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Ein tragischer Autocrash, ein radikaler Neuanfang und leise Hoffnungsschimmer für ein Dasein im hier und jetzt: Für den HFF München-Absolventen Erec Brehmer brach in einem einzelnen Moment des Lebens alles zusammen, als seine Lebensgefährtin Angelina neben ihm mit 29 Jahren tödlich verunglückte.

Wer wir gewesen sein werden (2021)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Aus dem Nichts zurück ins Leben

„Wer wir waren, ist vorbei seit diesem Tag. Aber manches ist noch offen“, fasst der anfangs psychisch wie körperlich schwer gebeutelte Filmemacher Erec Brehmer einmal brutal nüchtern das eigene Lebenstrauma zusammen. Für ihn und seine große Liebe Angelina ist kurz zuvor, nach einem heiteren Ski-Wochenende mit Freunden, urplötzlich das Lebenslicht ausgegangen. Anstatt die nächsten Schritte, sprich Heirat und/oder Kinderwunsch konkreter ins Auge fassen zu können, endete ihre gemeinsame Paarzeit mit einem harten Faustschlag des Schicksals.

Während er vertieft in seine Laptoparbeit neben ihr auf dem Beifahrersitz saß, steuerte sie das Fahrzeug aus unerklärlichen Gründen in die Mitte der Fahrbahn einer an sich ruhigen Landstraße und in das Auto einer entgegenkommenden Seniorin. Was folgt und mithilfe eines emotionalen Voice-overs in Wer wir gewesen sein werden eindringlich erzählt wird, ist die größtmögliche Katastrophe im Leben eines jedes Paares: Hektischer Feuerwehreinsatz, die Trennung der Liebenden noch an der Unfallstelle, der rasche Helikopterflug ins nahe gelegene Unfallkrankenhaus sowie die fürchterliche Ungewissheit des Überlebenden: Was ist meiner Angelina passiert? Ist sie trotz allem ansprechbar, hat sie Schmerzen, wo und vor allem wie wird sie gerade medizinisch behandelt?

Keine(r) hat Erec, der diesen schlimmen Verkehrsunfall mit vielen Brüchen und noch mehr seelischen Narben überlebt hat, die unmittelbare Wahrheit sagen wollen: Nämlich, dass Angelina tot ist. Und für sie jede Hilfe unweigerlich zu spät kam. Dabei hatte er doch noch im eigenen Blackoutmodus begriffen, ihre schönen dunklen, langen Haare über ihrem Kopf nach vorne hängen sehen, als sie aus dem stark gequetschten Auto geschnitten werden musste. Es muss ihr doch gut gehen, verdammt nochmal! „Ich wünschte, ich wäre gestorben“, wird der Filmemacher später niedergeschmettert klagen.

Wie soll es weitergehen, wenn der liebste Lebensstern so plötzlich für immer erloschen ist? Und will er selbst überhaupt weiterleben? Rasch folgt der erste Zusammenbruch sowie die schmerzliche Erkenntnis: Ich werde es alleine nicht schaffen. Ich bin stark suizidgefährdet. Ich muss mir dringend professionelle Hilfe holen. Kurz zuvor hatte der Münchner Filmemacher und gleichzeitige HFF München-Absolvent (La Palma) von einer engen Freundin erfahren, dass Angelina im Stillen schon den Hochzeitsring ausgesucht und sehnsüchtig auf Erecs Heiratsantrag gewartet hatte.

Durch das mitreißende Handyvideomaterial, das vor dem Unfall bei der Hochzeitsfeier von Freunden in ausgelassener Stimmung entstanden war, aber auch mittels der mitunter irritierend intimen Einblicke in die Beziehung dieses so ungleichen Paares erlaubt Brehmer dem Publikum eine intensive Teilhabe. Diese ungemein berührenden Sequenzen werfen zudem zehrende Fragen über Beziehungen in unser aller Leben auf: Kennt man sich wirklich so gut, wie beide Partner denken? Trägt jede(r) Liebende(r) tatsächlich die volle Last, die jede Paarbeziehung automatisch in sich trägt, mit gleichviel Elan?

Das ist in seiner runden, extrem klugen Montage durchgängig packend in Szene gesetzt. Die gekonnte Auswahl der dokumentarischen Erzählmittel setzt sich aus Chatverläufen, privaten Notizen, Screenshots aus diversen Social-Media-Plattformen und reichlich Material aus Home-Movies zusammen. Die am Anfang gestellten Fragen werden jedoch keineswegs umfassend beantwortet, eben weil es schlichtweg keine Antworten darauf gibt; der Film umkreist den Schmerz einer Leere.

Am Ende bleibt diese brutal aus dem Leben gerissene Angie, die eigentlich Bierbrauerin werden wollte, aber bei ihrem Fachstudium in Weihenstephan scheiterte, selbst das größte Rätsel dieses außergewöhnlichen Films über Trauer, Liebe und Bewältigung. Durch gekonntes Storytelling fesselt Wer wir gewesen sein werden von der ersten bis zur finalen Einstellung, berührt und schockiert durch eine Offenheit, die im Subtext viel über Liebe in Zeiten von Tinder und Social Media erzählt. Damit zählt er schon jetzt zu den stärksten Dokumentarfilmen dieses Jahres, der sich in seinen besten Passagen mit Doris Dörries und Werner Penzels berührender Trauerelegie …augenblick… (1997) messen kann. Denn Brehmers Fragmente einer Sprache der Liebe, um an dieser Stelle den Titel eines berühmten Buches von Roland Barthes ins Spiel zu bringen, sind außerordentlich – und treffen mitten ins Herz.

Wer wir gewesen sein werden (2021)

Für den Filmemacher Erec Brehmer bricht eine Welt zusammen, als seine langjährige Lebensgefährtin Angelina Zeidler bei einem gemeinsamen Verkehrsunfall stirbt. Mithilfe von Amateuraufnahmen, Sprachnachrichten, Tagebucheinträgen und gemeinsam gehörter Musik begibt er sich auf die Suche nach Orten und Situationen, in denen er seiner verstorbenen Freundin wiederbegegnen kann. So entsteht nicht nur ein kraftvolles, authentisches Dokument einer Trauerbewältigung, sondern auch eine sinnliche Aufforderung an das Leben.

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