Treeless Mountain

Eine Filmkritik von Lida Bach

Die letzten Grashüpfer

Bald wird die Mutter von Jin und Bin zurückkehren. Die Wiedersehensfreude wird doppelt sein, weil die 7-jährige Jin (Hee Yeon Kim) und ihre zwei Jahre jüngere Schwester (Song Hee Kim) dann endlich ihren Vater treffen. Die Vorstellung der jungen Protagonistinnen von So Yong Kims poetischem Kinder-Drama Treeless Mountain von den Unzulänglichkeiten der Erwachsenenwelt ist nur vage, doch die Regisseurin lässt sie in ihrem aus filigran gewebtem Drama schmerzlich deutlich werden.
Wenn die rote Spardose voll ist, verspricht die Mutter (Soo Ah Lee) Jin, dann wird sie wiederkommen. Bis dahin müssen sie und Bin bei Tante (Mi Hyang Kim) bleiben. Tante trinkt aber lieber, statt sich zu kümmern. Doch Jin und Bin haben noch die Grashüpfer. Von einem Nachbarjungen lernt Jin, dass man sie rösten und verkaufen kann, von Bin lernt sie, dass die Sparbüchse sich schneller füllt, wenn man eine große Münze gegen viele kleine eintauscht. Auf ihre Mutter warten sie dennoch vergeblich in der engen Stadtwohnung der Tante und an der Bushaltestelle, an der sie ihr Glück versuchen. Das hat die Mädchen längst verlassen, wie zuvor die Eltern und auch Tante es plant.

Bereits in ihrem Debüt In Between Days erzählte So Yong Kim in melancholischen Szenen vom Erwachsenwerden eines Mädchens. Ihre visuelle Sprache hat die unaufdringliche Bildzeugin kindlicher Auffassungsgabe in Treeless Mountain noch weiter verfeinert. Der Vater ist fortgegangen und hat sie der Mutter überlassen, die der Anforderung kaum gewachsen ist. Deshalb geht sie auf eine Reise, bei deren Antritt die älteren Zuschauer des zugleich als anspruchsvoller Kinderfilm überzeugenden Dramas bereits ahnen, dass sie eine endgültige Abkehr ist. Die Fürsorge überlässt sie der Schwägerin, die der Anforderung noch weniger gewachsen ist. Deshalb hat sie längst ihre eigenen Fluchten in gewohnheitsmäßige Trunkenheit, deren Übermacht sich ebenfalls früh abzeichnet. Deshalb bringt sie die Nichten aufs Land und überlässt sie den Großeltern, die so alt und arm sind, dass auch ihre Obhut nicht dauerhaft sein kann.

Die ihre Umwelt mit wachen Augen beobachtenden Schwestern erleben deren Unbeständigkeit auf zweifache Weise. Die Versprechungen der Erwachsenen sind leer wie die Busse, die Bin und ihre große Schwester in einer schneidend qualvollen Szene an der Haltestelle in der Hoffnung abwarten, ihre Mutter werde aus einem steigen. Die Worte der Erwachsenen sind bedeutungslos, wie die auf dem Handy eines Mannes gewählte Telefonnummer, unter der sie niemanden erreichen. Zu der Verlogenheit kommt eine psychische und physische Labilität, die selbst eine elementare Versorgung ungewiss macht. Dass die Kinder in dieser Situation die versorgende Rolle übernehmen, zuerst als symbolische Essensgeber beim Verkauf gerösteter Grashüpfer an andere Kinder, dann in finanzieller Hinsicht durch den Entschluss, der Großmutter das Geld aus der Sparbüchse zu schenken, scheint oberflächlich paradox.

Darunter jedoch liegt die bittere Konsequenz kindlichen Handelns verborgen und in ihm wiederum ein trotziger Mut. In all dem, worin die größeren um sie herum der Reihe nach scheitern, hat Jin Erfolg. Sie kümmert sich unerschöpflich um die ihr anvertraute Schwester, sie bewahrt die durch die Spardose symbolisierte materielle Grundlage. Indem sie Kontakte knüpft, beweist sie die sozialen Kompetenzen, die ihrer alkoholkranken Tante fehlen, in ihrem Beharren auf die Rückkehr der Mutter die Beständigkeit, die nichts um sie herum hat. Nicht einmal die Natur, weshalb die von Jin ersonnene Einnahmequelle durch den Insektenverkauf nach dem Sommer wegbricht.

Die Natur wird es auch sein, die den Mädchen die letzte Zuflucht nimmt, sobald die Großeltern versterben. Doch soweit enthüllt das anrührende Kindheitsporträt die Zukunft nicht. Stattdessen schenkt es seinen jungen Heldinnen einen Moment unbeschwerter Freude, deren Dauerhaftigkeit so trügerisch ist wie grausame und zärtliche Realität in Treeless Mountain.

Treeless Mountain

Bald wird die Mutter von Jin und Bin zurückkehren. Die Wiedersehensfreude wird doppelt sein, weil die 7-jährige Jin (Hee Yeon Kim) und ihre zwei Jahre jüngere Schwester (Song Hee Kim) dann endlich ihren Vater treffen. Die Vorstellung der jungen Protagonistinnen von So Yong Kims poetischem Kinder-Drama „Treeless Mountain“ von den Unzulänglichkeiten der Erwachsenenwelt ist nur vage, doch die Regisseurin lässt sie in ihrem aus filigran gewebtem Drama schmerzlich deutlich werden.
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