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Wer in den Dschungel geht, braucht einen starken Kompass. In der Wildnis lauern nicht nur die Gefahren einer unbarmherzigen Natur, sondern auch jene aus dem triebhaften Teil des Selbst. Als ein paar Männer, die Gummi ernten, im Urwald einer rätselhaften Frau begegnen, geraten sie auf Abwege.

Tragic Jungle (2020)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Wer die Kräfte der grünen Hölle weckt

Ein Mann schlägt mit seiner Machete Kerben in einen Gummibaum, umgeben von den Lauten des Dschungels. Er blickt fragend hinauf zum Himmel und aus dem Off spricht eine Stimme zu ihm. Sie könnte aus seiner Erinnerung stammen oder von weit her kommen, aber ob er sie wahrnimmt, bleibt fraglich. Er solle sich nicht von süßem Nektar verführen lassen, warnen ihn die Worte dieses Wissenden. Der Dschungel könne ihm viel geben, aber auch viel nehmen. Der mexikanische Arbeiter und seine Kollegen finden eine bewusstlose junge Frau und nehmen sie mit in ihr Camp. Damit aber haben sie ihr Los besiegelt. Ohne es zu ahnen, haben sie Xtabay, die in der Wildnis schlummernde Gestalt aus der Legendenwelt der Mayas, geweckt.

Schon vorher in diesem Mysterydrama, das im Jahr 1920 im Regenwald am Grenzfluss zwischen Mexiko und Britisch-Honduras – dem heutigen Belize – spielt, nähert sich die junge, ganz in Weiß gekleidete Agnes (Indira Rubie Andrewin) mit zwei Begleitern dem Rio Hondo vom gegenüberliegenden Ufer. Wie sich bruchstückhaft herausstellen soll, befindet sie sich auf der Flucht vor einem Engländer (Dale Carley), den sie nicht heiraten wollte. Agnes, ihr Helfer Norm (Cornelius McLaren) und die Krankenschwester Florence (Shantai Obispo) besteigen ein Kanu, um auf dem Fluss das Weite zu suchen. Norm schaut auf die grünen, undurchdringlichen Ufer und sagt, hier draußen scheine alles auf die Ankunft des Feindes zu warten. Vielleicht meint er, dass der Dschungel die Ankunft der Konquistadoren vor Hunderten von Jahren nicht vergessen hat. Der Engländer, der mit zwei Gehilfen in seinem Motorboot herannaht, versteht sich jedenfalls noch sehr konkret als Herr über Leben und Tod. Als er das Kanu sieht, lässt er auf die dunkelhäutigen Flüchtigen schießen, mit dem erregtem Blick eines Jägers, der ein wildes Tier erbeuten will.

Im grünen Zwielicht des Waldes fehlen dem Menschen verlässliche Wegweiser, beginnen seine Sinne, seine Gedanken rasch, ihm Streiche zu spielen. Die mexikanische Regisseurin Yulene Olaizola (Fogo) lässt das Publikum ihres für Netflix produzierten Films unmittelbar am Taumel der Eindrücke teilhaben. Oft bleibt die Frage offen, wo es sich noch um Realität, wo bereits um magischen Realismus handelt, der sich der Handlung schleichend bemächtigt. Agnes und ihre Begleiter erreichen das Ufer und laufen in den Wald, aber nur Agnes wird nicht von den Gewehren niedergestreckt. Ist sie verletzt, hält sie die Hände vielleicht schützend über eine Wunde am Bauch? Als die Arbeiter, die den Latexstoff Chicle ernten, Agnes finden, ist sie jedenfalls unverletzt. Hat bereits eine magische Verwandlung stattgefunden? Agnes wird nun kein Wort mehr sprechen, sie dient fortan nur als Projektionsfläche für das männliche Begehren.

Die Figurenzeichnung bleibt auffallend schemenhaft, auch bei den Arbeitern, die Agnes aufnehmen. Interessanter als die Charaktere der überwiegend indigenen Männer ist für die Geschichte die Gruppendynamik, die sich in Gegenwart der schönen fremden Frau entwickelt. Sie halten sich unter Androhung von Waffengewalt gegenseitig in Schach, keiner soll sich ihrer bemächtigen. Die Blicke aber gelten ihr allein, am Lagerfeuer, in den Gewitterstunden, die zur Untätigkeit zwingen. Eifersucht, Gier, Neid werden geweckt. Der Dschungel dient in diesem Film als Metapher für die entfesselten Triebe des Unbewussten, während er zugleich auch mit der vollkommenen Gleichgültigkeit der Natur auf die menschlichen Versuche, sich zurechtzufinden, blickt. Die Männer beginnen, sich für stärker zu wähnen, als sie sind. Und was sie begehren, ist nicht nur die Liebe der schönen Frau. Unter dem Einfluss von Schnaps beginnen sie von der Freiheit zu sprechen. Der Patron zahlt schlecht und wer weiß, ob er sie nicht gleich grausam töten wird wie früher schon andere, die eines Vergehens bezichtigt wurden. Sie beschließen, über den Fluss nach Britisch-Honduras zu gehen und den Stoff, der zur Herstellung von Kaugummi verwendet wird, Schmugglern für viel Geld zu verkaufen. Die Gier vermischt sich mit dem vitalen Drang, der sozialen Knechtung zu entkommen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Aber der Dschungel unterscheidet nicht zwischen menschlicher Anmaßung, Verrohung und legitimen Wünschen. Und es ist bezeichnenderweise nicht der größte Bösewicht, nach dem er greift.

Wie schon in Die versunkene Stadt Z entwickeln auch hier die Aufnahmen der grünen Wildnis eine magische Anziehungskraft. Selbst die einheimischen Arbeiter sind im Dickicht des Regenwaldes Fremde, Eindringlinge. Sie wollen sich nehmen, was ihnen nicht gehört. Ein Blick in die falsche Richtung, eine Ablenkung durch rätselhafte Geräusche können einen Kletterer das Leben kosten. Unter die Stimmen der Vögel, der Brüllaffen, der Insekten mischen sich elektronische, mechanisch wirkende Noten einer Filmmusik, die auf fast lakonische Weise Unheil verkündet. Eine moralische Botschaft vermittelt dieser rätselhafte, aber dem trägen Lauf seiner unerbittlichen Handlung wie zum Trotz auch fesselnde Film allenfalls in Verbindung mit dem Umweltgedanken. Aber es sind die dunklen Töne der kolonialen Ära, die dieser alten Geschichte von der Hybris des Menschen einen verstörenden Nachhall verleihen.

Tragic Jungle (2020)

1920, im grünen Niemandsland zwischen Mexiko und Belize. Eine Gruppe von Mexikanern zapft aus den Bäumen im Urwald Chicle, eine zähflüssige Substanz, die bereits von den Maya als Kaugummi genutzt wurde. Plötzlich stoßen die Männer auf eine bewusstlose junge Frau und bringen sie in ihr Camp. Die Anwesenheit der mysteriösen Fremden führt zu Spannungen unter den Arbeitern und beflügelt ihre Fantasien. Nach und nach verfallen sie ihrem Bann – und merken zu spät, dass sie Xtabay geweckt haben, eine Maya-Dämonin, die im Herzen des Dschungels lauert.

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