Un jeune poète

Eine Filmkritik von Festivalkritik Rotterdam 2015 von Beatrice Behn

Ein unbeholfener Romantiker

Die Sonne scheint, die weiß polierten Grabsteine glitzern in der Sonne. Der Ausblick von diesem Bergfriedhof ist erstaunlich schön. Das blaue Meer, die Fischer, die Vögel: alles bezaubernd, alles poetisch. Und dann ist da Rémi (Rémi Taffanel). Er sitzt vor dem Grab seines Lieblingsdichters. Warum? Weil man das so macht als junger Poet. Man sitzt romantisch in der Sonne und spricht mit seinem Mentor. Auch wenn der seit ein paar hundert Jahren tot ist. Rémi hat viel zu sagen, viel zu dichten. Das weiß er. Schade nur, dass er in einer Krise steckt. Die Worte wollen einfach nicht so recht kommen. Doch Rémi weiß, was zu tun ist. Er muss einfach ein Dichter sein. Erfahrungen machen, Menschen beobachten, tiefsinnig sein. Nachdenken. Worte kommen lassen. Oder in die Bibliothek gehen und dort Worte aus dem Wörterbuch nachschlagen und benutzen.
Und so gibt Rémi sein Bestes, die Art von Dichter zu sein, die sich ein so junger Mann wie er vorstellen kann. Die romantische Version. Die träumerische. Doch alles was er tut, ist nichts mehr als hohler Gestus, als Nachahmung, fast so, als spiele er etwas nach, von dem er mal gelesen hat. Nie erlaubt er sich seine Welt so zu sehen, wie sie ist. Alles muss hineingepresst werden in seine kitschige Version von Leben und Inspiration. Auch Leónore. Die hat das Pech, im gleichen Ort Urlaub zu machen und Rémi zu treffen. Sie interessiert sich für Fotografie, er sich für sie als seine Muse. Und so erklärt er ihr dann auch alsbald in einem unfassbar schlechten Poem seine Liebe.

Doch eigentlich ist Rémi ein schlaksiger Teenager auf der Suche nach sich selbst. Sein Körper gehorcht ihm nicht. Rémi stolpert im wahrsten Sinne des Wortes durch diesen Film, seine langen Arme und Beine machen nie, was sie sollen. Rémi ist nicht inkorporiert, er ist nicht in seinem Körper. Und auch sein Kopf tut nicht wie ihm geheißen. Er will nicht denken, will nicht inspiriert sein, will nicht dichten. So flüchtet sich der Junge in seine Fantasie, die er jedoch schon so weit getrieben hat, dass er darin völlig gefangen ist. Der Film begleitet ihn bei seinem Versuch, diese Fassade aufrecht zu halten und sein Innerstes zu füllen mit einer Idee.

Es ist so unangenehm, diesem jungen Mann zuzusehen, wie er sich Tag ein, Tag aus zum Trottel macht. Es ist so schmerzhaft, ihn dabei zu beobachten, wie weit er von seinem eigentlichen Ich entfernt ist. Es ist so schmerzhaft und unangenehm, weil man selbst einmal so ähnlich war. Damals in der Pubertät. Und Un jeune pòete vermittelt diese Sich-Unwohl-Fühlen auf gekonnte Art. Taffanels Spiel ist äußert körperlich, seine Ungelenkheit, und sein verquerer, schlaksiger Körper prägen sich dem Zuschauer fast physisch bis zum bitteren Filmende und darüber hinaus tief ein. Bemerkenswert ist vor allem die Augenhöhe, die der Film stets beibehält und die dieses Werk zu etwas Besonderem macht. Es wäre so unglaublich einfach, sich über Rémi zu stellen, sich zu erhöhen, sich souverän zu fühlen angesichts dieses verwirrten jungen Mannes. Was aber hätte dieser Blick von oben gebracht außer eine spürbare Distanz zu der Figur oder eine billige und regelrecht unangenehme Art, sich über sie lustig zu machen? Nein, Regisseur Damien Manivel bleibt in seinem Erstlingswerk stets nah an seiner Hauptfigur und begleitet ihn mit Feingefühl auf seiner Reise zum Ich.

In der Tat ist das eine schöne Abwechslung und zeigt auf, wie selten Jugendliche im Kino eigentlich noch ihrem Alter entsprechen dürfen. So viele von ihnen haben erwachsene Attitüden, sind geprägt durch Ereignisse und haben genaue Pläne. Rémi darf bleiben, wie er ist: naiv, völlig verwirrt und am Anfang seines Lebens stehend. Dass er es einmal als großer Poet schaffen wird, ist unwahrscheinlich. Und trotzdem birgt Un jeune pòete den Zauber eines Anfangs. Für Rémi kann noch viel passieren, die Welt steht ihm offen — und er hat die Freiheit zu träumen.

(Festivalkritik Rotterdam 2015 von Beatrice Behn)

Un jeune poète

Die Sonne scheint, die weiß polierten Grabsteine glitzern in der Sonne. Der Ausblick von diesem Bergfriedhof ist erstaunlich schön. Das blaue Meer, die Fischer, die Vögel — alles bezaubernd, alles poetisch. Und dann ist da Rémi (Rémi Taffanel). Er sitzt vor dem Grab seines Lieblingsdichters. Warum? Weil man das so macht als junger Poet.
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