Log Line

Viehwirtschaft am Ende der Welt: Ein altes Quechua-Ehepaar führt im austrocknenden Hochland der bolivianischen Anden ein karges Leben. Als der Lama-Landwirt Virginio schwer erkrankt, naht eine irreversible Zeitenwende. Doch plötzlich taucht dessen Enkel Clever mit einer rettenden Idee auf. 

Utama. Ein Leben in Würde (2022)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Die letzten Tage des Kondors

Ein Mann. Kein Weg. Sein Ende naht. Und so schreitet der etwa 80-jährige Landwirt Virginio im magischen Sonnenuntergangslicht der bolivianischen Anden den scheidenden Strahlen wie seinem persönlichen Untergang entgegen. Seine irdische Zeit ist abgelaufen. Nun folgt der stets arbeitsame und bescheidene Mann zum letzten Mal dem Lockruf des Kondors, seines Lieblingstiers, das in der Quechua-Kultur heilig ist und die Quelle des Lebens wie den Wandel der Gezeiten symbolisiert. 

Bildstark und gleichzeitig wundersam enigmatisch beginnt Alejandro Loayza Grisis international gefeiertes Langfilmdebüt Utama. Ein Leben in Würde, das beispielsweise auf dem renommierten Sundance Film Festival mit dem „Grand Jury Prize“ ausgezeichnet wurde. Kein Wunder ist es dagegen, dass der 1985 im bolivianischen La Paz geborene Filmemacher zuvor Werbung und Kommunikationswissenschaft studiert sowie als Kameramann und Fotograf gearbeitet hatte. 

Schließlich ist hier jedes Tableau (Bildgestaltung: Bárbara Álvarez) in der vorderen Bildebene sorgsam kadriert, während im Hintergrund die gigantische Weite des bolivianischen Hochlands dominiert. Zusammen mit seiner erfahrenen Kamerafrau Álvarez hat es Grisis verstanden, eine faszinierende Bildsprache zu kreieren, die sich bereits in den ersten Minuten einprägt und ihren drei Protagonist*innen obendrein ein metaphernreiches Setting liefert. 

Außerdem tragen Grisis‘ ausdrucksstarke Laiendarsteller (José Calcina als Lama-Landwirt Virginio und Luisa Quispe als dessen Ehefrau Sisa) in den beiden Hauptrollen unentwegt dazu bei, dass man dieser thematisch klug arrangierten Geschichte ums Aussterben jedweder Art(en) trotz demonstrativ gedrosselten Tempos und weniger narrativer Coups bis zum Ende gespannt folgt. Denn so wie der von der indigenen Bevölkerung verehrte Andenkondor akut vom Aussterben bedroht ist, so müssen auch die Quechua-Bauern angesichts der krassen Folgen des Klimawandels um ihre nackte Existenz kämpfen. 

Während etwa in den europäischen Alpen unentwegt die Gletscher schmelzen, trocknen im bolivianischen Hochland bei über 3600 Metern über dem Meeresspiegel ganze Landstriche aus, weil die Regenzeiten immer kürzer werden und die Dürreperioden wiederum stark zunehmen. Mit der Folge, dass die Nächte stetig länger und die Tage immer heißer werden, weshalb die rapide Wasserknappheit innerhalb weniger Jahre zum Megathema des Landes wurde. „Die Zeit hat sich erschöpft“, heißt es dazu ebenso lapidar wie aussichtslos im Dorf, aus dem bereits die ersten weggezogen sind, als sich dort Virginio nach längerer Zeit wieder einmal blicken lässt. Doch auch hier tropft kein Quell des Lebens mehr aus der Dorfpumpe. Wie soll er bloß sich und seine Lamas wortwörtlich über Wasser halten? 

Grisis geht es in seinem Spielfilmerstling darum, zu zeigen, „dass die Lebensweise (der Quechua) und der Glaube auf dem Land in besorgniserregendem Tempo erodieren“. Weder deren eigenbrötlerisch-karge Lebensweise noch die besorgniserregenden ökologischen Faktoren um sie herum scheinen sich mit der Gegenwart arrangieren zu können. Was folgt, ist häufig der Exodus in größere Städte oder vermeintlich besser versorgte Ballungszentren, in denen sich allerdings gerade diese indigene Bevölkerungsgruppe völlig fehl am Platz fühlt. 

Ein lebenskluger Viehhalter wie Virginio in Utama. Ein Leben in Würde wünscht sich vor allem die Nähe zu seinen Tieren und einen ruhigen Platz für sich und seine treue Ehefrau, die sich ebenfalls ein neues Leben an anderer Stelle so recht nicht vorstellen mag. So ist die überraschende Offerte ihres Enkels Clever (Santos Choque), der beide Senioren zu sich und seinem Vater in die Megacity La Paz locken möchte, im Grunde mit dem Lebenskonzept Virginios auf keine Weise vereinbar: Denn von einer Rente oder einem Arztbesuch, damit wenigstens einmal sein arger Husten untersuchen werden würde, hält er nichts. 

Und so entscheidet er sich trotz aller Widrigkeiten weiterhin für seine „Idylle“, auch wenn es eine tödliche ist: „Wenn der Kondor merkt, dass er nicht mehr nützlich ist, und schwach, fliegt er auf den höchsten Berg. Dort zieht er die Flügel ein und lässt sich fallen.“ 

Utama. Ein Leben in Würde (2022)

Im trockenen Hochland der Anden lebt ein altes Quechua-Ehepaar. Diesem Land fehlt das Wasser, und der kranke Virginio verbringt seine letzten Tage im Wissen um seinen bevorstehenden Tod damit, diesen Zustand vor seiner Frau Sisa zu verbergen. Alles ändert sich durch die Ankunft des Enkels Clever, der Neuigkeiten aus der Stadt bringt.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen