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Fast drei Jahrzehnte zusammen – und plötzlich ist alles aus. In der Leinwandadaption seines eigenen Bühnenstücks schildert William Nicholson die Auswirkungen einer Trennung und kann dabei auf Annette Benings und Bill Nighys Schauspielfähigkeiten zählen.

Wer wir sind und wer wir waren (2019)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Aus am Frühstückstisch

Der malerische Schauplatz lässt anfangs handfeste Befürchtungen aufkommen. Ist „Wer wir sind und wer wir waren“ womöglich ein Drama im Rosamunde-Pilcher-Stil? Sollen hier eindrucksvolle Bilder der südenglischen Küstenlandschaft seichtes Geplänkel attraktiver machen? Glücklicherweise hat die Leinwandadaption des Bühnenstücks „Der Rückzug aus Moskau“ mehr zu bieten als einnehmende Strand- und Klippenimpressionen. Drehbuchautor und Regisseur William Nicholson (für seine Skriptarbeit bei „Shadowlands – Ein Geschenk des Augenblicks und Gladiator“ oscarnominiert), der hier sein eigenes Theaterwerk ins Kino transportiert, kommt zwar nicht ohne Plattitüden und aufgesetzte Momente aus, erzählt aber dennoch kraftvoll von einer Ehe, die nach rund 29 Jahren plötzlich in die Brüche geht.

Dass Grace (Annette Bening) und Edward (Bill Nighy) inzwischen mehr neben- als miteinander leben, verdeutlichen schon die ersten Szenen. Die Rückfragen seiner lyrikliebenden Gattin beantwortet der Geschichtslehrer so knapp wie möglich. Und statt sich nach ihrem Tag zu erkundigen, scheint er vor allem daran interessiert zu sein, seiner großen Leidenschaft nachzugehen: historische Ungenauigkeiten in Wikipedia-Artikeln zu korrigieren. Die Gleichgültigkeit ihres Mannes nervt die diskussionsfreudige Grace gewaltig. Ihre Beziehung aufzugeben, kommt ihr deshalb jedoch nicht in den Sinn. Entsprechend perplex reagiert sie, als Edward ihr am Frühstückstisch erklärt, dass er sie verlassen werde, da er eine andere Frau kennengelernt habe, die ihn mit all seinen Fehlern akzeptiere. Damit Grace in diesem schmerzhaften Augenblick nicht allein ist, hat er ihren gemeinsamen Sohn Jamie (Josh O’Connor) nach Hause bestellt, den die Ankündigung ebenfalls erschüttert.

Keine Frage, Wer wir sind und wer wir waren entwirft ein recht klassisches Szenario, in dem die Frau die impulsive Rolle übernimmt und der Mann den schweigsamen, in sich zurückgekehrten Part. Annette Bening und Bill Nighy legen in ihre Darbietungen allerdings so viel Überzeugungskraft, dass ihre Figuren auf einmal gar nicht mehr so klischiert daherkommen. Während die US-Schauspielerin den Temperamentsbolzen Grace in eine Persönlichkeit mit Ecken und Kanten verwandelt, die zwischen großer Verzweiflung und bösem Sarkasmus schwankt, glänzt ihr britischer Kollege mit Understatement. In Edwards Gang, seiner Sprechweise drücken sich eine Resignation und eine Müdigkeit aus, die der Lehrer offenbar bereits eine ganze Weile mit sich herumschleppt. 

Hoch anrechnen muss man Nicholson, dass er nach der Trennungsoffenbarung den Empfindungen und Argumenten aller Beteiligten Aufmerksamkeit schenkt und dabei keine Wertungen vornimmt. Die Trauer, die Grace befällt, kann man nachvollziehen. Immerhin ist sie diejenige, die plötzlich mit einer Situation klarkommen muss, an die sie bislang keinen Gedanken verschwendet hat. Ihr manchmal ungerechtes, aggressives Verhalten nach dem Auszug ihres Mannes lässt aber auch erahnen, warum Edward eine so harte Entscheidung getroffen hat. Jamie wiederum steht zwischen den Stühlen, will sich auf keine Seite schlagen und leidet genau unter dieser Mittlerposition. An seinem Beispiel zeigt Wer wir sind und wer wir waren, wie sehr selbst erwachsene Kinder daran zu knabbern haben, wenn die Illusion einer glücklichen elterlichen Ehe zerbricht. 

Nicholsons Beziehungsdrama liefert keine bahnbrechenden Erkenntnisse, arbeitet die falschen Erwartungen und die enttäuschten Hoffnungen von Grace und Edward aber in einigen aufwühlenden Passagen pointiert heraus. Neben Trauer, Frustration und Wut blitzt dabei sogar immer mal wieder eine absurde Komik auf, die man in einem solchen Rahmen nicht unbedingt erwarten würde. 

Gerade weil der Film lange Zeit versucht, ausgewogen zu erzählen, unterschiedliche Standpunkte nebeneinander zu stellen, ist es ärgerlich, dass er im letzten Drittel plötzlich doch die Abzweigung in Richtung moralischer Wertung nimmt. Mit wem man hier mehr sympathisieren soll, wird dem Publikum durch eine plakative Szene auf einmal deutlich unter die Nase gerieben. Ähnlich überflüssig wie diese Wendung sind die regelmäßig auftauchenden Voice-over-Einschübe, in denen Grace Gedichte und Edward historische Schriften zitiert. Was dem Geschehen Tiefe verleihen soll, wirkt leider bloß prätentiös und gekünstelt.

Wer wir sind und wer wir waren (2019)

Grace und Edward sind bereits 29 Jahre verheiratet, als er beschließt, seine Ehefrau zu verlassen. Als Edward dies seinem erwachsenen Sohn Jamie während eines Wochenendes an der Küste eröffnet, beginnen drei Leben aus den Fugen zu geraten.

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