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Jacques Audiards Interesse für Genrefilme ließ sich schon in Dämonen und Wunder erkennen, der sich von Sam Peckinpahs Thriller Wer Gewalt säht beeinflusst sah. Mit The Sisters Brothers geht er nun tief ins Westerngenre hinein. Aber natürlich nicht ohne seine ikonische Gesellschaftskritik.

The Sisters Brothers (2018)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Der Geschmack von Blut und Gier

Oregon, 1851: The Sister Brothers, das sind Eli (John C. Reilly) und Charlie (Joaquin Phoenix) Sisters, zwei berühmt-berüchtigte Handlanger des Commodore (zwei Mal kurz zu sehen: Rutger Hauer). Für ihn arbeiten sie als Autragskiller. Aber auch ohne Auftrag geht hier und da schnell mal jemand drauf, vor allem, wenn Charlie mal wieder rotzbesoffen ist und wild um sich feuert. Wie es halt so ist im Wilden Westen. Aber ganz so klassisch kann es dann doch nicht sein, denn schließlich stammt dieser Film vom französischen Autorenfilmer Jacques Audiard.

Audiards Interesse an Genrefilmen ist bekannt, sein letztes Werk Dämonen und Wunder war eine recht eindeutige Hommage an die Thriller der 1970er Jahre. Nun also Western und noch dazu sein erster englischsprachiger Film, für den er, wieder zusammen mit seinem Stammautoren Thomas Bidegain (Ein Prophet), das Drehbuch schrieb. Es steckt also mehr hinter diesen beiden saufenden, rumspuckenden, dreckigen Kerlen. Und in der Tat, schnell wird klar, dass The Sister Brothers ein ungewöhnlicher Western ist. Schon die Musik von Alexandre Desplat macht sich eher ein wenig lustig über die sonst übliche Ernsthaftigkeit der Gründungsmythen und Männergeschichten des Wilden Westen. Und die harte Schale der Brüder hält auch nicht lange durch. Es ist vor allem Eli, der ältere Bruder, der auf dem Pferd reitend über sein Leben nachsinnt. Man könnte sagen, er hat eine Midlife Crisis. Ein Kopfgeldjäger zu sein ist halt auch nicht gerade erfüllend. Noch dazu hat er da vielleicht eine Frau am Start. Zumindest hat er einen roten Schal, an dem er nachts heimlich schnüffelt — er riecht nach ihrem Parfum — und schon nimmt die Sehnsucht nach einem „normalen“ Leben ihren Lauf. Charlie wiederum weiß, dass aus ihm nichts besseres werden wird. Er hat, wie er — auch überraschend kontemplativ und klug — sagt, das „verrückte Blut“ seines gewalttätigen Vaters. So ist für ihn momentan der wichtigste Karriereschritt den eh schon gewalt(tät)igen Ruf noch weiter auszubauen. 

Da kommt der neue Job gerade Recht. Der Commodore gibt Befehl aus, einem seiner anderen Männer namens Jim Morris (Jake Gyllenhaal) zu folgen, der die Spur zu einem gewissen Hermann Warm (Riz Ahmed) aufgenommen hat. Hier nun springt der Film zu eben diesen zwei Männern, die beide für die Zeit und die ungehobelten Orte, durch die sie reisen, außergewöhnlich eloquent sind. Die Männer finden schnell einen freundschaftlichen Zugang zu einander, denn beide sind eher zarte Seelen auf der Suche nach Anschluss und Frieden. So gesteht Warm Morris eines Tages, dass er Chemiker ist und eine Formal gefunden hat, mit der man das begehrte Gold in  den Flüssen sichtbar machen kann. So will er schürfen, um dann mit dem Gold und dem Reichtum eine demokratische, friedliebende Gemeinde aufzubauen, die Abstand nimmt von all dem Tod und der Gier nach Macht und Geld. Eine Utopie inmitten eines Sumpfes aus Menschen, die nichts anderes dort tun, als dem Goldrausch erliegen. Jim Morris gefällt die Idee Warms so gut, dass er sich ihm anschließt und — anstatt den Sisters Brüdern in die Hände zu spielen — mit Warm flüchtet. 

Und so jagen sich diese vier Männer durch den Wilden Westen. Doch je mehr Meilen sie zurücklegen, desto mehr zweifeln sie alle an der Gesellschaft, in der sie gerade zu überleben versuchen. Eine Art existenzieller Western also, den Audiard hier inszeniert — und das mit seinem bekannt perfekten Timing, um Emotionen im Publikum zu evozieren. So changiert das Werk stets zwischen ehrlichen und tief kontemplativen Momenten und wundervoll warmen Humor, der mal ein wenig neckisch, ab und an auch kohlrabenschwarz wird. 

Und zwischen den Zeilen erzählt Audiard hier vom Gründungsmythos der USA, diesem Land, das gerade an seinen eigenen Ideen von Freiheit und seiner Gier und der Idee vom unbarmherzigen Kapitalismus, verpackt in der Tellerwäscher-zum-Millionär-Mär, erstickt. Der Grundstein dieser gesellschaftszersetzenden Tendenzen wurde nach Audiard schon hunderte Jahre zuvor gelegt. Allein die Idee und Umsetzung der Besiedlung Amerikas und deren Glorifizierung der stets männlichen Protagonisten derselben sind Beweis genug. Mit dieser Art Gesellschaft geht allerdings auch eine Kritik an den patriarchalen Strukturen Hand in Hand, die fest eingewoben sind in diese Gebilde. 

Audiards starke Männer sind verletzt und zerfressen von den ewigen Kämpfen, dem sich Beweisen müssen und hart sein. Sie sind einsame Figuren, die sich nach Frieden sehnen und nach mehr Sinn in ihrem Dasein. Wobei es egal ist, ob  es sich um das Jahr 1851 oder 2018 handelt – die Frage und die Sehnsucht nach einer anderen Art ein Mann zu sein, ist und bleibt noch immer die Gleiche.

Auf ihrer Fahrt halten Charlie und Eli eines Tages in irgendeinem kleinen Kaff an, um im Hurenhaus Spass zu haben. Eli spielt mit einer der Prostituierten eine Liebesszene nach. Die Frau beginnt zu weinen, so viel Güte ist sie nicht gewöhnt und es macht sie so traurig, dass sie flieht. Eli bleibt zurück, voller Sehnsucht nach seiner eigentlichen Angebeteten. Die Liebenswürdigen bleiben einsam in einer Welt, die nach Blut und Gier schmeckt – eine bittere, aber wahre Lektion, die Audiard hier seinem Publikum mitgibt. Allerdings nicht ohne Hoffnung, dass es einmal anders wird. 

The Sisters Brothers (2018)

Charlie und Eli Sisters leben in einer wilden und gefährlichen Welt — und sie haben Blut an den Händen: das von Kriminellen ebenso wie das von Unschuldigen. Sie töten, ohne auch nur einen Moment zu zögern — schließlich ist das ihr Job. Charlie, der jüngere der beiden, scheint dafür geschaffen zu sein, Eli hingegen sehnt sich nach einem anderen Leben. Als sie einen neuen Auftrag erhalten, erweist sich dieser als schwierige Bewährungsprobe.

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