Un autre homme

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Glanz und Elend der Filmkritik

Warum wird man eigentlich Filmkritiker? Aus Liebe zum Kino? Weil man dies gelernt, studiert und sich im Laufe der Jahre das nötige journalistische und filmhistorische Handwerkszeug erworben hat? In Lionel Baiers Film Un autre homme ist der Grund viel banaler: Sein Protagonist François (Robin Harsch) kommt zur Filmkritik wie die Jungfrau zum Kinde – er hat weder vom Kino noch vom Journalismus wirklich Ahnung und befindet sich in einem Zustand der cineastischen Unschuld. Die verliert er allerdings schnell .
François hat Altfranzösisch studiert und gerade die Universität abgeschlossen, als er mit seiner Freundin (Elodie Weber), einer Lehrerin, ins Vallée de Joux im Kanton Waadt zieht. Durch eine glückliche Fügung erhält er einen Job als Redakteur beim örtlichen Regionalblättchen L’Echo de Vallée de Joux und berichtet fortan von Höhlenforschern, Feierlichkeiten und anderen Highlights des betulichen Landlebens. Weil die Betreiberin des Kinos auch eine treue Anzeigenkundin ist, soll François auch eine wöchentliche und möglichst wohlwollende Filmkritik verfassen und bekommt zu diesem Zweck immer eine Privatvorführung des Werkes, das in der kommenden Woche gespielt wird. Trotzdem mag sich die nötige Inspiration zum Verfassen der Kritiken nicht so recht einstellen. Zumal der erste Film, den er besprechen soll, ausgerechnet Gus Van Sants nicht gerade einfaches Werk Last Days ist. Zum Glück entdeckt der verzweifelte Filmkritiker in spe das cinephile und recht anspruchsvolle Fachmagazin Travelling und bedient sich hemmungslos bei den darin veröffentlichten Filmanalysen und Rezensionen.

Solch fundierte und nörglerische Kritiken ist die Kinobetreiberin Madame Suchet (Brigitte Jordan) nicht gewohnt und streicht erbost die Privatvorstellungen für den Querulanten. François, mittlerweile vom Leben auf dem Lande gelangweilt und mit dem Kinovirus infiziert, fährt von nun an regelmäßig zu den Pressevorführungen nach Lausanne, wo er die ebenso attraktive wie zynische Journalistin Rosa (Natacha Koutchoumov) kennen lernt. Zwischen dem cineastischen Eleven und der arrivierten Filmkritikerin entwickelt sich mit der Zeit nicht nur Schüler-Lehrer-Verhältnis, sondern auch eine erotische Beziehung, bei der Rosa ganz klar die Regeln vorgibt. Und dann fliegt auch noch der Schwindel mit den abgeschriebenen Filmkritiken auf…

Im Gegensatz zu seinem Antihelden hat der Regisseur Lionel Baier seine filmhistorischen Lektionen bestens gelernt: Wären da nicht die modernen Autos und anderen zeitgenössischen Details, könnte Un autre homme genauso gut aus den Zeiten der Nouvelle Vague stammen. Dazu passen auch die ungewohnten Schwarzweiß-Bilder, der ausgezeichnete Schnitt sowie die Filmmusik von Karol Szymanowski und die kleine Gastrolle von Bulle Ogier ausgezeichnet.

Auch wenn der Film am Ende teilweise einen ungewohnt ernsten Tonfall bekommt: Baiers manchmal recht verschmitzte Kritik der Kritiker ist trotz einiger Seitenhiebe (wie beispielsweise die von Rosa erwähnte Faustregel, dass jeder zweite Chabrol-Film misslungen sein müsse) niemals wirklich böse, sondern demaskiert die Eitelkeiten und Manierismen der Kritiker mit hintergründigem Humor und einigem Charme. Lediglich die Verführungsszene im Kino erweckt dann doch das dringende Bedürfnis darauf hinzuweisen, dass es selbstverständlich normalerweise in Pressevorführungen wesentlich gesitteter (und langweiliger) zugeht. Meistens jedenfalls.

Un autre homme

Warum wird man eigentlich Filmkritiker? Aus Liebe zum Kino? Weil man dies gelernt, studiert und sich im Laufe der Jahre das nötige journalistische und filmhistorische Handwerkszeug erworben hat? In Lionel Baiers Film Un autre homme ist der Grund viel banaler: Sein Protagonist François (Robin Harsch) kommt zur Filmkritik wie die Jungfrau zum Kinde – er hat weder vom Kino noch vom Journalismus wirklich Ahnung und befindet sich in einem Zustand der cineastischen Unschuld.
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