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In ihrem Dokumentarfilm gibt Helen Simon Frauen eine Stimme, die Opfer von Menschenhandel wurden und meist in der Prostitution gelandet sind. Zwei von ihnen erzählen genauer von ihrem tragischen und berührenden Werdegang und ihrem inspirierenden Kampf um gesellschaftliche Sensibilisierung.

Voices from the Fire (2021)

Eine Filmkritik von Teresa Vena

Loderndes Feuer

Es gibt Dinge, die man nur im Halbdunkeln aussprechen kann, so schrecklich sind sie. Aber anders als die Gruselgeschichten, die man sich vielleicht unter Freunden am sommerlichen Lagerfeuer erzählt, werden einem die Erlebnisse, die die beiden Frauen in Helen Simons Dokumentarfilm durchs lodernde Feuer vor ihnen hindurch mit den Zuschauern teilen, durch Mark und Bein gehen und nicht mehr so schnell wieder loslassen. Was wir daraus machen, ist allerdings eine andere Frage.

Helen Simon hat in Voices from the Fire / Stimmen vom Feuer mit dem Lagerfeuer ein ungewöhnliches, aber auf verschiedenen Ebenen auch symbolisches Bild als Rahmung für ihr Thema gefunden. Es ist einerseits ein reinigendes Feuer, durch das die Protagonistinnen metaphorisch gehen. Es ist auch ihr eigenes inneres Feuer der Wut und des Kampfgeistes, das in ihnen brennt, das auf ihre Zuhörer und Zuhörerinnen übergeht, denen die Finger verbrennt, die ihnen Unrecht getan haben und die anderen im Idealfall genauso wütend macht.

Jährlich sollen etwa 40 Millionen Menschen weltweit Opfer von Menschenhandel werden. Knapp 48‘000 Menschen wurden 2020 überhaupt identifiziert, die Dunkelzimmer ist daher enorm groß. 70 % von ihnen sind Frauen, die Hälfte sind Opfer sexueller Nötigung, 30% der Frauen minderjährig. So eine Tafel zu Beginn. Einem Teil der Frauen gibt der Film eine Stimme und einigen sogar ein Gesicht. Eines davon ist das von Grizelda Grootboom. Sie ist eine dunkelhäutige Südafrikanerin. Sie landete mit zehn Jahren auf der Straße. Die Eltern trennten sich, die familiäre Situation war belastend und man ließ es geschehen, dass sie im Namen der von den Weißen durchgesetzten Apartheid, aus ihrem Haus und der bisherigen Nachbarschaft verdrängt wurden, die nur noch den Weißen vorbehalten sein sollte.

Schon sehr früh auf sich selbst gestellt, trieb sich Grizelda mit anderen Jugendlichen herum, bis sie sich in einem Mädchen, das sie als ihre Freundin erachtete, täuschte und in die Zwangsprostitution getrieben wurde. Es ist nur schwer erträglich, ihren Schilderungen bis zum Schluss zuzuhören. Es zieht sich alles in einem zusammen. Wut, Ekel und Traurigkeit überkommen einem in Schüben. Wenn man glaubt, das Schlimmste ertragen zu haben, kommt es noch schlimmer. Unfassbar, wozu Menschen fähig sind.

Genauso wie Grizelda es für sich wünscht, verfällt der Film nie der Versuchung, sie als Opfer darzustellen. Er schafft es, sie aus verschiedenen Perspektiven zu zeigen, immer mit dem nötigen Respekt und ihr die Würde wiedergebend, die sie auf der Strecke ihres bisherigen Lebens, nicht nur einmal Gefahr gelaufen ist, zu verlieren. Grizelda ist heute Aktivistin gegen Menschenhandel oder besser Sklaverei, wie sie es formuliert. Auf der Bühne ist sie stark, mit ihrem zehnjährigen Jungen ist sie stark, doch dann kommt ein Anruf ihrer Mutter, die ihr Schamgefühle einreden will oder ein einsamer Moment abseits der offiziellen Konferenz und sie fällt in sich zusammen. Immer wieder fängt die Kamera ihr Gesicht ein, durch das Feuer, sieht man wie ihr dicke Tränen über die Wangen kullern – und man kann sich so sehr wehren, es wird einem gleich ergehen.

Diese emotionale Wucht entwickelt der Film ausschließlich über die Textebene. Es braucht keine Illustration des Erzählten, um seine Intensität nachspüren zu können. Helen Simon wirft viele neue, aber auch altbekannte Fragen zum Thema Prostitution auf. Was die Frauen in ihrem Film berichten, lässt an der Vorstellung, dass es viele, ja genug Frauen gebe, die sich diesem „Beruf“ „freiwillig“ widmen würden, große Zweifel aufkommen. Neben Grizeldas Lebensbericht ist es auch jener der Deutschen Sandra Novak, der aufzeigt, dass der Grad zwischen Freiwilligkeit und Zwang wegen verschiedener Abhängigkeiten sehr schmal sein kann. Kaum eine andere Diskussion spaltet die Meinungen derart. Klar ist es, dass wir uns nicht mit der aktuellen Situation zufriedengeben dürfen.

Ohne die Geschichte aller Frauen und Opfern von Menschenhandel, von Ausbeutung und Gewalt erzählen zu können, schafft es Stimmen vom Feuer trotzdem aufzuzeigen, wie viele davon betroffen sind. Helen Simon hat mit den Zeugenaussagen unzähliger Frauen einen Chor komponiert, der immer wieder zwischendurch eingespielt wird. Die Stimmen der Frauen in verschiedenen Sprachen berichten von persönlichen Schicksalen, die beängstigend gleich klingen, ganz egal, ob in den USA, Portugal oder Thailand beheimatet.

Voices from the Fire (2021)

Aktuell werden jährlich ca. 40 Millionen Menschen Opfer des modernen Menschenhandels. Es ist der Höhepunkt eines jahrhundertelangen Prozesses der Entmenschlichung. Es ist ein epidemisches

Fieber, das uns alle infiziert, ein Aufschrei der Seele der Menschheit. Wenn wir genau hinhören, wird es uns eine Geschichte erzählen. Voices from the Fire offenbart eine Revolution der Macht. Eine Macht, die einst gestohlen wurde und langsam wiedergewonnen wird. Es ist die Macht der Armen, der Verzweifelten, der Unbemittelten, der Ungesehenen und der Stimmlosen. Dies sind ihre Stimmen, es ist ihre Geschichte. (Quelle: Der Filmverleih GmbH)

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