Turistas

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Zwischen ruhigen Naturbildern und kunstvollen Arrangements

Alicia Schersons Film Turistas beginnt mit verschwommenen Bildern, die – von einem sich bewegenden Fahrzeug aus – eine Landschaft zeigen: Sie entpuppen sich als der Blick von Carla (Aline Kuppenheim), die neben ihrem Ehemann Joel (Marcelo Alonso) im Wagen sitzt und dem gemeinsamen Urlaub entgegenfährt. Schnell wird jedoch die Unzufriedenheit deutlich, welche die Beziehung des Paares prägt: Carla geht es nicht gut, sie hat – ohne sich mit Joel zu beratschlagen – die (gewollte oder ungewollte) Schwangerschaft abgebrochen, sie erzählt ihm davon wie von einer Belanglosigkeit, und nach einer kurzen, zu keiner Versöhnung führenden Unterhaltung lässt Joel Carla mit ihrer Reisetasche am Straßenrand stehen.
Fortan ist die junge Frau – hervorragend dargestellt von Aline Kuppenheim – auf sich selbst gestellt, begibt sich statt auf den Heimweg auf eine eigene Reise und wird in kurzer Zeit von der Urlauberin zur Touristin. Sie lernt den vermeintlichen Norweger Ulrik (Diego Noguera) kennen, und das ungleiche Paar tut sich zusammen, um einen nahen Naturpark zu erkunden. Der Film erzählt von Carlas Reise, die zwar keine weiten Strecken umfasst, sondern sich auf Details bezieht und über die Elemente der Natur und die Begegnung mit anderen, vor allem eigenartigen Menschen im eigenen Leben forscht.

Alicia Scherson gehört wie zum Beispiel auch der mit Filmen wie Sábado – Das Hochzeitstape und En la cama in Deutschland bekanntere Matías Bize der Generation von jüngeren Filmemachern in Chile an, die sich als Autoren mit eigener Handschrift einen Namen im internationalen Kino gemacht haben. Sie experimentieren mit dem Medium, spielen mit den verschiedenen Kanälen und Techniken und entwickeln eine eigentümliche Form des Kinos, abseits vom Mainstream und dem lateinamerikanischen Arthouse-Kino, an das man sich gewöhnt haben mag.

Wie auch schon in ihrem Debütfilm Play (2005) zeigt Scherson, wie sich einerseits über die Tonebene und andererseits über außergewöhnliche Einzelbilder originelle Filmwelten kreieren lassen. Man schaut ihren Figuren nicht nur zu, sondern fühlt sich in sie ein und mit ihnen mit. Was die Klangwelt ihrer Protagonistin Cristina in Play ist, ist für Carla in Turistas der sorgsame Beobachterinnenblick, mit dem sie ihre Umwelt erforscht: Carla scheint jeden Zentimeter des Nationalparks Siete Tazas zu erkunden, jedes Insekt zu entdecken, jede Regung der uralten Bäume. Diese ruhigen Naturbilder, häufig in Großaufnahmen fotografiert, bilden den einen Pol des bildsprachlichen Gleichgewichts in Turistas – Touristen. Auf der Gegenseite fallen sorgfältig komponierte Arrangements auf, große Stillleben in halbnaher/weiter Einstellung und voller Details. Sie führen vor, wie sich der Mensch beziehungsweise im Film ganz bestimmte Menschen wie z. B. die Aushilfen Susana (Viviana Herrera) und Susana (Sofía Geldrez) die Natur zu eigen machen, wenn sie wie Schaufensterpuppen vor den Auslagen des Kiosks des Campingplatzes posieren.

Es ist vor allem Schersons Bildsprache, die Turistas zu einem besonderen Fundstück im internationalen Kino macht. So klassisch das Thema – die Identitätssuche einer Frau, die „Helden-Reise einer Touristin“ – sein mag, so außergewöhnlich ist seine Umsetzung. Einmal mehr gelingt es Scherson, durch ihre hervorragenden Bilder aufzufallen und nachhaltig im Gedächtnis zu bleiben.

Turistas

Alicia Schersons Film „Turistas“ beginnt mit verschwommenen Bildern, die – von einem sich bewegenden Fahrzeug aus – eine Landschaft zeigen: Sie entpuppen sich als der Blick von Carla (Aline Kuppenheim), die neben ihrem Ehemann Joel (Marcelo Alonso) im Wagen sitzt und dem gemeinsamen Urlaub entgegenfährt.
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