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Wie das Kleine ganz groß wird, das lässt sich die Dokumentarfilmerin Corinna Belz vom Bildhauer Thomas Schütte zeigen. Sie darf ihm wie schon dessen Lehrer Gerhard Richter bei der Arbeit über die Schulter schauen – ein faszinierender Austausch zwischen kinematografischer und bildender Kunst.

Thomas Schütte - Ich bin nicht allein (2023)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Vom Geheimnis des kreativen Akts

Erst der Lehrer, dann der Schüler: 2011 zeigte Corinna Belz ihre vielbeachtete und publikumsstarke Doku „Gerhard Richter Painting“. Zwölf Jahre später schaut sie dessen Meisterschüler Thomas Schütte bei der Arbeit über die Schulter. Erneut interessiert sie sich für den Akt des kreativen Schaffens. Aber weil Schütte nicht in erster Linie Maler, sondern Bildhauer ist, lernen wir im Vergleich zu Gerhard Richter noch einmal ganz andere Aspekte der bildenden Kunst kennen: spezialisierte Werkstätten, die in enger Kooperation mit dem Künstler dessen Arbeiten in ein ganz anderes Material gießen, etwa in Bronze. „Ich bin nicht allein“, der Untertitel von Belz‘ einfühlsamer und kunstvoller Begleitung, bezieht sich unter anderem darauf: auf das Kollektiv langjähriger Freunde und Helfer, mit denen sich der in Deutschland und international hoch angesehene Thomas Schütte blind versteht. 

2021, New York: Das MoMA (Museum of Modern Art) bereitet gerade eine Retrospektive über den 1954 geborenen Thomas Schütte vor. Die Kuratorin hat soeben „Nixe“ gesehen, die neue überlebensgroße Bronzestatue des Künstlers. Sie weiß, dass solche zugleich anziehenden und irritierenden Giganten bei Schütte meist aus ganz kleinen Figuren entstehen, die er wie nebenher aus Ton knetet. Aber die Geschichte der Meerjungfrau „Nixe“ kennt sie noch nicht. Sie ist neugierig, mehr über das kniende, sich zurücklehnende Geschöpf mit der auffälligen Handhaltung zu erfahren. Schnitt und Rückblende: Düsseldorf 2020. Der Leiter der Gießerei Kayser möchte dem Künstler etwas zeigen. Er hat es beim Aufräumen in einem der zahllosen Regale gefunden. „Erinnerst du dich?“, fragt er den Künstler. Der weiß nicht so recht, aber die verdreckte Figur, die er irgendwann mal hat gießen lassen, weckt sein Interesse: „Ich brauch unbedingt was für mein Herbstprogramm.“ Und siehe da, nach dem Sandstrahlen wird eine kleine Nixe wiedergeboren, deren Verwandlungs- und Wachstumsprozess über viele Stadien den roten Faden des Films spinnen wird.

Dazwischen lässt sich Regisseurin Corinna Belz Lustiges und Beeindruckendes aus dem akkurat geordneten Archiv des Künstlers zeigen, geht mit ihm zu Galerien und spielt immer wieder Mäuschen in seinen verschiedenen Ateliers, die er für die Vielfalt seiner Arbeiten und Materialien braucht. Man spürt das Vertrauen, das der Künstler seiner Begleiterin entgegenbringt, die ihm zweieinhalb Jahre mit ihrem kleinen Team über die Schulter schauen durfte. Belz (In den Uffizien, 2021) ist seit 2007 eine Spezialistin für bildende Kunst im Kino. Ihre Neugier und Leidenschaft für das Sujet scheinen mit jeden Film noch zu wachsen, ohne in Fachsimpelei abzugleiten. 

Die Visualität des Films erklärt Schüttes Arbeit praktisch von selbst, auf Informationen über die Biographie des Künstlers und die wichtigsten Stationen seines Schaffens ist die Doku nicht angewiesen. Dennoch kann es nicht schaden, sich in Kürze den Werdegang des millionenschweren, aber nicht jedem Laien geläufigen Bildhauers zu vergegenwärtigen: Thomas Schütte studiert von 1973 bis 1981 an der Kunstakademie Düsseldorf bei Fritz Schwegler und dem erwähnten Gerhard Richter. Von Anfang an zeigt sein Werk Vielseitigkeit. Es gibt Radierungen, Architekturmodelle, Arbeiten aus Ton, Bronze, Holz oder Glas. Schütte gilt dabei als Einzelgänger, der sich aktuellen Trends entzieht und sich zum Gegenständlichen hingezogen fühlt. Und vor allem: Er arbeitet ausschließlich mit den Händen, Installationen oder digitale Medien sind nicht sein Ding. Kenner halten ihn für einen der wichtigsten, wenn nicht den wichtigsten zeitgenössischen Bildhauer in Deutschland. Immer geht es ihm um Menschen und damit um Schönes und Böses, Beschädigungen, Machtverhältnisse, Ängste oder Abhängigkeiten.

Für Corinna Belz und ihr Interesse am kreativen Akt ist Thomas Schütte ein idealer Kandidat. Nicht nur wegen seines trockenen Witzes und seiner locker-zugänglichen Art. Sondern zum einen, weil man innerhalb des arbeitsteiligen Prozesses, bei dem auch viele Handwerker nötig sind, den spezifischen Beitrag des Künstlers besser sieht. Und zum andern, weil Thomas Schütte gern schnell arbeitet. Einmal formt er einen kleinen Glatzkopf aus Ton, beherzt zupackend und fast ohne Korrekturen. „Nach einer halben Stunde ist man mit seiner Geduld am Ende“, sagt er bald. In dieser Zeitspanne muss der Kopf fertig sein, mag er nun besser oder schlechter gelingen. Man kann natürlich nicht in Schüttes Gehirn schauen, aber in solchen Momenten kommt man seinen genialen Geistesblitzen ganz nahe. Auch wenn das Geheimnis des schöpferischen Moments niemals vollständig zu entziffern ist – sonst wäre er wohl keine Kunst mehr.

Unterm Strich ist das größte Verdienst des Films seine Türöffner-Funktion. Mit einfühlsamen Kamerafahrten und aufgeräumten Bildern funktioniert er als Dialog zwischen kinematografischer und bildender Kunst. Durch den Austausch auf Augenhöhe wirkt er dem Elitären entgegen, das sich meist mit der abgeschotteten Welt der Sammler verbindet. Und er durchkreuzt das Vorurteil, dass man als „normaler“ Mensch heutzutage sowieso keinen Zugang mehr zu Werken von Gegenwartskünstlern finde. Thomas Schütte und Corinna Belz beweisen das Gegenteil – mit einer immer wieder unterhaltsamen Reise zu den Brüchen und Kontinuitäten im Werk eines sich treu bleibenden Künstlers. Und zu seinen Arbeiten, die in all ihrer Schönheit, ihren Ambivalenzen und Rätseln ganz plastisch auf der Leinwand stehen. 

Thomas Schütte - Ich bin nicht allein (2023)

Im Werk von Thomas Schütte geht es immer um den Menschen. Seine Arbeiten haben Schwere und Leichtigkeit, aber sie zeigen auch Beschädigungen, Machtverhältnisse, Ängste, Abhängigkeiten, böse, schräge und schöne Gestalten.

Wie bei nur wenigen Künstlern seiner Generation kommt in Schüttes Werken ein Wissen um handwerkliche Techniken zur Anwendung, die ihn mit seinen Werkstätten eng verbindet. Er arbeitet mit Keramik, Bronze, Holz, Glas, Papierarbeiten.

Ob es um Skulpturen (Nixe), um Architektur wie die Skulpturenhalle und die Spàrta Hütte, oder um einen überlebensgroßen „Mann im Matsch“ geht, immer begegnen uns Schüttes Werke mit eindringlicher physischer Präsenz, die seine Werke für ein breites Publikum interessant machen.

Ein Film über Schütte ist eigentlich überfällig, aber wir treffen genau den richtigen  Moment: Geplant sind u.a. eine große Retrospektive im Museum of  Modern Art (MoMA), New York und in Venedig.

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Meinungen

Parduhn · 21.12.2023

Großartig! Völling neue Eigenschaften an ihm entdeckt. Ich sehr sympathischer und eindrucksvoller Künstler.. Coriinna Belz ist ein einfühlsamer Film gelungen.
Gratulation