Von der Kunst, sich durchzumogeln (2011)

Eine Filmkritik von Lida Bach

Lernen fürs Leben

Camus ist Schuld. Das bestätigt die Eingangsszene von Gavin Wiesens romantischem Mix aus Teenie-Komödie und Coming-of-Age-Story. Die Lehrerin hat es schon immer gewusst: Die Lektüre hoher Literatur hat entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg von Schülern. Was die Lehrerin nicht weiß: Dieser Einfluss ist manchmal eben auch ein schädigender. Eine Einstellung der Einleitungssequenz von Die Kunst, sich durchzumogeln zeigt George (Freddie Highmore), wie er Der Fremde liest. Wie ein Fremder fühlt sich der Jugendliche selbst in der Welt und insbesondere auf der High School. Dort steht er kurz vor dem Abschluss, den er genauso riskiert wie seine erste große Liebe.

Der Grund dafür ist nicht seine mangelnde Intelligenz, sondern die mangelnde Moral. Überhaupt wird Moral groß geschrieben im Drehbuch und die Lernmoral steht dabei erst an zweiter Stelle. Viel wichtiger ist die Lebensmoral. Tief in sich fühlt George das Air des rebellischen Künstlers, das der vom Spießertum umzingelte jugendliche Zögling einer Privatschule nach außen gekehrt hat. Er schaut in einer Matinee Louis Malles Zazie in der Metro, der bekanntlich jugendliche Aufmüpfigkeit feiert, hört Leonard Cohen und kann das Gefühl seiner Sterblichkeit nicht abschütteln, das ihn davon abhält, seine Zeit mit Banalitäten wie Hausaufgaben zu verbringen. Vollkommen wird die Aufsässigkeit des privilegierten Eliteschülers erst durch das Gefühl, unverstanden und einsam zu sein. Jeder stirbt für sich allein – es sei denn, George raucht seine gesundheitsschädigende Zigarette zusammen mit Sally (Emma Roberts). Doch seine Gefühle für die unkonventionelle Mitschülerin wagt George ihr nicht zu gestehen. Und so steht neben dem Examen auch sein Herz auf der Kippe.

Der ursprüngliche Filmtitel Homework benennt eine kongeniale Metapher für Gavin Wiesens Kinodebüt. Wie eine Doppelstunde Nachsitzen fühlt sich die Romanze an, die ihre Verklemmtheit hinter der Optik eines Indie-Dramas tarnt. Regisseur Wiesen und sein Hauptcharakter scheinen Seelenverwandte. Beide versuchen alternativ zu sein und beide sind leicht zu durchschauen. Der Titel bezeichnet neben der Lebenskunst die Fähigkeit, sich herauszureden. George und Wiesen bedienen sich ihrer gleichermaßen routiniert und plump. Die banalen Konflikte der Figuren werden zu Gunsten romantischer Beliebigkeit verwässert oder realitätsfern aufgelöst. So überzeugen Georges spontane Erläuterung zu Thomas Hardy seine Lehrerin (Alicia Silverstone), dass sein Lernvermögen nur von den Camus und Cohens dieser Welt verdorben wurde. Und der Direktor (Blair Underwood) lässt ihn bestehen, wenn George seine Hausarbeiten nachholt.

Mit jedem Tag rückt der Tod näher, mit jeder versäumten Hausaufgabe rückt das Examen ferner. Ist dieses tiefschürfende existentialistische Dilemma etabliert, schreibt Von der Kunst, sich durchzumogeln das romantische aus dem Lehrbuch ab. Sally ist das weibliche Pendant zu George, dessen Läuterung ihr den richtigen Weg weißt. Georges schulische Nachlässigkeit wird indirekt mit der Unaufrichtigkeit seines Stiefvaters (Sam Robards) gegenüber Georges Mutter (Rita Wilson) gleichgesetzt. Tatsächlich ist sein Trotz eine harmlose Phase, die seine Verwurzelung in der konservativen Mittelschicht zementiert statt zu nivellieren. Georges romantischer Konkurrent ist Künstler Dustin (Michael Angarano), mit dem Sally eine Backpacker-Tour durch Europa plant. Georges Liebe muss Sally retten vor Zazie, Camus und dem alternativen Lebensstil, den Von der Kunst, sich durchzumogeln als drohenden Weg ins soziale Abseits dämonisiert.

Er „habe Probleme“, sagt Sally George mit jener Mischung aus distanzierter Faszination und Bewunderung, die Wiesen mit dem Independent-Kino kokettieren lässt. Der Dialogsatz soll die Authentizität der Handlungskonflikte implizieren, doch bewundernswert ist „Probleme haben“ nur für die, die Probleme nicht kennen. Dass die Charaktere zu letzteren gehören, können die betont lockeren Handkameraszenen und ausschweifenden Montagen nicht verdecken.

Ach, hätte Gavin Wiesen doch nur auf Georges Kunstlehrer (Jarlath Conroy) gehört: Kunst kann auch aus Fledermauskacke sein, solange sie etwas Bedeutsames ausdrückt. Wiesens verkrampft pseudo-cooler Stil hingegen gleicht einer filmlangen Wiederholung von Georges Antwort auf den Lehrerratschlag: „Ich habe nichts zu sagen.“
 

Von der Kunst, sich durchzumogeln (2011)

Camus ist Schuld. Das bestätigt die Eingangsszene von Gavin Wiesens romantischem Mix aus Teenie-Komödie und Coming-of-Age-Story. Die Lehrerin hat es schon immer gewusst: Die Lektüre hoher Literatur hat entscheidenden Einfluss auf den Lernerfolg von Schülern. Was die Lehrerin nicht weiß: Dieser Einfluss ist manchmal eben auch ein schädigender.

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