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Mit „If It Were Love“ setzt Patric Chiha ein Werk in Szene, das zwischen dokumentarischer Beobachtung, Interpretation und filmischer Erweiterung eines Theaterstücks changiert.

If It Were Love (2020)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Alors On Danse

Tanzen in einem Nachtclub – das hat per se ziemlich viel mit Schauspiel zu tun. Welches „Kostüm“ tragen wir? Mit welchen Bewegungen drücken wir aus, dass wir den Song gerade so richtig fühlen? Wo schauen wir hin? Wen sehen wir an? Und wessen Blicke wollen wir auf uns ziehen? Wir liefern eine Performance. Vielleicht flirten wir, überlegen uns, was wohl passieren würde, wenn wir uns einer anderen Person auf dem Dancefloor näherten. Und gewiss wäre es dann leichter, ein paar Regieanweisungen zu bekommen, um den Einsatz nicht zu vermasseln.

In ihrem Tanzstück Crowd erfasst die französisch-österreichische Choreografin und Theaterregisseurin Gisèle Vienne dieses Club-Feeling auf der Bühne. Angesiedelt ist das Ganze in der Rave-Szene der 1990er Jahre. Der Filmemacher Patric Chiha, der schon seit der Schulzeit mit Vienne befreundet ist, bringt nun eine Kamera ins Spiel, um If It Were Love zu drehen. Er selbst spricht nicht von einem Dokumentarfilm, der die Entstehung und Durchführung des Stücks behandeln würde, sondern von einer Adaption.

Mit seiner Kamerafrau Jordane Chouzenoux wirft er sich zum Teil mitten ins Bühnengeschehen hinein, um durch seine Auswahl an Einstellungen einen ganz eigenen Blick auf die 15 jungen Tänzer:innen in ihren Rollen zu erhalten. Und zum anderen lässt er die Mitwirkenden abseits der Bühne miteinander sprechen. So sitzt etwa ein Duo in einem dunkelblau ausgeleuchteten Raum hinter den Kulissen und redet darüber, welche Emotionen und Erfahrungen aus dem eigenen Leben in die Rolle eingebracht werden (müssen).

Vienne hat im Vorfeld ihrer Inszenierung des Stücks in Zusammenarbeit mit dem US-Schriftsteller Dennis Cooper Texte entwickelt, in denen die biografischen Hintergründe aller Figuren geschildert werden. Mit seinen düsteren Romanen, beispielsweise Closer (1990) und Frisk (1991), hat der Autor junge Filmschaffende wie Gregg Araki (Totally F***ed Up) beeinflusst – und auch die Sequenzen, die Chiha und Chouzenoux einfangen, atmen den Geist des unabhängigen queeren Nineties-Kinos.

Während Vorbereitungen getroffen werden (etwa das Auftragen eines temporären Tattoos via Stempel) oder die Verausgabung nach einer Vorstellung noch tief in den Knochen sitzt, verschwimmen zuweilen die Grenzen zwischen Wirklichkeit und Fiktion in den Unterhaltungen der Tanz-Company-Mitglieder. Werden da gerade echte Partyerlebnisse verhandelt – oder geht es um das, was in der Show passiert? Bleibt das, was sich auf der Bühne zuträgt, tatsächlich dort, oder setzt es sich womöglich offstage fort – beziehungsweise hatte es im echten Leben seinen Ursprung und wurde dann zur Kunst? Welche Beziehungen sind real, und was heißt das überhaupt?

Chiha hat If It Were Love zwischen seinem Dokumentarfilm Brüder der Nacht (2016) und seinem Spielfilm Das Tier im Dschungel (2023) umgesetzt. In diesen beiden Werken experimentierte er mit den Konventionen der Gattungen, lieferte im ersten Fall durch den Einsatz grell leuchtender Lichteffekte und durch eine betont kitschige Ausstattung keine typische dokumentarische Arbeit, und im zweiten Fall durch einen magischen Umgang mit der Zeit kein klassisches Erzählkino. If It Were Love, der 2020 mit dem Teddy-Award ausgezeichnet wurde, ist vielleicht sein wagemutigster Film, der sich noch schwieriger einordnen lässt.

Er beobachtet die Realisierung von Kunst, zeigt die Konstruktion, das Gemachte, wenn Vienne als Regisseurin Sätze wie „Bleib in der Spannung!“ einwirft, um ihre künstlerische Vision zu erfüllen. Und ebenso lässt er sich gänzlich auf das Geschaffene ein, auf die wilde Ekstase und die unterschwellige Melancholie. Wir sehen, wie die Tänzer:innen vor dem Auftritt mit Wasser besprüht werden – und sind doch wenig später bereit, zu glauben, dass es triefender Schweiß ist, der an ihnen klebt. Wir sehen, wie die Company Bewegungen einübt, die wie Zeitlupe anmuten sollen – und verfallen dann dennoch der Illusion, dass plötzlich alles verlangsamt und somit intensiver abläuft. Ganz so, wie es in einem Nachtclub ist, wenn wir alle unser persönliches Stück inszenieren – und trotzdem fast nirgendwo so echt und wirklich bei uns sind, wie in diesen Augenblicken auf der nächtlichen Tanzfläche.

If It Were Love (2020)

Patric Chiha dokumentiert in sinnlicher Filmsprache die Entwicklung und Aufführung von Gisèle Viennes Tanz-Performance „Crowd“. Mit lauten, elektronischen Beats bringt er das berauschende Fresko einer jungen Partycrowd im Neonlicht auf die Leinwand.

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