Und wenn sie nicht gestorben sind – dann leben sie noch heute

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Lebensläufe

Nachdem 2006 die ersten beiden Teile des Abschlusses der mittlerweile berühmten Golzow-Saga produziert wurden, kommen nun mit Teil 3 und 4 die endgültig letzten Episoden in die Kinos, die im vergangenen Jahr fertig gestellt worden sind. Über 2570 Minuten umfasst damit die gigantische Langzeitdokumentation der Kinder, Jugendlichen und später Erwachsenen, die 1961 mit einem kleinen Film in schwarzweiß über ihre ersten Schultage in der kleinen Gemeinde Golzow in Brandenburg 80 Kilometer östlich von Berlin begann, die im September dieses Jahres ihr 700jähriges Bestehen feiern wird.
Innerhalb der Filmgeschichte ist das Golzow-Projekt, dem es gelang, 18 der damals 26 Erstklässler in viereinhalb Jahrzehnten über weite Strecken zu porträtieren, absolut einmalig. Die ursprüngliche Idee dazu stammte von dem deutschen Dokumentarfilmer Karl Gass, der zu den wichtigsten Regisseuren dieses Genres in der DDR zählte und über hundert DEFA-Filme realisiert hat. Die Regie hat Gass, der anfangs als Arbeitsgruppenleiter und Mentor der Dreharbeiten fungierte, seinem damaligen Assistenten Winfried Junge übertragen, da er fürchtete, aus Altersgründen das zu jener Zeit mit dem Jahr 2000 anvisierte Ende der filmischen Studie nicht mehr persönlich begleiten zu können.

Im Fokus der letzten beiden Teile des Abschlussfilms über die Kinder von Golzow stehen die Porträts von fünf ehemaligen Schülerinnen und Schülern, die zur Zeit des Mauerbaus eingeschult wurden. Teil 3 zeigt Material über Elke, Gudrun und Karin, deren Lebenswege sich sehr unterschiedlich gestalten, ebenso wie ihre Bereitschaft, sich filmen zu lassen. Dreißig Jahre lang verweigerte sich Elke der Kamera, bis sie schließlich doch über ihr Leben Auskunft gab, ähnlich wie Karin, die nach der Wende in den Westen ging, wo sie noch heute lebt und als Altenpflegerin arbeitet. Gudrun, die als gelernte Köchin eine politische Laufbahn einschlug und bis zum Zusammenbruch der DDR, der ihr sehr nahe ging, in einer Nachbargemeinde von Golzow den Posten der Bürgermeisterin bekleidete, stieg hingegen 1991 komplett aus dem Projekt aus. Von den Maschinenschlossern Bernhard und Eckhard handelt Teil 4. Die beiden Männer sind nach wie vor miteinander befreundet und gehörten vormals zu den eher zurückhaltenden Kindern, die sich selten der Kamera präsentierten. Das Ende der Mammut-Dokumentation kehrt innerhalb eines Epilogs an den Sandkasten von Golzow zurück, wo die Saga ihren Anfang nahm, und damit schließt sich der filmische Kreis um die lange begleiteten Lebensgeschichten.

Seit 1992 führte der einstige Assistent Winfried Junge gemeinsam mit seiner Frau Barbara Regie bei den Filmen, und auch wenn die letzten Teile nun gedreht sind, bleibt das Paar seinen Protagonisten erhalten, denn es bestehen durchaus freundschaftliche Verbindungen untereinander. Die ehemaligen Kinder von Golzow, die mittlerweile über 50 sind und zum Teil selbst bereits Enkel haben, für die das wiedervereinigte Deutschland eine Selbstverständlichkeit darstellt, fangen mit ihren persönlichen Schicksalen auch ein ereignisreiches Kapitel deutscher Geschichte ein. Der Wert der umfangreichen Dokumentationen besteht nicht zuletzt in ihren sozialen, historischen und politischen Dimensionen, deren Darstellung über einen derart langen Zeitraum einzigartig ist.

Die einzelnen Filme der Chronik wurden auf einigen Festivals gezeigt, erhielten zahlreiche Förderungen und Auszeichnungen und wurden bereits einige Male im Fernsehen ausgestrahlt, in Deutschland ebenso wie in Österreich, der Schweiz und in Frankreich. 2004 erschien das Buch Lebensläufe – Die Kinder von Golzow von Barbara und Winfried Junge, herausgegeben von Dieter Wolf, das die Entstehung des gesamten Projekts bis dahin dokumentiert und dessen Fortsetzung sich die Junges durchaus vorstellen können, denn auch bei dem gewaltigen Umfang der filmischen Saga ist noch längst nicht alles erzählt worden.

Und wenn sie nicht gestorben sind – dann leben sie noch heute

Nachdem 2006 die ersten beiden Teile des Abschlusses der mittlerweile berühmten Golzow-Saga produziert wurden, kommen nun mit Teil 3 und 4 die endgültig letzten Episoden in die Kinos, die im vergangenen Jahr fertig gestellt worden sind.
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