Verführt und verlassen

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Das Kunstwerk im Zeitalter seiner Kommerzialisierung

Ohne Frage gehört Orson Welles – der Schöpfer von Klassikern wie Citizen Kane und Im Zeichen des Bösen – zu den Menschen, die in ihrem Berufsleben viel erreicht haben. Dennoch fiel die Bilanz, die Welles persönlich aus seiner Karriere zog, recht negativ aus: 95 Prozent seines Daseins habe er damit verbracht, Geld für seine Filmprojekte aufzutreiben – und lediglich 5 Prozent Lebenszeit seien für die tatsächliche Umsetzung dieser Filme geblieben. „It’s no way to live“, hatte der Altmeister geklagt – und war jener Lebensweise (und somit dem Kino) trotz allem etliche Jahre treu geblieben. Von dem Irrsinn, der sich im Zuge der Beschaffung finanzieller Mittel für ein Filmprojekt einstellen kann, erzählt James Toback in seinem Dokumentarwerk Verführt und verlassen, dem jene Klageworte von Welles vorangestellt sind.
Im Jahre 2012 besuchen Drehbuchautor/Regisseur James Toback und Schauspieler Alec Baldwin die Filmfestspiele von Cannes – und verfolgen dort eine Mission: Sie wollen Leute für ihre Filmidee begeistern und Geldgeber für die Produktion des ersonnenen Werks akquirieren. Bei dem Film, der dem Freundes-Duo vorschwebt, handelt es sich um ein nihilistisch-erotisches Polit-Drama, angesiedelt in Tikrit: eine Middle-East-Version von Der letzte Tango in Paris mit Baldwin und Neve Campbell in den Hauptrollen als konservativer Geheimagent und liberale Journalistin. Toback und sein männlicher Star kommen in Hotel-Suiten und Konferenzräumen, auf Luxus-Yachten und Partys mit Filmemachern, Produzenten und Investoren ins Gespräch – und müssen so manche Niederlage hinnehmen…

Dass das Festival de Cannes eine „split personality“ hat, da es zum einen das Qualitätskino feiert und zum anderen ein Markt ist, auf dem Geschäfte getätigt werden (müssen), ist als Erkenntnis zwar weder neu noch allzu schockierend – doch Toback gelingt es, den Wahnwitz der Filmindustrie pointiert und originell zu veranschaulichen. Die ignorante Haltung des Produzenten Avi Lerner (The Expendables, Olympus Has Fallen) ist ebenso interessant und verblüffend wie die Einwände und Vorschläge der potenziellen Geldgeber für Tobacks Projekt: Mal soll die Geschichte als Komödie erzählt werden, mal wird U-Boot-Action im Stile von Jagd auf Roter Oktober gefordert. Die Musik von Schostakowitsch, mit der Verführt und verlassen unterlegt ist, verleiht dem Purely-Business-Treiben etwas herrlich Absurdes.

Wie der Titel des Werks schon durchblicken lässt, arbeitet Toback den seduktiven Aspekt des Filmemachens heraus – welcher vermutlich auch der Grund dafür ist, dass so viele Menschen ein Teil der so genannten „siebten Kunst“ sein wollen: „You are seduced and abandoned, over and over and over again“, meint Baldwin über das „movie business“. Regisseure wie Bernardo Bertolucci und Martin Scorsese sowie Schauspieler wie Ryan Gosling und Diane Kruger versuchen zu erklären, was sie an der Arbeit in dieser durchaus zynischen Branche anzieht und weshalb sie den Weg in die Showbiz-Welt einst einschlugen. In diesen Passagen kommt es mitunter zu Abschweifungen – allerdings liegt in diesen Abschweifungen meist ein besonderer Reiz. Wenn Gosling etwa von den Quälereien beim Vorsprechen erzählt, die er als Jungdarsteller über sich ergehen lassen musste, um seinem Traum näher zu rücken, hat das wahrlich die Qualität einer bitterbösen Stand-up-Comedy-Nummer – während andere Schilderungen (zum Beispiel von Roman Polanski, Francis Ford Coppola und James Caan) über Frustration, Enttäuschung und/oder die empfundene „Notwendigkeit“ des eigenen Filmschaffens zum Nachdenken anregen. Verführt und verlassen ist ein Werk von, mit und für Cineasten – und kommt überaus sympathisch und unterhaltsam daher. Aus reiner Neugier würde man sich wohl sogar den politisch-sexuell aufgeladenen Arthouse-Unsinn ansehen, den Toback und Baldwin hier (angeblich) realisieren wollen!

Verführt und verlassen

Ohne Frage gehört Orson Welles – der Schöpfer von Klassikern wie „Citizen Kane“ und „Im Zeichen des Bösen“ – zu den Menschen, die in ihrem Berufsleben viel erreicht haben. Dennoch fiel die Bilanz, die Welles persönlich aus seiner Karriere zog, recht negativ aus: 95 Prozent seines Daseins habe er damit verbracht, Geld für seine Filmprojekte aufzutreiben – und lediglich 5 Prozent Lebenszeit seien für die tatsächliche Umsetzung dieser Filme geblieben. „It’s no way to live“, hatte der Altmeister geklagt – und war jener Lebensweise (und somit dem Kino) trotz allem etliche Jahre treu geblieben.
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