The Sex of Angels

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Über die Grenzen von Liebe und Leidenschaft

Das spanische Kino ist bekannt für seine – gerade sexuellen – Tabubrüche. Nicht zuletzt Pedro Almodóvar, der Exportschlager der spanischen Filmlandschaft, hat in den 1980er Jahren vermehrt sexuelle Begierden und leidenschaftliche Labyrinthe, Homo-, Bi- und Transsexuelle auf die Leinwand gebracht und seine Produktionsfirma konsequenterweise El Deseo (dt. das Begehren) genannt. Und auch Julio Medem, der wohl in Deutschland bekannteste Regisseur Spaniens nach Almodóvar, hat mit Lucia und der Sex / Lucía y el sexo Sexualität visuell ganz neu in Szene gesetzt, ohne dabei einen Porno-Film zu machen. The Sex of Angels von Xavier Villaverde ist nun wieder einer dieser Filme, die aufgrund ihrer umfassenden und offenen Auseinandersetzung mit dem Thema (Bi-)Sexualität faszinieren. Im Zentrum des Films steht die (auch sexuelle) Dreiecksbeziehung zwischen Fotografin Carla, deren langjährigem Freund Bruno und Karatelehrer Rai.
Carla (Astrid Bergès-Frisbey) und Bruno (Llorenç González) sind zusammen, seitdem sie 15 sind. Sie kennen sich gut, sie lieben sich – innig und leidenschaftlich – und sie können nicht ohne einander sein. Dann taucht Rai (Álvaro Cervantes) auf: Bruno lernt ihn am Strand von Barcelona kennen und lässt sich langsam, aber gewiss von dem charismatischen jungen Mann verführen. Nach dem ersten Kuss ist Bruno verwirrt; er will die Affäre mit einem Mann nicht geschehen lassen, und dann ist es doch schon passiert. So stark er immer wieder an der intimen Freundschaft zu Rai zweifelt und so stark seine Liebe zu Carla ist, so kann er sich doch nicht seiner sexuellen Begierden verwehren und trifft sich immer wieder heimlich mit Rai. Klar, dass dieses Abenteuer auffliegen muss. Carla erwischt die beiden in flagranti und läuft – verstört – erst einmal davon. Dann jedoch stellt sie Bruno ziemlich schnell zur Rede und vor die Wahl: sie oder Rai?

Carla, die sich selbst als liberal versteht und immer für eine freiheitliche Beziehung gewesen ist, geht schließlich aber auf Brunos Vorschlag ein, die ‚offene Beziehung‘ tatsächlich zu versuchen. Bruno bleibt und wohnt bei Carla und trifft sich regelmäßig mit Rai. Carla freundet sich schließlich sogar mit Rai an, doch als sie die beiden Jungs wieder bei Zärtlichkeiten beobachtet, bricht sie erneut zusammen. Solange sie nicht nachfragt, nicht weiß, was Bruno und Rai machen, wenn sie alleine sind, scheint der Deal für sie zu funktionieren. Einem Kuss zuzusehen, sprengt jedoch ihr Verständnis und ihre Toleranz. Sie hält den Status Quo nicht mehr aus und startet eine Gegeninitiative: Carla geht mit Rai ins Bett, zuerst nur, um Bruno zu zeigen, wie es sich anfühlt, auf der Seite des Zusehens zu stehen, dann aber, weil auch sie Rais Verführungskünsten erliegt.

The Sex of Angels hat seine Längen und seine Inkohärenzen – vor allem am Ende, wenn die Geschichte allzu konstruiert erscheint. Durch so manche Wendung und Entwicklung wirkt der Plot schlussendlich nicht authentisch – was schade ist, denn ab dem zweiten Akt zieht einen die Geschichte in ihren Bann. Die Darsteller überzeugen durch ihr Spiel und vor allem durch ihre Unsicherheit darüber, was sie erleben und worüber sie entscheiden müssen. Die Verwirrung in Carlas Blick und der sichtbare Strudel ihrer Gefühle werden ihr jedoch – im Laufe des Films – zum Verhängnis: Weil ihr am Ende dann doch alles so klar erscheint, Carla überlegt und rational auftritt, was ihr kurz zuvor nicht gelingen mochte. Hier hätte dem Film ein wenig mehr Sorgfalt in der dramaturgischen Arbeit gut getan. Bedauerlich ist auch, dass Carlas Mutter-Konflikt zwar deutlich angesprochen, dann aber nicht zu einem befriedigenden Ende gebracht wird. Dieser Nebenplot bleibt in der Luft hängen, man mag zwar seine eigenen Schlussfolgerungen ziehen; letztendlich wirkt es jedoch, als hätten die Macher irgendwo kürzen müssen.

Nichtsdestotrotz ist The Sex of Angels ein provokanter und gleichzeitig berührender Film, ein kraftvolles Plädoyer für das Offen-Sein und Offen-Bleiben, dafür, neue Schritte zu wagen und neue Wege auszuprobieren. „Wenn du kein Risiko eingehst, bist du jetzt schon tot“, ruft Carla Rai am Ende zu. Denn eigentlich ist es Rai, der immer dieselben Wege geht und am Ende vor allem davon läuft. Auch Rai muss erwachsen werden und dabei das zeigen, was Carla und Bruno schon immer konnten: sich auf jemanden langfristig einlassen, vertrauen, bleiben.

The Sex of Angels

Das spanische Kino ist bekannt für seine – gerade sexuellen – Tabubrüche. Nicht zuletzt Pedro Almodóvar, der Exportschlager der spanischen Filmlandschaft, hat in den 1980er Jahren vermehrt sexuelle Begierden und leidenschaftliche Labyrinthe, Homo-, Bi- und Transsexuelle auf die Leinwand gebracht und seine Produktionsfirma konsequenterweise „El Deseo“ (dt. das Begehren) genannt.
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