Log Line

Das Priesteramt und die Familie sind in der katholischen Kirche weiterhin unvereinbar. Wohin das führen kann, zeigt das ungarische Regieduo Julianna Ugrin und Márton Vízkelety in ihrem Dokumentarfilm über einen charismatischen Vertreter seiner Zunft.

Vater Unser (2021)

Eine Filmkritik von Falk Straub

Heiliges Dilemma

Die katholische Kirche hat wahrlich genug Probleme. Eines davon nehmen Julianna Ugrin und Martin Vizkelety in ihrem Dokumentarfilm in den Blick. Dem Papst laufen nicht nur die Schäfchen, sondern auch die Hirten weg. Schuld ist wie so oft der Zölibat, was einmal mehr die Frage aufwirft, warum die Kirche diese vorsintflutliche Standespflicht nicht endlich abschafft.

Ugrin und Vízkelety sind im Grenzgebiet unterwegs. In der kleinen ungarischen Gemeinde Murakeresztúr, nur einen Steinwurf von Kroatien entfernt, begegnen wir Robert, den alle nur Robi nennen. Der freundliche Mann Ende 30 spielt Fußball im Ortsverein, baut Gemüse im eigenen Garten an und bespaßt Teenager während einer Jugendfreizeit mit der Gitarre. Jeden Sonntag tauscht er die Alltagskleidung gegen sein Messgewand, denn Robi hat nicht nur einen strammen Schuss und einen grünen Daumen, sondern auch eine Berufung: Er ist der Priester der kleinen Grenzgemeinde.

Seine offene und unverbrauchte Art kommt selbst bei den Alten gut an. Viele der Kirchgänger:innen kämen nur wegen ihm. Da sind sie sich sicher. Über Besucherschwund kann sich Robi in seinen Gottesdiensten zumindest nicht beklagen. Die Gläubigen stehen Schlange und das schon mal bis vor die Tür. Neun Jahre ist er bereits in Murakeresztúr, als Ugrins und Vízkeletys Film einsetzt. Doch damit ist jetzt Schluss. Denn Robi hat noch ein zweites Leben, von dem zwar viele munkeln, aber von dem auch die wenigsten wirklich etwas wissen. Mit Anett, die in einem anderen Ort wohnt, hat er drei Kinder, die er nur wenige Stunden in der Woche sieht. Inzwischen sind die zwei Mädchen und der Junge in einem Alter, in dem sie ihren Vater brauchen. Schweren Herzens wendet sich Robi von seinen geistlichen Kindern ab und seinen leiblichen zu.

Julianna Ugrin hat ein Händchen für heiße Stoffe. Auf das Konto der Produzentin gehen Dokumentarfilme wie A Woman captured (2017) über moderne Sklaverei mitten in Europa oder Nimród Antals Spielfilm The Whiskey Bandit (2017) über einen berühmt-berüchtigten Bankräuber, der nach dem Fall des Eisernen Vorhangs in Budapest großes Aufsehen erregte. Ihre erste Regiearbeit hat Ugrin gemeinsam mit dem Kameramann Márton Vízkelety realisiert, der ebenfalls sein Langfilmdebüt als Regisseur gibt. Von Robis Geschichte hat Vízkelety über einen gemeinsamen Freund erfahren. Dass die Dreharbeiten, die 2016 begannen, mitten in die Entscheidung des Priesters fielen, sein Amt niederzulegen, ist ein Segen. Robis Ringen mit sich selbst, seine innere Zerrissenheit, das Gefühl, egal für welche Seite er sich entscheidet, die andere Seite im Stich zu lassen und seine Bereitschaft, uns als Kinopublikum daran teilhaben zu lassen, sind die große Stärke dieses Films.

Die dafür gewählte Form ist indessen mehr Fluch als Segen. Dass sich das Regieduo dazu entschlossen hat, vor Ort nur eine und nicht mehrere Kameras einzusetzen, ist angesichts des intimen Themas nachvollziehbar. Die Entscheidung führt jedoch zu abrupten Schwenks, die beim Versuch, alles einzufangen, wiederholt hinterherhinken. Überhaupt ist die Kameraarbeit ein wenig unglücklich, weil das Arbeitsgerät viel zu dicht an den Porträtierten klebt, wo etwas mehr Distanz angebracht gewesen wäre. Ähnlich dick trägt die Musik auf. In Kombination soll das wohl eine zusätzliche Nähe erzeugen, die überhaupt nicht notwendig gewesen wäre – das Thema und der Hauptprotagonist sind eigentlich stark genug.

Der Film zeigt, dass der Zölibat letztlich dazu führt, dass am Ende sowohl der katholischen Kirche als auch den Priestern etwas verloren geht: Die Priester verlieren ihre Berufung und den Gemeinden/der Kirche gehen die Priester verloren.

Vater Unser (2021)

Robi wurde vor neun Jahren zum römisch-katholischen Priester geweiht. Seitdem ist er Gemeindepfarrer in einem kleinen ungarischen Grenzdorf. Robi ist außerdem Vater von drei Kindern und muss sein Familienleben streng geheim halten. „Vater Unser“ begleitet den jungen, dynamischen Priester. Nach seinem Studium in Kirchenrecht und Wirtschaftswissenschaften stand Robi eine vielversprechende kirchliche Karriere bevor. Die Geburt der Kinder wies ihm jedoch einen anderen Weg. Er konnte nicht zu weit fortgehen und auch nicht zu lange abwesend sein. So wurde er Priester in einem kleinen Dorf am Ende der Welt.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen