Water

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Diesseits und jenseits von Bollywood

Es ist eine bizarre Szenerie: Auf einem Ochsenkarren wird ein sterbenskranker Mann transportiert, neben ihm befinden sich einige Männer und Frauen auf dem Wagen, die sich liebevoll um den Halbtoten kümmern. Als ein kleines Mädchen (Sarala) den Mann aus Langeweile über die wenig unterhaltsame Fahrt an den Füßen kitzelt, erhält sie eine schallende Ohrfeige. Wir schreiben das Jahr 1938 in Indien, das kleine Mädchen heißt Chuyia, sie ist acht Jahre alt und die Ehefrau des Sterbenden. Nach dem Tod ihres Ehemanns, erwartet das Kind ein schreckliches Schicksal. Sie soll den Rest ihres Lebens in einem Ashram für verwitwete Frauen in Buße verbringen, denn – so will es der Glaube – sie trägt als Ehefrau eine große Mitschuld am frühen Ableben ihres Mannes.
Das Leben im Ashram am Ufer des Ganges ist unsagbar hart und entbehrungsreich: 14 Frauen leben hier zusammen, betteln um eine einzige Mahlzeit am Tag, sprechen nur dann, wenn sie angesprochen werden und beten den Rest der Zeit. Die Köpfe aller Frauen sind kahl rasiert, mit einer Ausnahme – die schöne Witwe Kalyani (Lisa Ray) darf ihr Haupthaar behalten, aber auch nur deswegen, weil sie von der grausamen Vorsteherin Madhumati (Manorma) dazu gezwungen wird, sich zu prostituieren. Kalyani erträgt wie alle Frauen im Ashram mit stoischer Gelassenheit ihr Schicksal, so etwa die stille und in sich gekehrte Shakuntala (Seema Biswas), die sich rührend um das junge Mädchen kümmert. Die kleine Chuyia allerdings ist noch viel zu ungezähmt, um sich dem rigiden Regiment Madhumatis bedingungslos unterzuordnen, zumal sie im festen Glauben ausharrt, ihre Mutter würde sie bald aus ihrem schmachvollen Dasein befreien. Als Kalyanis kleines Hündchen beim Bad im Fluss entwischt und das Mädchen versucht, den Ausreißer wieder einzufangen, trifft sie unversehens auf den Juristen Narayan (John Abraham) – eine Begegnung, die nicht nur ihr Leben, sondern auch das Kalyanis verändert.

Deepa Mehta vollendet mit Water ihren 1998 mit Fire begonnenen und ein Jahr später mit Earth fortgesetzten Zyklus über die Elemente, doch bereits der Dreh des Films war von heftigen Anfeindungen reaktionärer und ultra-konservative Kreise in Indien begleitet, die im Jahr 2000 sogar das Set verwüsteten, so dass die Dreharbeiten schließlich in Sri Lanka fortgesetzt werden mussten. Die gesteuerten Proteste gingen sogar so weit, dass tagtäglich Mehtas Porträt öffentlich verbrannt wurde, so dass es eigentlich ein Wunder ist, dass der Film überhaupt fertig gedreht werden konnte. Die heftigen Reaktionen militanter Hindus sind kaum verständlich, wenn man bedenkt, dass die in Kanada lebende Regisseurin ihren Film im Jahr 1938 angesiedelt hat. Doch auch heute noch sehen sich Witwen in Indien zahlreichen schweren Diskriminierungen ausgesetzt – Tatsachen, vor denen die sich rasch wandelnde indische Gesellschaft nach wie vor die Augen verschließt. Und so zählt es beinahe schon den bekannten und hinzunehmenden Übeln, dass auch der Kinostart von Water im Westen von Warnungen radikaler Hindu-Gruppen begleitet wird, die befürchten, dass das religiöse und gesellschaftliche Bild Indiens in anderen Kulturkreisen verzerrt wahrgenommen werden könnte.

In der Tat birgt Deepa Mehtas Film eine Menge sozialen Sprengstoff in sich. Historisch genau und bewusst konventionell inszeniert und erzählt, lässt sie der Ungeheuerlichkeit und den schweren Schicksalen ihrer Protagonistinnen viel Raum. Nur bisweilen gleitet Mehta dabei ab in die seichten Gewässer Bollywoods, wenn sie beispielsweise Naturereignisse wie einen Sonnenaufgang nahe an der Grenze zum (zumindest für westliche Augen) so empfundenen Kitsch inszeniert. Doch sie versteht es immer wieder geschickt, die Balance zwischen ästhetischen Bildern und eindringlichen Schilderungen der sozialen Wirklichkeit Indiens zu finden, so dass der Film unterm Strich hoffentlich sowohl den Beifall eingefleischter Bollywood-Fans als auch den klassischenr Programmkinobesucher erhalten wird. Eine sehenswerte Reise in die Geschichte Indiens ist der Film allemal.

Water

Es ist eine bizarre Szenerie: Auf einem Ochsenkarren wird ein sterbenskranker Mann transportiert, neben ihm befinden sich einige Männer und Frauen auf dem Wagen, die sich liebevoll um den Halbtoten kümmern.
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Meinungen

Marzia M. · 12.10.2006

Es ist wirklich einer der schönsten (und traurigsten) Filme, die ich in meinem Leben gesehen habe.

tingeltangel · 09.09.2006

der Film spricht zwar ein wichtiges Thema an, aber ich finde die umsetzung total misslungen. indien wird dadurch in ein völlig einseitiges licht gerückt -in hinsicht auf kultur und religion. und darüber hinaus auch noch furchtbar kitschig...

Karin · 07.09.2006

Viel zu langatmig ...

Heinemann · 21.09.2006

Gewährt tiefe Einblicke in die fremde Kultur,