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Wie wird jemand zum Künstler, dem gerade dieser Weg verschlossen zu sein scheint, weil er unter verschiedensten Beeinträchtigungen leidet: Giorgio Dirittis Film über den Maler Antonio Ligabue feiert eine Schöpfungskraft, die nahezu alle Hindernisse überwindet.

Volevo nascondermi - Ich wollte mich verbergen (2020)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Erschaffen, weil man muss

Biopics über Maler haben in den letzten Jahren Hochkonjunktur im Kino und fast meint man, dass es eigentlich kaum noch einen Künstler von Rang geben kann, der noch nicht mit einem Dokumentar- oder Spielfilm bedacht worden ist. Giorgio Dirittis Film „Volevo nascondermi“ allerdings belehrt uns eines anderen, weil er sich einem Künstler und dessen faszinierender Entwicklung widmet, der allenfalls Eingeweihten ein Begriff sein dürfte. Es handelt sich dabei um den italienischen Maler und Plastiker Antonio Ligabue (1899-1965), einen Autodidakten mit unerschöpflicher Schaffenskraft, für den künstlerischer Ausdruck vor allem eine Form der Selbstfindung und -vergewisserung war.

Dass dem so ist, liegt vor allem an den Umständen, unter denen Ligabue (Elio Germano) seine Kindheit und Jugend verbrachte. Geboren als Sohn italienischer Einwanderer, wuchs Ligabue zuerst in zerrütteten Verhältnissen auf, wurde dann von einer schweizerischen Familie aufgenommen, später aber wegen diverser körperlicher wie geistiger Beeinträchtigungen kurzerhand gegen seinen Willen und unter fadenscheinigen Gründen („Landstreicherei und Kleinkriminalität“, so lauteten die Vorwürfe) nach Italien ausgewiesen, wo er zunächst als Obdachloser in Hütten in den Wäldern der Emilia Romagna hauste und seinen bescheidenen Lebensunterhalt als Plakatmaler und Tagelöhner verbrachte.

Dirittis sozialrealistischer Ansatz zeichnet das erschreckende Bild eines Aufwachsens in bitterer Armut und Ausgrenzung und die wiederholten Versuche der Behörden, mit einem Außenseiter wie Ligabue fertig zu werden. Immer wieder begibt sich die Kamera dabei auf Augenhöhe des verschreckten, gequälten Jungen Tonio, zeigt die Garstigkeit der anderen Altersgenossen ebenso wie die Unbarmherzigkeit der Behörden so vehement und teilweise aus einer vor allem subjektiven Perspektive, dass diese fragmentarischen Sequenzen Mitleid erwecken und erahnen lassen, was dieser Junge erleiden musste und wie sich seine Wutanfälle, die ihn Zeit seines Lebens begleiteten, überhaupt erst entwickelt haben.

Doch neben dieser destruktiven Kraft gibt es in Antonio eben auch ein anderes Element ganz und gar schöpferischer Natur, das sich immer wieder auf überraschende Weise Bahn bricht. Der Film inszeniert Ligabue voller Empathie und Wärme als Naturtalent, das beseelt ist von der Gabe des Nachbildens der Welt, das mit der Zeit immer mehr seinen Stil und seine Fähigkeiten weiterentwickelt.

Einen erheblichen Anteil hatte der renommierte Künstler Marino Mazzacurati (Pietro Traldi), der durch puren Zufall auf den Einsiedler stieß und sofort dessen außerordentliche Begabung erkannte und ihn förderte, indem er ihm zum Beispiel Zugang zu seinem Atelier gewährte, ihn mit Farbe und Leinwand versorgte und ihm so eine Verfeinerung seiner Fähigkeiten ermöglichte. Zwar war die Freundschaft nicht von Dauer, doch Mazzacurati und Ligabue blieben zumindest aus der Ferne einander verbunden, während letzterer gegen alle Widerstände seine unglaubliche Karriere verfolgte.

Dass Volevo nascondermi über eine Laufzeit von nahezu zwei Stunden das Interesse für einen Künstler weckt, den es erst noch einem größeren Publikum nahezubringen gilt, liegt vor allem an der schauspielerischen Naturgewalt Elio Germanos, der mit vollem Körpereinsatz dem Maler über einen Zeitraum von mehreren Jahrzehnte glaubwürdig ein Gesicht und einen Körper zu geben versteht und der trotz aller Exzentrik und Wunderlichkeiten, aber auch trotz verschiedenster Beeinträchtigungen stets ein Mensch bleibt, den genau das antreibt, was allen Menschen gemein ist: Der Wunsch nach (Selbst)Verwirklichung sowie das Verlangen, verstanden und geliebt zu werden. Weil Ligabue, der es mit der Zeit durch seine Kunst zwar zu einigem Wohlstand brachte, der aber am Ende des Lebens kaum mehr etwas besaß und der stets ein Wohnsitzloser blieb, die herkömmlichen Wege, ein erfülltes Leben zu führen, verschlossen blieben, wurde für ihn seine Kunst zur überlebenswichtigen Gabe, zur schlichten existenziellen Notwendigkeit und zugleich zu einem Weg, der realen Welt zu entfliehen und vor allem in der Tierwelt, die er immer wieder in kräftigen Farben auf der Leinwand und in Ton bannte, jenen Trost zu finden, der ihm sonst versagt blieb.

Volevo nascondermi - Ich wollte mich verbergen (2020)

Der Film folgt der Geschichte des bekannten italienischen Künstlers Antonio Ligabue.

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