Voll und ganz und mittendrin

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Mit Optimismus gegen das Schicksal

Krankheiten und Liebe sind eine gefährliche Mischung im Kino — und eine gerne genommene. Spätestens seit Arthur Hillers Love Story (1970) wissen wir, dass die Kombination aus Gefühlsüberschwang und körperlicher Zerbrechlichkeit allzu gerne dazu verführt, die ganz große Gefühlsmaschinerie anzuwerfen, wenn auf der Leinwand zu mollgeschwängerten Geigen geschmachtet, gelitten und gestorben wird. Dennoch ist der Stoff, aus dem die ganz großen romantischen Melodramen sind, einfach nicht wegzudenken von der großen Leinwand und die Reaktionen bei der Berlinale sowie bei anderen Festivals auf Felix van Groeningens The Broken Circle sprechen Bände, wie groß die Verführungskraft solcher pathologischer bis letaler Liebesdramen ist. Insofern passt Steph Greens irisch-deutsche Koproduktion Voll und ganz und mittendrin (im Original heißt der Film etwas treffender Run & Jump) hervorragend in die Reihe thematisch ähnlicher Filme – auch wenn sich das Werk bei näherer Betrachtung dann doch deutlich unterscheidet von seinen Vorgängern. Und das liegt vor allem an der Art und Weise, wie die Oscar-nominierte Filmemacherin (im Jahre 2007 war das für ihren Kurzfilm New Boy) ihre Geschichte erzählt.
Denn was trotz aller Schwere der Thematik auffällt, ist die heitere Gelassenheit, manchmal sogar fast die Ausgelassenheit, die der Film ausstrahlt. Und er tut dies durchaus nicht nur auf inhaltlicher, sondern auch auf bildlicher Ebene, was auch am Handlungsort liegt, einem verträumten kleinen Dorf irgendwo in Irland. Sattgrün sind die Felder, die man da sieht, knallgelb der alte Volvo Kombi, mit dem Vanetia (Maxine Peake, die bislang vor allem aus der BBC-Serie Silks bekannt sein dürfte) ihren Mann Conor (Edward MacLiam) nach einem Schlaganfall und einem fünfmonatigen Krankenhausaufenthalt abholt. Durch den Hirnschlag hat sich der noch junge Familienvater drastisch verändert und hat die Persönlichkeit eines aufmüpfigen Kindes angenommen, für das Vanetia sorgen muss. Weil zudem ihr Sohn Lenny (Brendan Morris) mitten in der Pubertät steckt und sich auch die Schwiegereltern mit den besten Absichten in alles einmischen, herrscht im Haus bald das Chaos. Und dann taucht da eines Tages auch noch der amerikanische Neurowissenschaftler Ted Fielding (Will Forte, bekannt aus Saturday Night Live) auf, der sich für den seltenen Krankheitsverlauf von Conor interessiert und diesen mit der Videokamera dokumentiert. Man ahnt schnell, dass zwischen der resoluten Irin und dem introvertierten Amerikaner mehr als nur Verbundenheit entsteht, die Vanetia schon bald vor die Wahl stellt, wie sie ihr Leben eigentlich führen will.

Zugegeben: Auf der Handlungsebene ist Voll und ganz und mittendrin kein Film, der mit beständigen Richtungswechseln und unerwarteten Wendungen glänzt. Sobald die Prämisse etabliert ist und es klar ist, auf welches grundlegende Dilemma der Film hinaus will, weicht er kaum einen Millimeter von diesem Pfad ab. Weil Steph Green und ihr durch die Bank überzeugendes Ensemble ihre Charaktere aber mit so viel Liebe, Wärme und Sympathie ausstatten und dabei so einen unerschütterlichen Optimismus selbst im Angesicht großer (zwischen)menschlicher Katastrophen ausstrahlen, folgt man ihnen gerne bis zum Schluss.

Besonders spannend ist dabei zu beobachten, wie behutsam und fein gezeichnet dabei die Annäherung zwischen dem spröden Arzt und der warmherzigen und impulsiven Frau stattfindet. Oftmals sind es vor allem die kleinen Zeichen und beinahe versteckten Gesten, die signalisieren, wie es um das Gefühlsleben der beiden bestellt ist. Zur gedämpft sonnigen Atmosphäre des Films passt auch der Soundtrack, der statt auf Streicher lieber auf Gitarrenballaden setzt, die den warmen Grundton der Erzählung stimmungsvoll untermalen.

Alles in allem ist Voll und ganz und mittendrin trotz ganz kleiner Ausrutscher in Richtung Kitsch ein sympathischer und wohltuend anderer Film über die Veränderungen, die Krankheiten mit sich bringen und darüber, wie man den Herausforderungen des Schicksals am besten begegnen sollte – sofern man das kann: Mit einem Lächeln im Gesicht und mit offenen Augen für das, was um einem herum geschieht. Das ist zugegebenermaßen nicht unbedingt jedermanns Sache, doch wer romantischen Melodramen mit Realitätsbezug etwas abgewinnen kann, der sollte sich diesen Film anschauen.

Voll und ganz und mittendrin

Krankheiten und Liebe sind eine gefährliche Mischung im Kino — und eine gerne genommene. Spätestens seit Arthur Hillers „Love Story“ (1970) wissen wir, dass die Kombination aus Gefühlsüberschwang und körperlicher Zerbrechlichkeit allzu gerne dazu verführt, die ganz große Gefühlsmaschinerie anzuwerfen, wenn auf der Leinwand zu mollgeschwängerten Geigen geschmachtet, gelitten und gestorben wird.
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