Vergissmichnicht

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Im Clinch mit sich selbst

Irgendwie ist das Leben nicht gerecht. Da tut man alles, um Karriere zu machen. Rackert sich ab, legt sich eine knallharte Schale zu und verzichtet komplett auf so etwas wie Privatleben. Und was ist der Dank? Dass man mit 40 in eine Midlife-Crisis rauscht, die sich gewaschen hat. Das Leben ist so gemein, dass es schon wieder lustig ist. Zumindest in der Tragikomödie Vergissmichnicht / L’âge de raison von Yann Samuell.
Margaret (Sophie Marceau) ist eine hyperaktive Topmanagerin und hat keine zehn Sekunden Zeit, daran zu denken, dass sie heute eigentlich ihren 40. Geburtstag feiern sollte. Statt dessen setzt sie gerade zu einem weiteren Karrieresprung an. Wenn sie den Chinesen wirklich dieses profitträchtige Atomkraftwerk andrehen kann, dann ist das mit Abstand ihr größter Coup. Dummerweise tauchen in der Hektik der Abschlussverhandlungen ein paar gravierende Probleme auf. Ganz zu schweigen davon, dass ihr ein pensionierter Notar einen Brief überbringt. Dessen Inhalt: Lebensweisheiten und Botschaften an sich selbst, die sie als Siebenjährige formuliert hat. Damals konnte sie anscheinend in die Zukunft blicken und ahnte schon, dass sie sich als Erwachsene in ein Leben verrennen würde, das mit ihren eigentlichen Wünschen nichts zu tun hat.

Klar: In Vergissmichnicht / L’âge de raison geht es weniger um Realismus als um den Versuch, das Thema der Midlife-Crisis mal von einer anderen Seite aufzuziehen. Nämlich ausgehend von der Idee, wie es wäre, wenn man mit 40 quasi von Amts wegen gezwungen wäre, sich an sich selbst im Alter von sieben Jahren zu erinnern. Wer war man damals? Wovon hat man geträumt? Was ist davon übrig geblieben? Zugegeben, das ist eine gute Idee. Regisseur Yann Samuell setzt sie mit temporeichem Esprit um, mit Comic-Einlagen, Bildwitz und gelegentlichem Slapstick.

Er hält die Balance zwischen komödiantischen und nachdenklicheren Szenen, das Umschalten vom Selbstzweifel zur Selbstüberschätzung ist auch dank Sophie Marceaus facettenreicher Darstellung kein Problem. Die Frage ist nur: Wie lange lässt sich der anfangs überzeugende Versuch durchhalten, das Selbstfindungsthema nach außen zu verlagern, also auf zwei Personen: die Siebenjährige, die damals noch Marguerite hieß, und die 40-jährige, die sich in bewusster Abwendung von ihrer Vergangenheit einen weniger floralen, mehr business-kompatiblen Namen zulegte.

Es funktioniert zumindest so lange, wie Margaret mit Marguerite im Clinch liegt, wie also die Erwachsene die Erinnerung an ihre eigentlichen Lebensziele abwehrt, obwohl sie zugleich von ihnen überwältigt wird. Sophie Marceau kämpft in dieser Rolle wie eine Löwin, sie fährt die Krallen aus gegen sich selbst, beißt sich in den Schwanz und faucht, was das Zeug hält. Das ist nicht nur lustig, sondern auch konsequent. Denn die Energie, mit der sie sich in der Geschäftswelt nach oben gekämpft hat, steht ihr natürlich auch im Kampf gegen ihr früheres Leben zur Verfügung.

Aber irgendwann – das ahnt man – werden die weicheren Seiten von Margaret/Marguerite die Oberhand gewinnen. Und dann geschieht, was so ziemlich in jedem Selbstfindungstrip von jemandem passiert, der sich verlaufen hat. Er nimmt Kontakt mit den Dämonen seiner Vergangenheit auf. Spätestens dann zeigt sich, dass die gute Anfangsidee ihre Kraft verliert. Was soll man schon klischeefrei tun, wenn man einigermaßen sinnvoll aus einer Midlife-Crisis heraus will?

Unterm Strich führt Sophie Marceaus schauspielerischer Parforceritt zu einigen komödiantischen Höhepunkten, aber nicht auf eine im Ganzen überzeugende Reise. Immerhin, wenn es beim Kinostart kurz vor Weihnachten bleibt, ist das womöglich eine willkommene Gelegenheit, sich zu fragen, ob das ganze Gerenne und Gehetze wirklich das ist, worauf es im Leben ankommt.

Vergissmichnicht

Irgendwie ist das Leben nicht gerecht. Da tut man alles, um Karriere zu machen. Rackert sich ab, legt sich eine knallharte Schale zu und verzichtet komplett auf so etwas wie Privatleben. Und was ist der Dank? Dass man mit 40 in eine Midlife-Crisis rauscht, die sich gewaschen hat.
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Meinungen

franky · 10.01.2011

Die Figur der Margaret wirkt auf mich nicht authentisch genug, sie kokettiert mit allem und jedem. Die Story ist mir zu weit hergeholt, nicht so wahnsinnig glaubwürdig. Nett, aber nicht mehr.