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Wenn ein Kind verschwindet, dann fangen die Eltern an zu suchen und hören nicht auf, bis sie die eine oder die andere Gewissheit haben. In beängstigend guter Atmosphäre zeigt dies „Was geschah mit Bus 670?“ – und an dem mexikanischen Drama wird klar, warum manche Filme im Kino gesehen werden müssen.

Was geschah mit Bus 670? (2020)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Wir brauchen Gewissheit

In Mexikos Todeszone verschwinden täglich Menschen. Wer von Mexiko aus in die USA auswandern will, muss dieses Grenzgebiet durchqueren, in dem es immer wieder zu Entführungen, Verschleppungen, aber auch Zwangsrekrutierung und Ermordung kommt. Der Debütfilm von Fernanda Valadez erzählt exemplarisch von zwei verschwundenen Jugendlichen, tut dies aber aus der Sicht der suchenden und nicht aufgeben wollenden Mütter.

Seit zwei Monaten gelten ihre Jungs als vermisst. Miguel (David Illescas) und Jesús (Joan Jesús Varela) hatten sich aufgemacht, um gemeinsam in die USA zu gehen, dort bei einem Onkel unterzukommen, zu arbeiten und ein besseres Leben zu finden als in ihrem heimatlichen Dorf auf dem mexikanischen Land. Seitdem sie aufgebrochen sind, hat jedoch niemand mehr etwas von ihnen gehört.

Ihre beiden Mütter sind besorgt, es passt nicht zu ihren Kindern, dass sie sich nicht melden. Auf der Polizeistation schildern sie ihre Situation und erklären die Jungen für vermisst, für den Polizisten ist dies Alltag — und Miguel und Jesús sind nur zwei Namen auf einer langen Liste. Sie könnten unter den Toten sein, sagt der Beamte, und dann finden sie tatsächlich in einem Ordner Fotos von Miguels Leichnam. So schmerzhaft sein Tod für die Eltern ist, sie wissen nun zumindest, dass er tot ist. Für die Mutter von Jesús, Magdalena (Mercedes Hernández), aber gehen die Unsicherheit, das Hoffen und Bangen weiter.

Und weil Magdalena nicht tatenlos zu Hause sitzen und auf weitere Fotos warten will, macht sie sich auf an die Grenze, um nach Jesús zu suchen und zu erfahren, was mit dem Bus passiert ist, in dem die beiden Jugendlichen nach Norden gefahren sind. Magdalenas Suche wirkt wie ein unmögliches Unterfangen: Keiner will richtig mit ihr sprechen, ihre Fragen beantworten, sie wird von einem Angestellten zum nächsten verwiesen. Aber sie merkt auch, dass sie nicht alleine ist, sondern dass viele Menschen ihr Schicksal teilen. Sie erhält einen Hinweis, Hilfe, Zuspruch.

Magdalena bewegt sich auf zwielichtigem Terrain. Das wird schnell deutlich. Aber sie gibt nicht auf. Sie ist eine stille, zurückgenommene, vorsichtige Frau, die nicht lesen kann und sich auch sonst eher selten behauptet – großartig gespielt von Mercedes Hernández. Ihre ruhige Beständigkeit aber bringt Magdalena dann doch weiter, als sie selbst geglaubt hat. Und sie erhält Einblicke in Welten, von denen sie besser nichts erfahren sollte.

Was geschah mit Bus 670? erzählt eine Geschichte von Verschwundenen und Hinterbliebenen und vor allem davon, was es mit denen macht, die suchen, hoffen, erahnen, aber eben keine Gewissheit haben. Der Film erzählt von Gewalt, konzentriert sich dabei aber vor allem auf deren Wirkung und die Suche nach den Opfern. Die Kamera begleitet auf dokumentarische Art und Weise Magdalena auf ihrer Suche nach ihrem verschwundenen Sohn und zeigt das Leben an der Grenze, in den Busstationen, auf den Polizeiwachen und in den Migrantenhäusern. Gleichzeitig ist der Film ein fast lyrischer Roadmovie, der in einem steten Rhythmus dem Weg seiner Hauptfigur folgt. Darüber hinaus gibt der Film einen Einblick in die Glaubenswelt Mexikos, eines Landes, das auch von seinen Geschichten lebt, die schaurig sind, mythenbehaftet und Teil der Gesellschaft sind. Ob der Glaube an Mythen und Dämonen allerdings dabei hilft, die Grausamkeiten der Realität zu ertragen und sie leichter annehmbar zu machen, oder aber sie noch verschlimmert, bleibt dem Publikum überlassen.

Der Film besticht durch großartige Bilder, aber auch durch sein ungewöhnliches Sounddesign. Es ist zunächst einmal der Ton, der Magdalenas Perspektive nachvollziehbar macht. Die unangenehme Stille, in die Satzfetzen gesprochen werden, die ebenso unangenehm sind, weil ihre Stimme geknickt, leise, traurig ist. Die Stimmung, welche die Tonebene transportiert, versetzt das Publikum sofort in das filmische Hier und Jetzt und wird von überwältigenden Bildern begleitet, die auf der großen Leinwand gesehen werden müssen. Umso mehr heißt es Daumen drücken, dass dieser besondere kleine Film – der auf dem Sundance Filmfestival mit dem Publikumspreis und dem Preis für das beste Drehbuch ausgezeichnet wurde – auch wirklich in den Kinos starten darf.

Was geschah mit Bus 670? (2020)

Magdalena macht sich auf die Suche nach ihrem Sohn, der bei dem Versuch, die Grenze zwischen Mexiko und den USA zu überqueren, verschwand. Auf ihrer Odyssee begegnet sie Miguel, der gerade erst aus den Vereinigten Staaten deportiert wurde. Also begeben sie sich gemeinsam auf die Reise — Magdalena auf der Suche nach ihrem Sohn und Miguel, der hofft, eines Tages seine Mutter wiederzusehen.

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Meinungen

Elisabeth Grund-Richter · 15.02.2022

Ein großartiger Film, spannender als ein Thriller, realitätsnah, grausam-schön. Wunderbare Bilder
Und eine phantastische Filmmusik. Jede/r Besucher muss bei diesem Film eine neue oder zumindest andere Sicht auf sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge bekommen. Der Film geht unter die Haut …..