We Want Sex

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Amüsanter Klassen- und Geschlechterkampf mit den Waffen der Frauen

Gewerkschaften sind old-fashioned, Tarifverhandlungen dröge und Streiks für alle (außer den Streikenden selbst) vor allem nervig? Hört und schaut man sich in den letzten Jahren um, dann könnte man durchaus zu diesem Schluss gelangen. In einer Gesellschaft, die Solidarität und die Teilhabe Aller am (immer noch vorhandenen) Wohlstand eher kritisch betrachtet, erwecken solche Themen gerne mal den Ruch von Klassenkampf und sind damit hoffnungslos altbacken. In Großbritannien, so hat man zumindest das Gefühl, gehen die Uhren da noch ein wenig anders. Wobei in We Want Sex / Made in Dagenham von Nigel Cole (Kalender Girls) bei aller Sympathie für die working class-Heldinnen die offiziellen Gewerkschaftsvertreter durchaus ihr Fett wegbekommen. Dennoch ist die gut gelaunte Sozialkomödie in bester britischer Tradition kein primär politischer Film, sondern will in erster Linie unterhalten – eine Mission, die We Want Sex dank herzerwärmender Darstellerinnen und pointierter Dialoge auch locker erfüllt.
Dagenham im Nordosten Londons in ein klassischer Arbeiterbezirk (unter anderem stammt Billy Bragg von hier) und beherbergt seit 1931 ein großes Werk des US-amerikanischen Automobilkonzerns Ford. Man könnte auch sagen: Dagenham IST Ford, denn nahezu jeder, der hier lebt, arbeitet auch bei dem Unternehmen. Im Mai 1968, als in Paris die Barrikaden brannten, ist es in Dagenham noch ruhig. 55.000 Arbeiter fertigen hier pro Tag 3.000 neue Autos, unter ihnen befinden sich gerade mal 187 Frauen, die die Sitzbezüge für die Fahrzeuge in mühevoller Handarbeit fertigen. Nicht nur zahlenmäßig sind die Frauen hoffnungslos unterlegen, auch in Sachen Ergonomie und Arbeitssicherheit wird das kleine Grüppchen nicht ernst genommen und verrichtet das Tagwerk in einer maroden Fabrikhalle, die im Sommer unerträglich heiß und im Winter eiskalt ist. Als die Missachtung der Frauen noch durch den Entschluss des Managements im fernen Amerika, die Arbeiterinnen als „ungelernt“ einzustufen, verschärft wird, ist es mit der Geduld der Näherinnen zu Ende. Sie, die jahrelang alles klaglos hingenommen haben, begehren plötzlich auf gegen die Ungerechtigkeit und fordern (erstmals in der Geschichte) die gleiche Eingruppierung und Entlohnung wie ihre männlichen Kollegen. Zunächst scheint die Arbeitsniederlegung mangels Interesse wirkungslos zu verpuffen, zumal die offiziellen Arbeitnehmervertreter nicht gerade einen guten Job machen. Doch dann entwickelt sich der Streik zunehmend zu einer nationalen Angelegenheit. Was den männlichen Arbeitern und den Ehemännern der kämpferischen Ehefrauen nicht unbedingt passt, denn aufgrund der ausbleibenden Löhne und Gehälter wird es viele der Familie bald schon finanziell eng.

Nigel Coles We Want Sex ist eine weitere Variation der klassischen David-gegen-Goliath-Geschichte und vertraut ganz auf die vielfach erprobten Stärken der britischen Sozialkomödie im Gefolge von Filmen wie Ganz oder gar nicht. Man mag das vielleicht formelhaft finden oder streckenweise auch ein wenig naiv, wie hier soziale Spannungen und ein eigentlich ernstes (und auch heute noch aktuelles) Thema mit leichter Hand inszeniert werden – Tatsache ist aber, dass der Film trotz aller Vorhersehbarkeit unfassbar viel Spaß bereitet. Neben Sally Hawkins in der Rolle der Rita, die im Laufe der Geschichte zunehmend über sich hinauswächst, tragen vor allem die liebevolle gezeichneten Figuren und Darsteller(innen) wesentlich zum Gelingen des Filmes bei. Neben den Näherinnen stehen vor allem der Vorarbeiter und (als einer der wenigen positiv besetzte) Gewerkschafter Albert (eine Paraderolle für Bob Hoskins) und die streitbare Arbeitsministerin Barbara Castle, in England liebevoll „die feurige Rote“ (gespielt von Miranda Richardson) im Fokus. Letztere spielt auch in jene Szene, die für den etwas missverständlichen „deutschen“ Kinotitel verantwortlich ist, eine wichtige Rolle: Als die Arbeiterinnen vor dem Büro der Ministerin ein Transparent mit der Aufschrift „We want sex equality“ entrollen, liest die voreilige Ministerin zunächst „We want sex“ und seufzt verständnisvoll „Das Gefühl kenn ich“.

Immer wieder baut Nigel Cole historisches Material in die Geschichte ein, die 1970 im „Equal Pay Act“ mündet, und gibt auch strukturell einen Bezugsrahmen, der die Wichtigkeit der kämpferischen Näherinnen von Dagenham betont, ohne deshalb den Film zu einer langweiligen Geschichtsstunde umzufunktionieren. Mühelos kombiniert er den beschwingten Stil der „swinging sixties“ und die entsprechende Musik mit Einblicken in die männlich dominierte Politik und den Chauvinismus der Männer. Cole und sein Drehbuchautor William Ivory geben ihren Figuren durch Nebenhandlungen Charakter und Kontur und schildern mit Wärme und Sympathie eine Arbeitswelt, die beim allem Machotum noch weit entfernt ist vom heutigen Zynismus und der Ellenbogenmentalität. Bei so viel milder, aber niemals übertriebener Nostalgie wünscht man sich etwas vom pragmatisch-kämpferischen Geist der Arbeiterinnen zurück, die auch heute noch durchaus als Vorbilder dienen können.

Wenn man am Ende des Films im Abspann die realen Heldinnen von Dagenham sieht und ihre Heiterkeit registriert, dann kann man sich durchaus vorstellen, dass deren gute Laune daher rührt, dass sie vorher ihre eigene Geschichte im Kino mitverfolgen durften. Wundern würde einen das kaum.

We Want Sex

Gewerkschaften sind old-fashioned, Tarifverhandlungen dröge und Streiks für alle (außer den Streikenden selbst) vor allem nervig? Hört und schaut man sich in den letzten Jahren um, dann könnte man durchaus zu diesem Schluss gelangen.
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Meinungen

André Schröder · 22.03.2011

Der Film ist gut und macht auch nachdenklich, doch finde ich die Altersfreigabe von 6 Jahren eher unpassend. USK 12 wäre angebracht.

Ich möchte nicht das wenn ich ein 6 Jähriges Kind habe, das es sehen muss wie ein Mann Tot an der Decke hängt.

Conny Guenther · 27.01.2011

Very British, very funny, very touching - a fantastic film which one should not miss!

Natalie Struve · 17.01.2011

Toller Film, großartige Schauspieler und vor allem -innen, 60er-Musik und -Frisuren, dazu eine Mut machende Geschichte: Wenn man die Leute richtig anzupacken weiß, kann man scheinbar Unmögliches erreichen. Unbedingt ansehen, unbedingt im Original bzw. OmU! (Warum, sieht man hier im Trailer-Vergleich.)

Frank aus Berlin · 14.01.2011

wignanek-hp: schreib mal lieber hier rein, wenn du den film gesehen hast!

wignanek-hp · 11.01.2011

Bei einer so positiven Kritik bekommt man richtig Lust, sich den Film anzusehen.
Werde ich sicherlich auch tun. Ich bin sehr gespannt!