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In seiner Honoré-de-Balzac-Adaption „Verlorene Illusionen“ zeigt Xavier Giannoli mit beachtlicher Star-Riege den Aufstieg und Niedergang eines ehrgeizigen Jungdichters.

Verlorene Illusionen (2021)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Fake News in der vornehmen Gesellschaft

Die Werke des französischen Schriftstellers Honoré de Balzac (1799-1850) dienten seit der Etablierung der Filmkunst zu Beginn des 20. Jahrhunderts immer wieder als Vorlagen für Kino- und TV-Produktionen. Zu den zahlreichen Adaptionen gehören etwa „Das Mädchen mit den goldenen Augen“ (1961) von Jean-Gabriel Albicocco, „Cousin Bette“ (1998) von Des McAnuff oder „Die Herzogin von Langeais“ (2007) von Jacques Rivette. Auch der 1846 erschienene Roman Verlorene Illusionen wurde unter anderem schon 1966 zu einer Miniserie verarbeitet.

Nun hat sich der 1970 geborene Regisseur Xavier Giannoli dem gesellschaftskritischen Stoff in einer französischen Großproduktion gewidmet. Mit Arthouse-Erfolgen wie Chanson d’Amour (2006) oder Madame Marguerite oder Die Kunst der schiefen Töne (2015) hat der Franzose bereits sein Talent für anspruchsvolles Star-Kino bewiesen, das er mit Verlorene Illusionen abermals zu demonstrieren vermag. Bekannte Gesichter wie Gérard Depardieu, Cécile de France und André Marcon, die zuvor schon für Giannoli vor der Kamera standen, treten zum Teil in kleineren Parts auf; im Zentrum stehen Jungstars wie Vincent Lacoste, Xavier Dolan und in der Hauptrolle Benjamin Voisin, der durch François Ozons Coming-of-Age-Drama Sommer 85 (2020) auf sich aufmerksam machen konnte.

Erzählt wird eine klassische Geschichte vom Aufstieg und Fall eines zielstrebigen Nachwuchsdichters, Lucien Chardon (Voisin), der Anfang des 19. Jahrhunderts davon träumt, zur feinen Gesellschaft zu zählen. Um dies zu erreichen, lässt Lucien die französische Provinz zusammen mit seiner Mäzenin Louise de Bargeton (de France) hinter sich und geht nach Paris. Als er schließlich auf sich allein gestellt ist, gelingt es ihm, durch den gewitzten Journalisten Etienne Lousteau (Lacoste) Teil der Literatur- und Theaterkritikszene zu werden. Rasch muss Lucien jedoch erkennen, dass in dieser Welt alles käuflich zu sein scheint – sowohl überschwängliches Lob als auch heftiger Verriss, frenetischer Applaus ebenso wie vernichtende Buhrufe.

Mit seiner makellosen Ausstattung ist Verlorene Illusionen ein Fest für alle, die Historienfilme mögen: Das Frankreich der Restauration wird von Kameramann Christophe Beaucarne in opulenten Bildern zum Leben erweckt. Hinzu kommen geschliffene Dialoge, die stilistisch etwa an die Choderlos-de-Laclos-Adaption Gefährliche Liebschaften (1988) von Stephen Frears (aus der Feder von Drehbuchautor Christopher Hampton) denken lassen. Der zugrundeliegende Roman Verlorene Illusionen wurde von Balzac als Teil des Zyklus Die menschliche Komödie konzipiert und legt die Oberflächlichkeit der Gesellschaft, insbesondere des Kulturbetriebs und der Presse, sowie die diversen Möglichkeiten der Manipulation offen. Hier erweist sich der Stoff in Zeiten von Social Media und Fake News als durchaus aktuell. Auch das Gefühl, den Untergang einer Epoche mitzuerleben, ist heute (wieder) nachvollziehbar. Hauptdarsteller Benjamin Voisin macht in seiner ambivalenten Interpretation des Protagonisten deutlich, wie schwierig es sein kann, sich bei all diesen Machenschaften treu zu bleiben.

In einer Sequenz, in der die noch recht unerfahrene Schauspielerin Coralie (Salomé Dewaels) nur aus taktischen Gründen, als Ergebnis eines fiesen Komplotts auf der Bühne kollektiv ausgebuht und damit völlig zerstört wird, ist der Bezug zur Jetztzeit, in der oft junge Leute auf Kanälen wie Instagram durch Hasskommentare verspottet, beleidigt oder im schlimmsten Falle bedroht werden, besonders eindringlich und wuchtig. An anderen Stellen ist Verlorene Illusionen womöglich gar um eine Spur zu souverän und gediegen, um derart berühren zu können. Dennoch bringt Giannoli insgesamt eine glanzvolle Balzac-Bearbeitung auf die Leinwand, die den Geist, den Witz und die Schärfe des Schriftstellers gekonnt und unterhaltsam erfasst.

Verlorene Illusionen (2021)

Frankreich im 19. Jahrhundert: Der junge und hoffnungsvolle Lucien widmet seine ganze Leidenschaft der Dichtkunst. Doch auf dem Land umringt von seiner Arbeiterfamilie, wird sein Talent als nutzlos verpönt. Deshalb zieht es den Dichter in die große Stadt Paris! Er verlässt die familiäre Druckerei und versucht fortan an der Seite einer Mäzenin in Paris Fuß zu fassen und in der Gesellschaft aufzusteigen.

Doch ein Rückschlag folgt dem anderen, und bald lernt Lucien hinter den Kulissen die wahren Mechanismen der gesellschaftlichen Macht kennen: Profit, Schein und Fake News. Die anfängliche Naivität ist plötzlich vergessen und Lucien lernt schnell, dass in Paris einfach alles und jeder käuflich ist, solange man weiß, welche Stricke man im Hintergrund ziehen muss. Wird er diesen Weg bis zum Äußersten weitergehen oder letztlich doch seinen ursprünglichen Hoffnungen und Träumen treu bleiben? (Quelle: Cinemien)

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