Log Line

Thomas, die kleine Lokomotive, macht sich auf eine Reise rund um die Welt. Das wirft viele Fragen auf.

Thomas und seine Freunde - Grosse Welt! Grosse Abenteuer! (2018)

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

Bildungsreise für Tenderloks

Wann sterben eigentlich Lokomotiven? Also nicht die unbelebten Zugmaschinen unseres Alltags draußen in der Welt, sondern jene beseelten Wesen mit eigenem Willen und kräftigen Kesseln, die in Fantasiewelten über Gleise preschen und sich mit ihren Nachbarzügen austauschen, über stinkende Fischwaggons oder rostige Weichen? Sterben sie, wenn das Feuer ausgeht, wenn der Kessel unwiederbringlich leckt, wenn die Achsen brechen, wenn der Rost sich ganz durchgefressen hat durch Lack, Kessel und Räder?

Das sind nur ein paar der Fragen, die sich mir während des Animationsfilms Thomas und seine Freunde – Große Welt! Große Abenteuer! so gestellt haben, und ich bin sicher, keine einzige davon war von den Macher_innen so beabsichtigt. Aber es war nunmal nicht meine Idee, den Titelhelden Thomas kurz vor Ende des Films noch in einer unbarmherzigen nordamerikanischen Wüste entgleisen zu lassen; einsam liegt er da, halb eingerammt in den Sand, die Kamera zeigt die rostigen Überreste einer anderen, schon lange schweigenden Lokomotive…

Wie kommt man da um die Frage nach der Sterblichkeit herum? Oder um die Frage, was eigentlich mit dem Lokführer passiert ist, der kurz vorher noch in Thomas‘ Führerhaus zu erkennen war? Und warum braucht eine beseelte Lok wie Thomas, die, das wird aus der Handlung offenbar, ihre Geschwindigkeit wie ihre Fahrtrichtung selbst bestimmen kann, überhaupt einen Lokführer? Und warum fragt, als Thomas dann am nächsten Morgen von einer Lokomotive und einer Gruppe Cowboys (richtig mit Pferden!) gerettet wird, niemand nach dem Verbleib oder wenigstens Wohlbefinden des Lokführers?

Ich habe sehr viele Fragen, aber keine einzige davon wird beantwortet. Das kann natürlich gut sein: Endlich einmal ein Film, der Fragen aufwirft und keine Antworten behauptet! Nur will dieser Film mit seinem bizarr langen Titel Thomas und seine Freunde – Große Welt! Große Abenteuer!, der natürlich auf der gleichnamigen Fernsehserie aufbaut, welche wiederum mittlerweile quasi unendlich viele Staffeln und unzählige Spin-Offs hat, also einzelne, etwas längere Filme wie diesen. Das Ganze basiert wiederum auf der Kinderbuchreihe The Railway Series, die zugleich auch als Vorlage für das Musical Starlight Express diente.

Dass nun in Thomas und seine Freunde – Große Welt! Große Abenteuer! auch gelegentlich gesungen wird, sollte aber nicht zu falschen Schlüssen verführen: Die Musik ist allerfadester 08/15-Pop, nicht einmal von der stampfenden Sorte. Die geht popop hier zum Ohr rein, hophop dort wieder raus, und das ist auch gut so für alle Beteiligten. Es steht zu befürchten, dass einzelne Mitglieder des eigentlichen Zielpublikums – nämlich Kinder ab vier bis vielleicht acht Jahren – den einen oder anderen Ohrwurm davontragen, aber weder die Melodien noch die Texte sind memorabil genug, um gegen Rolf Zuckowskis meisterhafte Martyrien anstinken zu können.

Auch die Handlung dieses Films ist schnell vergessen: Tenderlokomotive Thomas, eigentlich ja als positive Identifikationsfigur konzipiert, hat seinen Tender offenbar mit Widerborsten ausgeputzt, jedenfalls hängt er nicht nur der blasierten Schnellzuglok auf seiner Heimatinsel Sodor ein paar stinkende Fischwaggons an (was wohl witzig sein soll), er lässt sich auch von einem nassforschen Rennwagen namens Ace (ernsthaft) bequatschen, dass er doch an einem Rennen um die Welt teilnehmen könne.

Kann Thomas natürlich nicht, weil ja nicht überall Schienen liegen, aber das weiß die junge Lok ja nicht, und lässt sich deshalb am Hafen gleich mal nach Dakar einschiffen. Dann geht es quer durch Afrika, wo er die freundliche Lok Nia kennenlernt, die sich ihm anschließt, ob er will oder nicht (er will nicht) und ihn immer wieder daran erinnert, dass man ja eigentlich auf andere achten soll – vor allem aber: „Wir haben doch den Auftrag, nützlich zu sein.“

Ace hingegen ist ein Hedonist („wichtiger als nützlich sein oder Versprechen zu halten ist es, Spaß zu haben!“), der auch jede Verantwortung für andere ablehnt, aber Thomas braucht etwa drei Kontinente, um das zu kapieren. Nunja, er ist nicht die hellste Rangierlok auf unseren Gleisen, sonst hätte er womöglich doch einmal begonnen zu hinterfragen, welche „Nützlichkeit“ denn von Nia da eigentlich gemeint ist – macht es das Leben dieser Lokomotiven nützlicher, gar sinnvoller, wenn sie Waggons voll Kaffee von Rio de Janeiro nach San Francisco transportieren?

Aber ich beginne schon wieder Fragen zu stellen, es sind wirklich so viele! Warum sind die verschiedenen Kontinente (Australien wird bei dem Rennen Rund-um-die-Welt ausgelassen) so schlicht-stereotyp? Warum sind die kurzen Übersichtssequenzen, in denen wie gezeichnet der Fortschritt der Tour über die Kontinente gezeigt wird, so viel schöner anzusehen als die Nahaufnahmen der Loks? Warum, wozu, wohin geht die Reise?

Ich habe jede Menge Fragen und keine Antworten. Ich würde mir wünschen, „der dicke Kontrolleur“, der Thomas den ganzen Film über treu und sorgenvoll hinterherreist, hätte welche; aber die einzige Antwort, die mir der Film gibt, ist diese: Dass sein Lokomotivenbild womöglich noch eindimensionaler und schwächer ist als sein Menschenbild.

Thomas und seine Freunde - Grosse Welt! Grosse Abenteuer! (2018)

Der erste Kinofilm des großen Serienerfolgs „Thomas und seine Freunde“ führt die Dampflokomotive Thomas in ein Abenteuer über fünf Kontinente

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Meinungen

Melanie · 05.01.2020

Ob es wohl zielführende ist wenn im Trailer zu Thomas und seine Freunde als Vorschau ein Horrorfilm gezeigt wird ?....