnamigen Musicals von Leonard Bernstein, Stephen Sondheim und Arthur Laurents.

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Meinungen

Hugo · 21.12.2021

Inhaltlich kann ich die Kritik am Film ja nachvollziehen, aber musikalisch - also bitte! Bernsteins Musik stellt sich also bei genauerem Hinhören als etwas flach heraus? Einzelne Lieder sorgen für unbeschwerte Momente? Der Gesang fällt nicht immer gleich gut aus? Also wenn man keine Ahnung hat, soll man sich besser auch nicht zu nichtssagenden bis hanebüchern verfehlten Urteilen über die Musik und die ausführenden Musiker*innen hinreissen lassen. Ich mag auch nicht alles an der neuen West Side Story, aber musikalisch kann man reichlich wenig aussetzen daran. Und wer sich tatsächlich berufen fühlt, an der Musik von Bernstein herumzumäkeln, der oder die soll bitte konkreter werden - oder für immer schweigen!

Leolina · 11.12.2021

Nein, Rita Morena hat 1961 nicht die Hauptfigur Maria gespielt - das war Natalie Wood. Rita Morena war die Anita. Sie blieb aber in eindrücklicher Erinnerung, ihres Temperaments und ihres differenzierten Spieles wegen, die aus der Anita einen lebendigen Charakter machen, während die Maria, schon in der Vorlage ziemlich ans amerikanische Frauenideal angepasst, durch Natalie Woods konventionelle Interpretation die viel flachere und uninteressantere Figur abgibt....