Tiempos menos modernos

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der Schafhirte und das Fernsehen

Bereits der Titel deutet es an, dass hier in Patagonien, wo Simón Francos Tempos menos modernes angesiedelt ist, die Uhren ein bisschen langsamer laufen; dass hier statt dem schnellen Pulsschlag der Chaplinschen „Modernen Zeiten“ ein anderer, langsamerer, behäbigerer Rhythmus des Lebens schlägt. Das zeigt sich bereits zu Beginn des Films, als wir dem Transport einer geheimnisvollen Holzkiste zusehen, die zunächst mit dem Flugzeug, dann mit dem Auto in eine immer kargere Gegend transportiert wird, bis wir dort auf den „Helden“ der Geschichte treffen. Und der ist — wie es sich für Patagonien gehört — mit dem Pferd unterwegs, ganz gemütlich, ohne jede Eile und nahezu ohne Kontakt zu anderen Menschen.
Das aber ändert sich, als die Regierung gegen Ende der 1990er Jahre unter Präsident Carlos Menem auf die Idee verfällt, den dünn besiedelten Gegenden des Landes (und zu diesen gehört auch Patagonien), die Segnungen des Satellitenfernsehens und des Telefons zukommen zu lassen. Denn genau diese Gegenstände befinden sich in der ominösen Kiste. In den „Genuss“ dieser amtlich verordneten Wohltat gelangt auch (wenngleich nur mit einigem Widerwillen) der Schafhirte Ramiro Payaguala, der fortan der kitschigen TV-Soap Alma Mia erliegt, in der ein reicher Tunichtgut das Herz und die Seele einer jungen Unschuld vom Land raubt und sie ins Verderben zu stürzen droht.

Ganz ähnlich ergeht es dem Schafhirten in der Folge selbst: Auch er erliegt den Verlockungen der großen weiten Welt und vernachlässigt seine Aufgaben für die Tiere und das Anwesen, das er doch eigentlich herrichten muss für den herannahenden Winter. Doch plötzlich sind ihm die fiktiven Gefühle, die da über den Bildschirm flimmern, wichtiger als sein eigenes Leben, dass er sich doch (so erfahren wir später) genau so eingerichtet hat, um seine gescheiterte Ehe zu vergessen. Und so sehr er sich anfangs gegen die Angebote seines chilenischen Freundes Felipe (Nicolas Saavedra) wehren wird, gegen Geld für die wenigen Touristen einige der alten Weise der Gegend zu singen, am Ende bleibt ihm doch gar nichts anderes übrig, als genau das zu tun. Auf die eine oder andere Weise holen einen die „modernen Zeiten“ dann doch ein…

So langsam kommt Tiempos menos modernos daher, dass dieser verzögerte Rhythmus ein wenig darüber hinwegtäuscht, dass die eigentliche Geschichte des Films recht dünn geraten ist. Bei normalem Erzähltempo würde das schmale Handlungsgerüst gerade mal für maximal eine halbe Stunde Laufzeit reichen. Doch auch so, mit den zahlreichen eingestreuten Landschaftspanoramen und der zerdehnten Weise der Inszenierung stellt die karge Komödie den Zuschauer auf eine harte Geduldsprobe. Denn so sympathisch diese Zivilisationskritik auch geraten sein mag — ein wenig naiv und mit sehr rohem Handwerkszeug gezimmert wirkt die Medienschelte des Films schon. Es mag ja durchaus sein, dass man in den Weiten Patagoniens dem Terror des medialen Zeitalters so einfach entkommt, in zivilisierteren Gebieten und mit einer anderen Beschäftigung als jener der Protagonisten dürfte die Verweigerung gegenüber den zweifellos hinterfragenswerten Segnungen unserer schnellen Zeit weitaus schwerer fallen.

Dank des Charismas des Laiendarstellers Oscar Payaguala und dem manchmal fast an Aki Kaurismäkis erinnernden lakonischen Inszenierungsstil folgt man den Wendungen der Geschichte gerne und mit einigem, eher punktuellem Vergnügen, ohne allerdings zu vergessen, dass dieses Lob des einfachen Lebens ein wenig aus der Welt (vor allem aus unserer Welt) gefallen zu sein scheint. Zivilisationsmüde und Kulturpessimisten, die in jeder neuen Technologie gleich den Untergang der zivilisierten Welt sehen, werden sich durch Tiempos menos modernos freilich bestätigt fühlen — und dabei glatt übersehen, dass der Rückzug in die Isolation, wie der sympathische Hirte dies praktiziert, auch nicht gerade eine nachahmenswerte Strategie zur Lebensbewältigung ist.

Tiempos menos modernos

Bereits der Titel deutet es an, dass hier in Patagonien, wo Simón Francos „Tiempos menos modernos“ angesiedelt ist, die Uhren ein bisschen langsamer laufen; dass hier statt dem schnellen Pulsschlag der Chaplinschen „Modernen Zeiten“ ein anderer, behäbigerer Rhythmus des Lebens schlägt.
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Meinungen

gabriele fuchs · 10.11.2012

grandios ehrlich im vermitteln zwischen schein und realem sein !