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Von den Seiten des preisgekrönten Comics auf die Bildschirme: Mit „Sandman“ kommt endlich eine Fantasy-Serie auf den Markt, die sich ihrer Vorlage wirklich verpflichtet fühlt und keine großen Änderungen vornimmt.

Sandman (TV-Serie, 2022)

Eine Filmkritik von Markus Fiedler

Der Herr der Träume erobert die Herzen

Neil Gaiman ist bei Comicfans ähnlich bekannt und beliebt wie Alan Moore, nach dessen Vorlagen Filme wie „V wie Vendetta“, „From Hell“ oder „Watchmen“ entstanden sind. Denn der Brite steht seit Beginn seiner Karriere für Fantasy und bisweilen Horror der etwas anderen Art. Gaimans Kosmos ist nicht bevölkert von Elfen, Zwergen und Orks, stattdessen begegnen die Leser seiner Comics und Romane Gestalten wie Lucifer, Odin – oder wie im Fall der neuen Netflix-Serie „Sandman“ Dream, dem Herren der Träume – und seinen Untertanen.

Als die Comicreihe in den späten 80ern startete, avancierte Gaiman schnell zum Liebling der etwas anspruchsvolleren Comicleser und gewann mit seiner Serie mehr Eisner Awards (eine Art Comic-Oscar) als die meisten je erschienenen Comics. Und bereits seit mehr als 20 Jahren poppten immer wieder Verfilmungsgerüchte auf und verschwanden wie die Träume, die sie erzählt hätten. Nun hat es Neil Gaiman, der mit Argusaugen über sein Baby wacht und in die Serienadaption bei Netflix stark einbezogen war, endlich geschafft, eine adäquate Umsetzung seines neben American Gods wohl bekanntestem Werk zu stemmen.

Der Sandmann (Tom Sturridge), oder auch Lord Morpheus oder Dream, wie er häufig genannt wird, ist einer der sieben Ewigen. Seine Geschwister sind Death, Desire, Despair, Delirium, Destiny und Destruction, von denen der Zuschauer auch einige in der Serie kennenlernt. Er regiert das Reich der Träume und wacht somit über den Schlaf der Menschheit – bis im frühen 20. Jahrhundert ein Magier (Charles Dance) bei dem Versuch, den Tod einzusperren, stattdessen Dream erwischt und den Herrn der Träume fast 100 Jahre lang gefangen hält. Als sich Dream endlich befreien kann und sich auf den Weg macht, um seine gestohlenen Gegenstände der Macht (einen Traumrubin, einen Beutel mit Sand und sein Helm) wiederzufinden, muss er feststellen, welche Auswirkungen seine lange Abwesenheit auf die Menschen und auch sein eigenes Reich hatten …

Der berühmte Schriftsteller Norman Mailer wird mit der Aussage zitiert, Sandman sei „ein Comic für Intellektuelle“ und wer das 75-bändige Epos kennt, der weiß, was Mailer meint. Gaiman zitiert gerne Kultur und Philosophien, lässt in seinen Werken Götter der Menschheitsgeschichte ebenso selbstverständlich auftreten wie große Köpfe der Historie oder biblische Gestalten – wie beispielsweise William Shakespeare oder Kain und Abel. Das hat Showrunner Allan Heinberg für Netflix zwar ein wenig eingedampft, aber so ganz lassen sich die zahlreichen mythologischen und kulturellen Referenzen in Gaimans Werk eben nicht entfernen. Und so strahlt Sandman neben einem frischen Setting und damit verbundenen Bildern auch immer einen Anspruch ans Publikum aus, den man bei einer Netflix-Fantasy-Serie nicht unbedingt erwarten würde.

Vielleicht am besten wird das in der sechsten Folge sichtbar, die den Titel „Das Rauschen ihrer Flügel“ trägt. Darin verbringt Dream Zeit mit seiner Schwester Death, die während ihres Treffens auch ihrer Arbeit nachgeht und Menschen abholt. Dabei tauschen sich die Geschwister aus, wofür es sie eigentlich gibt und welche Aufgaben sie zu erledigen haben. Im Lauf der Episode erinnert sich Dream an eine Begegnung in einem englischen Wirtshaus im 13. Jahrhundert, in dem er mit Death eingekehrt war und einem Soldaten lauschte, der den Tod ablehnte und sich sicher war, er würde sein ewiges Leben genießen, wenn er es denn bekäme. Death gewährt Dream den Wunsch, es den Mann selbst erleben zu lassen und so treffen sich die beiden alle hundert Jahre wieder in diesem Wirtshaus. Damit Dream ihn fragen kann, ob er nunmehr genug vom Leben habe und endlich bereit sei zu sterben. Besser als in dieser Folge offenbart die Serie ihr poetisches Herz nicht wieder. 

Dennoch bietet Sandman auch eine Menge dunkle Themen, die entsprechend verpackt sind. So glänzt Gwendoline Christie aus Game of Thrones als gefallener Engel Luzifer in einer eigenwilligen Hölle. Boyd Holbrook spielt den Korinther, einen Alptraum, der sich während Dreams Gefangenschaft aus dem Traumreich davonstahl und auf der Erde eine Karriere als Serienkiller begann. Und David Thewlis bietet als Träger des Traumrubins einen blutigen Beweis dafür, dass manche Artefakte nicht in Menschenhand gehören. Das alles dürfte Lesern der Comics sehr bekannt vorkommen, da sich die Serie sehr genau an die Vorlage hält und die beiden ersten Geschichten der Reihe – Präludien und Notturni und Das Puppenhaus – weitgehend unverändert erzählt. Offenkundig verteidigte Neil Gaiman sein Werk in seinen Positionen als Entwickler und Produzent der Serie mit Zähnen und Klauen. Und sorgt so für ein ungleich besseres Ergebnis als bei der Umsetzung seines Romans American Gods als Serie, bei der er zwar auch als Produzent fungierte, aber kreativ weniger mitzureden hatte. Und die nach drei Staffeln bei Amazon Prime vor dem Abschluss der Story das Aus ereilte.

Gaiman und das Autorenteam spinnen für die zehn Folgen der ersten Staffel ein dichtes Netz aus den hellen und den dunklen Aspekten der Träume. Dazu verfügt die Serie mit Tom Sturridge über einen Hauptdarsteller, der den Ewigen weder heldenhaft noch böse anlegt, sondern die Andersartigkeit der Figur perfekt vermittelt. Dazu kommen, vermutlich zum Unmut aller selbst ernannten Woke-Wächter, Jenna Coleman, die als Joanna eine weibliche Version des bekannten Magiers John Constantine gibt und ein paar der besten Momente der Staffel beisteuert. Und die großartige Vivienne Acheampong, die als ebenfalls geschlechtsveränderte Fassung des Bibliothekars des Traumreichs mit ihrer ruhigen Präsenz selbst Tom Sturridge ein paar Szenen stiehlt.

Obwohl Sandman auch optisch ein Fest darstellt, sind die wahren Stärken der Serie doch ihre Ambivalenz in Sachen Gut und Böse, originelle Dark-Fantasy-Ideen und ein sehr starker Cast, der den Zuschauer schnell in eine vertraute und doch ganz neue Welt entführt, ohne dabei je in blanken Eskapismus zu münden. Ob das tatsächlich beim Netflix-Publikum in ausreichenden Mengen gut genug ankommt, um die nötigen vier weiteren Staffeln bis zum Ende der Story zu ermöglichen, bleibt aber abzuwarten. Als seichte Feierabendberieselung ist Sandman jedenfalls nicht besonders gut geeignet.

Sandman (TV-Serie, 2022)

Wenn wir unsere Augen schließen und schlafen, wartet eine andere Welt auf uns – das Traumreich. Hier verleiht der Herr der Träume Dream (Tom Sturridge) als „Sandman“ unseren tiefsten Ängsten und Fantasien Form. Doch als Dream unerwartet ein Jahrhundert lang gefangen gehalten wird, setzt seine Abwesenheit eine Reihe von Ereignissen in Gang, die sowohl die Traum- als auch die Wachwelt für immer verändern werden. Um wieder Ordnung herzustellen, muss Dream nun durch verschiedene Welten und Zeiten reisen und die Fehler berichtigen, die er in seinem langen Dasein begangen hat. Dabei wird er alte Freunde und Feinde wiedersehen und neuen Individuen begegnen, die sowohl kosmischer als auch menschlicher Natur sind.

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