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Özgür Anil zeigt die Lebensrealität junger Menschen Mitte 20 zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Eine von abgeklärter Resignation durchzogene Generationsstudie, die über wenige erzählerische Höhepunkte verfügt, aber durch starke Darsteller:innen getragen wird.

Wer wir einmal sein wollten (2023)

Eine Filmkritik von Anke Zeitz

Alles eh gut, alles eh egal...

Die Zustandsbeschreibung einer Generation — ein gern gewähltes Thema von Nachwuchsfilmschaffenden, die nach dem Motto „Erzähl, was du weißt“ über ihre Figuren vielleicht auch einen kleinen Einblick in ihre eigene Lebenswirklichkeit geben. Özgür Anil nimmt das Publikum in seinem Film „Wer wir einmal sein wollten“ mit in die Lebensrealität junger Menschen Mitte 20, die feststecken zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Und die durch Desillusionierung in die Antriebslosigkeit getrieben werden. Eine von abgeklärter Resignation durchzogene Generationsstudie, die über wenige erzählerische Höhepunkte verfügt, aber durch starke Darsteller:innen getragen wird.

Im Grunde ist Anna, die Protagonistin des Films, die ganze Zeit über stille Beobachterin. Schon in der ersten Szene schaut sie zu, wie andere auf der Bühne stehen und proben. Sie selbst tritt erst auf, als die Regie- und Schauspielstudent:innen ihre Hilfe bei den Scheinwerfern brauchen. Doch Anna ist das egal. Scheinbar gleichgültig blickt sie auf das, was um sie herum passiert, lernt für das Nachholen ihrer Matura mit einem guten Freund, arbeitet im Studierendensekretariat, hat ein lockeres Verhältnis mit einem eitel-unsicheren Nachwuchsregisseur und lebt eben ihr Leben. Ohne Höhen und Tiefen.

Doch dann kommt ein Störfaktor dazu, von dem Anna dachte, sie hätte ihn aus dem Leben verdrängt: ihr Bruder, der noch bei der Mutter lebt, hohe Spielschulden und Probleme mit Geldeintreibern hat – und der nun bei Anna auf der Couch schläft. Und so gräbt sich Stück für Stück die ganze Frustration Annas an die Oberfläche. Wut auf ihren Bruder, der nichts auf die Reihe kriegt, Wut auf ihre Mutter, mit der sich Anna nicht versteht. Wut auf ihren Freund, der sie abschiebt, sobald sich für ihn eine bessere Zukunftsaussicht bietet und vor allem Wut auf sich selbst, weil sie nicht vorankommt im Leben. Und weil sie doch auch eigentlich einmal etwas sein wollte.

Das an der Filmakademie Wien entstandene Langspielfilmdebüt von Özgür Anil, das im diesjährigen Spielfilmwettbewerb des Max-Ophüls seine Premiere feierte, lässt seine Protagonistin Anna scheinbar ziellos abgestumpft durch ihren Alltag gehen. Doch die so entstehende Ziellosigkeit ist Programm und lässt tief blicken in die Zustände einer Generation Z, die in einer schnelllebigen Welt, in der man sich am besten sofort für eine Zukunft oder Karriere entscheidet, ihren Weg suchen muss – und ihn dann eben auch manchmal, so wie in Annas Fall, verliert. Anna Suk spielt ihre Rolle überzeugend, auch wenn die Gleichgültigkeit, die sie in jeder Situation an den Tag legt, für das Publikum stellenweise arg enervierend sein kann. Und doch fängt die Kamera von Lukas Allmaier Momente ein, in denen man spürt, wie sie mehr fühlen will, mehr erreichen will, mehr sein will. Immer aber scheitert sie an ihrem jeweiligen Gegenüber. Die gesamte Atmosphäre des Films wirkt gefühlskalt, auch einen Score gibt es nicht, der das Ganze irgendwie auflockern könnte.

Eine starke und in Saarbrücken für die beste Nachwuchsleistung ausgezeichnete Darstellung liefert Augustin Groz, der als Annas Bruder Patrick eine tragische Figur abgibt. Wie gehetzt wirkt er, als er Anna – und jeden, den er kennt – um Hilfe bittet, das Geld aufzutreiben, das ihn davor schützt, von irgendwelchen miesen Typen verprügelt zu werden. Doch jede Chance, die ihm gegeben wird, vermasselt er, weil auch er im Grunde antriebslos ist und gar nicht weiß, was er mit seinem Leben anfangen soll. Doch in einer Szene, dort im Zuschauerraum des Theaters, da bricht auch aus ihm etwas heraus. Ganz subtil spielt Groz das, und ganz subtil fängt der Film es ein.

Im Vergleich mit anderen filmischen „Zustandsbeschreibungen“ der Generation Z, etwa Golden Twenties (2019) von Sophie Kluge oder Einmal bitte alles (2017) von Helena Hufnagel, wirkt Wer wir einmal sein wollten sperrig und unnahbar. Das mag an der dokumentarischen Erzählweise ohne wirkliche erzählerische Höhepunkte liegen oder an dem Verzicht auf jegliche Musik oder filmisch erzeugte Atmosphäre. Dazu verweigert der Film auch seiner Hauptfigur jegliche Entwicklung. Dass er aber definitiv das Potenzial für ungewöhnliche Momente in sich trägt, zeigt sich in (leider nur) zwei Szenen: Einmal scheint Anna von einem kleinen Mädchen zu träumen, dem sie im Theater begegnet und dem sie helfen will. Doch statt ihre Hilfe anzunehmen, springt das Mädchen aus dem Fenster. Ganz am Ende wird dieses Mädchen wieder auftauchen und eine Art offenen Schlusspunkt setzen, aus dem heraus viele Interpretationen möglich sind.

Es wäre spannend gewesen, mit Anil, seiner Hauptdarstellerin und der Geschichte diesen Weg weiterzugehen. Doch genau dann ist der Film zu Ende. Und als Zuschauende:r bleibt man zurück. Ein wenig desillusioniert, auch ein wenig abgestumpft. So wie Anna selbst. Das mag nicht wirklich befriedigend sein. Doch in jedem Fall konsequent.

Wer wir einmal sein wollten (2023)

Anna will endlich zu der Person werden, die sie schon immer sein wollte. Doch ihr Alltag lässt ihr dafür wenig Spielraum: In der Abendschule holt sie ihr Abitur nach, tagsüber hat sie einen Job als Portierin in einer Schauspielschule. Als plötzlich ihr in Not geratener Bruder auftaucht und sich in ihren Alltag drängt, droht der Versuch, sich ein eigenes Leben aufzubauen, zu scheitern. Die junge Frau muss sich entscheiden: zwischen der sozialen Verantwortung für ihre Familie und ihrem Streben nach Unabhängigkeit. (Quelle: Filmfestival Max Ophüls Preis 2023)

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