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Ein Dämon aus dem jüdischen Volksglauben sucht einen jungen Mann heim, der seine orthodoxe Gemeinde verlassen, auf Bitten seines ehemaligen Rabbiners aber noch einmal eine Totenwache übernommen hat. Kann Keith Thomas in seinem Kinodebüt erzählerischen Anspruch und Grusel vereinen?

The Vigil - Die Totenwache (2019)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Von Schuldgefühlen angezogen

Horrorfilme mit bleibender Wirkung sind häufig solche, die nicht nur auf ihre Schockmomente setzen, sondern darüber hinaus etwas über Trauer, Schmerz oder Schuldgefühle erzählen. Ein gutes Beispiel ist das 2014 veröffentlichte Gruseldrama „Der Babadook von Jennifer Kent, das sich auf eindringliche Weise mit dem Trauma einer Mutter und der problematischen Beziehung zu ihrem verhaltensauffälligen Sohn befasst. Auch Keith Thomas will in seinem Kinodebüt „The Vigil – Die Totenwache“ nicht bloß eine Geistergeschichte erzählen, sondern kombiniert den Spuk mit dem realen Grauen des Antisemitismus und des Holocaust.

 

Am Anfang seines ersten abendfüllenden Spielfilms stand, so führt es der Regisseur und Drehbuchautor in Interviews aus, die Erkenntnis, dass nur wenige Horrorstreifen in einem jüdischen Umfeld angesiedelt sind. Tauchen Dämonen aus dieser Kultur in Schauerarbeiten auf, suchen sie laut Thomas zumeist nichtjüdische Personen heim. Anders verhält es sich nun in seinem eigenen Werk, dessen Protagonist Yakov (Dave Davis) einer offenbar streng-orthodoxen Gemeinde den Rücken gekehrt hat. Nach einem Termin mit einer Gesprächsgruppe, in der Aussteiger bei der Eingliederung in die Gesellschaft Unterstützung erhalten, steht der junge Mann allerdings plötzlich seinem früheren Rabbiner (Menashe Lustig) gegenüber, der den vom Glauben Abgefallenen wieder in den Schoß der Gemeinschaft zurückführen möchte und ihn nun um einen Gefallen bittet. Für eine Nacht soll Yakov die traditionelle Aufgabe des Schomers, eines Totenwächters, übernehmen. Weil ihm eine ordentliche Entlohnung winkt und er knapp bei Kasse ist, schlägt er seine Bedenken in den Wind. Nach der Ankunft im Haus des Verstorbenen bereitet ihm das seltsame Verhalten der demenzkranken Witwe (Lynn Cohen) umgehend Kopfzerbrechen. Und schon bald fühlt er sich von einer übernatürlichen Macht bedroht.

Der Film spielt fast ausschließlich an einem Ort, einem spärlich ausgeleuchteten, gediegen eingerichteten New Yorker Altbau. Die Handlungszeit ist auf ein paar Stunden begrenzt. Ominöse Kamerabewegungen erwecken den Eindruck, eine geisterhafte Präsenz streife umher. Flackernde Lichter, merkwürdige Geräusche und nicht erklärbare Ereignisse bringen Yakov immer wieder aus der Fassung.

Keith Thomas kreiert eine passable Gänsehautatmosphäre, hätte sich in seiner Inszenierung aber gelegentlich trauen können, die bewährten Genrepfade zu verlassen. Wer schon viele Horrorfilme gesehen hat, dem wird The Vigil – Die Totenwache sicherlich keine schlaflosen Nächte bereiten. Wie so oft sind es vor allem die offensiven jump scares, laute, das Publikum regelrecht anspringende Schockeffekte, die sich am schnellsten abnutzen. Mit aufregenden Variationen oder besonders originellen Gruselbildern kann Thomas leider nicht aufwarten.

Was Handlung und Figuren betrifft, verfolgt der Debütant hingegen ambitionierte Ziele. So steht der unsichere Yakov nach der Abkehr vom orthodoxen Glauben an der Schwelle zu einem neuen Lebensabschnitt. Kleine Hinweise verraten, dass er gewisse Formen des sozialen Miteinanders erst erlernen muss. Überdies trägt er, wie Rückblenden schon früh andeuten, einen schweren Verlust mit sich herum, den er nicht verwunden hat, weil er sich selbst die Schuld gibt. Gerade dieser Schmerz ist das Einfallstor für den aus dem jüdischen Volksglauben stammenden Dämon namens Mazik, der Yakov während seiner Totenwache bedrängt.

Der Film wird von spannenden Ideen und interessanten Bezügen angetrieben, dringt allerdings nicht tief genug vor, um eine große emotionale Wucht zu entfalten. Mit dem Holocaust und dem noch immer grassierenden Antisemitismus schneidet Thomas ernste Themen an, hätte diese aber noch umfassender in seine Schauergeschichte einbetten sollen. Obwohl sein Erstling in jüdische Rituale und Lebensweisen abtaucht und in der Originalfassung diverse Male Jiddisch gesprochen wird, setzt sich am Ende der Eindruck durch, einen dann doch nicht allzu ungewöhnlichen Horrorbeitrag gesehen zu haben.

The Vigil - Die Totenwache (2019)

Ein Mann, der in seiner orthodox-jüdischen Gemeinde die obligatorische Nachtwache am Totenbett Verstorbener übernimmt, sieht sich eines Nachts einem bösen Geist gegenüber…

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