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Deutscher Regietitan, internationale Dokumentarfilmikone, legendärer Sprecher und Kinski-Bändiger, wortgewaltiger Schriftsteller, chronisch risikosuchender Weltreisender und Kultfigur der Pop-Kultur in den USA: Werner Herzogs Jahrhundertleben – brillant eingefangen von Thomas von Steinaecker.

Werner Herzog - Radical Dreamer (2022)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Obsessiver Visionär

„Das bin ich! Das ist meine Landschaft“. Werner Herzog steht nach Jahrzehnten wieder mit einem Lausbubenlächeln vor seinem Wasserfall in Sachrang im Chiemgau. Von dieser überirdisch schönen Landschaft aus hat es der von Mythen umrankte Ausnahmeregisseur (Fitzcarraldo / Aguirre, der Zorn Gottes) und Schriftsteller (Vom Gehen im Eis / Das Dämmern der Welt) bis nach Hollywood und in die wichtigsten Kinematheken der Welt geschafft. Vor allem aber in die Herzen der cinephilen Weltgemeinschaft, die ihn, egal ob jung oder alt, mittlerweile nicht selten göttergleich verehrt, was dem bayerischen Filmemacher selbst schon nicht mehr ganz geheuer ist.

Er könnte ja in direkten Begegnungen mit selbst erklärten Herzogianer*innen auch nur wieder auf dümmliche „Kretins“ stoßen, wie es ihm in den letzten Jahren weltweit immer öfters passiert. Aber 13.400.000 Ergebnisse in 0,56 Sekunden per Google müssen eben doch auch irgendwo herkommen. Das wird nun in Thomas von Steinaeckers faszinierendem Dokumentarfilm Werner Herzog – Radical Dreamer im Hinblick auf seinen Status als Kultfigur der amerikanischen Pop- und Netz-Kultur von Star Wars bis zu den Simpsons durchaus selbstironisch herausgearbeitet.

Hier unmittelbar an der bayerischen-österreichischen Grenze fernab von High-Tech-Gespinsten aus dem Silicon Valley wuchs der bedeutendste deutsche Filmemacher der Gegenwart ohne Telefon oder Warmwasseranschluss auf. Dafür aber zusammen mit seinen (Halb-)Brüdern in herrlich freigeistiger Nachkriegsanarchie, wenn auch in Armut und ohne Vater, wie es der inzwischen 80-jährige Regisseur zuletzt auch schon in seinen wunderbaren Anti-Memoiren Jeder für sich und Gott gegen alle. Erinnerungen (Hanser Verlag) literarisch reflektiert hat.

Gerade in diesen intimen Szenen wie zum Beispiel mit Herzogs vierter Frau Lena im Sachranger Tal oder oben alleine auf der Alm kommt Thomas von Steinaecker der radikal selbstbewussten Autorenfilmerlegende erstaunlich nahe. Dort in der Abgeschiedenheit der oberbayerischen Zauberlandschaft entlockt ihm der 1977 in Traunstein geborene von Steinaecker durchaus manchen O-Ton, den man noch nicht aus dem Meer endloser Interviews mit Herzog kennt. In diesen schimmern schließlich seit jeher eine große Portion Selbststilisierung und Größenwahn durch, genauso wie Herzogs unnachahmliche Neugierde auf noch nie gesehene Bilder, scheiternde Einzelgängerfiguren oder extrem abgeschiedene Flecken des Erdballs, die sein mannigfaltiges Œuvre seit 1962 auf einzigartige Weise durchziehen. 

Handwerklich solide, mit verlässlichen Herzog-Kennern wie Wim Wenders, Chloé Zhao, Thomas Mauch, Joshua Oppenheimer oder Volker Schlöndorff als zusätzlichen O-Ton-Gebern und visuell ohne Scheu vor Pathos inszeniert. Dem in Augsburg lebenden Schriftsteller (Das Jahr, in dem ich aufhörte, mir zu Sorgen zu machen, und anfing zu träumen), Journalisten und Hörspielautor von Steinaecker gelingt eine filmisch facettenreiche Hommage an den bayerischen Regiesolitär, die Herz und Hirn erreicht. Selbstverständlich wird auch der Kinski-Fitzcarraldo-Kosmos sowie seine künstlerische Neuerfindung in den mittleren 1990ern von Neuem illuminiert.

Ergänzt durch rares Archivmaterial, unterhaltsame Streifzüge durch Herzogs langjährige amerikanische Wahlheimat Los Angeles und teils erstaunlich offene Auskünfte des bayerischen Fitzcarraldos in puncto Kindheit, Frauen und Karriere, wird der titelgebende Begriff eines radikalen Träumers in entsprechende Filmbilder übersetzt. Dabei geht es Thomas von Steinaecker glücklicherweise in keiner Sekunde darum, möglichst vielschichtig hinter die Aura des obsessiven Visionärs zu blicken oder dessen spezielle Recherche- oder Drehbedingungen mit investigativen Methoden weiter zu dechiffrieren. Das haben in der Vergangenheit schon viele versucht – und sind damit am Ende alle gnadenlos gescheitert: Der Meister lässt sich eben nie gerne, gar gänzlich in die Karten blicken.

Und so bleibt in der Summe ein gleichfalls unterhaltsamer wie schmaler Grat zwischen Heldenverehrung (Wim Wenders: „Nichts ist untypisch für Werner Herzog. Nur das Untypische ist typisch für ihn“) und kluger Neubewertung des Herzog’schen Gesamtwerks bestehen, der dieses ausgezeichnete Porträt absolut lebendig hält, weil darin keineswegs alle Fragen à la „Everthing you always wanted to know about … Werner Herzog“ hinreichend beantwortet werden wollen. Vielmehr halten sich Magie und Mystik, Toughness und Titanenhaftigkeit in Werner Herzog – Radical Dreamer auf ebenso bildstarke wie elegant montierte Weise die Waage, was so auch dem Porträtierten selbst gefallen dürfte. Denn vor allem Herzogs bayerische Seelenlandschaft zwischen Achternbusch und Aschau, der Kern dieses Films, wird darin wunderbar greifbar.

 

Werner Herzog - Radical Dreamer (2022)

Anlässlich des 80. Geburtstags des Filmemachers Werner Herzog, der als einer der ganz wenigen Regisseure in den USA reüssieren konnte, widmet ihm Thomas von Steinaecker ein ausführliches Porträt

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