Waste Land

Eine Filmkritik von Lida Bach

Was vom Leben übrig blieb

Ein Land wird der „Jardim Gramacho“ von einem Besucher genannt. Das so benannte Waste Land“ ist eine jener in sich geschlossenen Welten, wie sie überall existieren. Manche offen, andere versteckt. Der „Jardim Gramacho“ ist beides: unübersehbar ob seiner enormen Ausmaßen, verborgen vor den Augen der Welt hinter den Slums Rio de Janeiros. Ein Elendsort am Rande einer Millionenmetropole – wer schaut dort schon hin? Lucy Walker hat hingesehen und zwingt in „Waste Land“ dazu, den Blick des Kameraauges zu teilen.
Wie ein Land aus Müll sei der Ort, heißt es in einer Szene. „It’s where everything not good goes“, sagt Vik Munitz, mit dem Walker zu einer außergewöhnlichen Kunstaktion aufbricht. „Including the people.“ Die Menschen sind die „rag pickers“, die sich mit dem Einsammeln und Recyceln verwertbarer Abfälle erhalten. Der „Garten Gramacho“, den sie durchstöbern, ist kein Landschaftspark, sondern die größte Mülldeponie der Welt. Am Himmel überfliegen Aasvögel das Waste Land. Am Boden überfliegt es Munitz – mit den Augen auf einem Stadtplan. Dort will er mit den „rag pickers“ Kunst aus Abfall kreieren. Er hasse es zu sagen, Brasiliens erfolgreichster Künstler zu sein. Nun wolle er etwas zurückgeben. Doch wie alle, die ins Waste Land kommen, nimmt er. Der Fokus wandert von den Menschen, die für mehr Rechte und soziale Verbesserungen kämpfen, auf Munitz und seine Werke.

Die Geschichten, die Lucy Walker einfängt, sind eindringlich, der inszenatorische Tonfall, den sie anschlägt, jedoch manchmal etwas fragwürdig. Mobys schwelgerischer Sound untermalt die Bilder der strahlenden Müllsammler, als sie von Stolz, Berufsethos und der Gewerkschaft berichten, die sie gegründet haben. Gleich ihnen sucht Munitz nach Material zum Wiederverwerten: Individuen, die ihn inspirieren. Unterschwellig manifestiert sich eine zynische Gleichsetzung von Menschen und Müll. „It´s the end of the line“, sagt Munitz einmal. Die beiläufige Wendung beschreibt die beiden grausamen Gesichter des Jardim Gramacho: Endstation, ein Ort ohne Wiederkehr. Gleichzeitig bedeutet „the end of the line“ das Ende der Schlange. Die Ärmsten reihen sich dort ein. Wer hier steht, wird zuletzt bedient und muss sich mit dem begnügen, was die anderen übrig gelassen haben.

Waste Land ist einer jener Filme, die meist nur für kurze Zeit in kleine Kinos gelangen. Dabei gehört Waste Land in den größten Vorführraum. Dorthin, wo sichtbar wird, wie der Abfall vor der Kamera auf Munitz‘ Leinwand zu Kunst wird und sich gleichzeitig Quadratmeter für Quadratmeter über die Leinwand in den Saal ergießt. Dem Land des Mülls, dem Waste Land zum Greifen nah zu sein ist so verstörend, weil sie das letzte ist, was man berühren will. Trotz seiner Ambivalenz und der Fragwürdigkeit ist Waste Land ein ungeheuer sehenswerter Film. Weil er sich nicht scheut, irritierend, provokant und innovativ zu sein und zeigt, wovor man nur zu gern die Augen verschließt.

Waste Land

Ein Land wird der „Jardim Gramacho“ von einem Besucher genannt. Das so benannte „Waste Land“ ist eine jener in sich geschlossenen Welten, wie sie überall existieren. Manche offen, andere versteckt. Der „Jardim Gramacho“ ist beides: unübersehbar ob seiner enormen Ausmaßen, verborgen vor den Augen der Welt hinter den Slums Rio de Janeiros.
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