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Umberto Eco vereinte vieles in seiner Person: ungeheures Wissen, Charme und gepfefferte Ironie. Dieser Dokumentarfilm begibt sich auf die Spuren eines der größten intellektuellen Popstars des 20./21. Jahrhunderts.

Umberto Eco - Eine Bibliothek der Welt (2022)

Eine Filmkritik von Nathanael Brohammer

Dem Denken nachspüren

Wahrhaftig bibliophile Menschen wissen es allzu gut: Der beste Weg, um eine andere Person kennenzulernen, ist der Blick ins Bücherregal und die genaue Prüfung der darin aufgereihten Titel! Eine dramaturgisch so naheliegende wie folgerichtige Entscheidung also, sich einem der berühmtesten Bibliophilen und Universalgelehrten des 20./21. Jahrhunderts über dessen hauseigene Bibliothek anzunähern.

Genau das macht dieser sympathisch-altmodisch inszenierte, intellektuell anregende Dokumentarfilm, der dem mit Ehrendoktorwürden überhäuften Semiotiker, philosophischen Denker und international gefeierten Romancier Umberto Eco und seinem Schaffen ein kleines Denkmal setzt.   

Seine Nachfahren und Erben führen durch die labyrinthisch anmutende Wohnung, an deren Wänden sich neben kalligrafischer Kunst vor allem deckenhohe, prall gefüllte Bücherregale auftürmen – schriftsprachliche Universen, über ein ganzes professorales Leben hinweg gehortet. Nun sind sie Staatseigentum. Und gewissermaßen Heiligtum. Bei Ecos damaligen Umzug in die Mailänder Wohnung waren es bereits „über 30.000 Bücher“, aber er habe danach aufgehört zu zählen, berichtet er in heiterer Geschwätzigkeit in einer der Archivaufnahmen.

Regisseur Davide Ferrario, der damals mit Eco im Rahmen der Kunstbiennale zusammengearbeitet hat, wurde exklusiver Zugang zu diesem literarischen Fundus gewährt, der einem beim bloßen Anblick die Sprache verschlägt. Aus seinem ursprünglichen Projekt, die Übergabe von Ecos Privatbibliothek an den italienischen Staat und den damit verbundenen Umzug zu dokumentieren, entwickelte Ferrario schließlich dieses liebevolle Porträt.

Gewiss ist Umberto Eco – Eine Bibliothek der Welt keine audiovisuelle Revolution des dokumentarischen Genres. Ein paar Privataufnahmen sowie Sequenzen aus TV-Interviews mit diesem ulkigen Charakterkopf werden durchmischt mit anekdotischen Zutaten von Talking Heads wie Ecos Witwe Renate Ramge, seiner Kinder, Enkelkinder oder Wegbegleitende. Kleinere Animationen werden eingeblendet und Schauspielende rezitieren ausgewählte Passagen aus Ecos Werk, während sie vital gestikulierend durch Bibliotheken schweifen.

Es ist sicherlich kein leichtes Unterfangen, Bücher und ein Leben, das sich vornehmlich hinter Schreibtischen, in Lesesesseln, innerhalb universitärer Vorlesungssäle und auf Podien abspielte, packend auf Film zu bannen. Doch das sanfte Gleiten der Kamera über aufgeklappte Romane und altes Pergament sowie das anachronistische Hinein- und Herauszoomen aus Texten fügen sich mit augenzwinkerndem Schmunzeln in die Erzählung.

Ebendiese formale Entschleunigung schmiegt sich eigentlich perfekt an die inhaltlich sich entblätternde Digitalisierungsskepsis. Eco stand den neuen Medien nämlich maximal skeptisch gegenüber und genau diese Skepsis zieht sich durch den ganzen Film. Über sein Handy, das er nicht zum Telefonieren, sondern vorwiegend als Notizbuch nutzte, äußert er sich eher abfällig. Und für die immense Speicherkraft des Internets, die vermeintliche Bibliothek des 21. Jahrhunderts, hat er mehr Tadel als Lob übrig.

Er prophezeite, dass die Fähigkeit des Filterns die Fähigkeit des Speicherns in ihrer Bedeutung sehr bald ablösen würde. Gedanken, die knapp ein Jahrzehnt nach seinem Tod noch mehr an Relevanz gewonnen haben dürften. In den nicht einmal 80 Minuten werden jedenfalls reichlich Argumente geliefert, um mindestens einen kleineren digitalen Detox einzulegen und mal wieder ein gutes altes Buch in die Hand zu nehmen!


 

 

Umberto Eco - Eine Bibliothek der Welt (2022)

Die Privatbibliothek von Umberto Eco war eine Welt für sich: mehr als 30.000 zeitgenössische Bücher und 1.500 antike und seltene Bücher. Nach seinem Tod gewährte die Familie dem Regisseur Davide Ferrario, der 2015, ein Jahr vor dem Tod des Schriftstellers, mit Eco für eine Videoinstallation auf der Kunstbiennale von Venedig zusammengearbeitet hatte, Zugang zur Bibliothek. Aus der einfachen Idee, die Bibliothek zu filmen, bevor sie dem italienischen Staat übergeben und damit von ihrem ursprünglichen Standort entfernt wurde, entstand nach und nach ein Projekt für einen Dokumentarfilm: nicht nur, um einen außergewöhnlichen Ort zu beschreiben, sondern auch, um Ecos Idee und Gefühl der Bibliothek als „Gedächtnis der Welt“ zu erklären. (Quelle: Mindjazz Pictures)

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