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Seit dem Tod des exilierten Königs Mihai von Rumänien reist seine Tochter Margareta mit antiquiertem Zeremoniell regelmäßig in die rumänische Provinz und nennt sich „Ihre Majestät, Hüterin der Krone von Rumänien“. Was steckt hinter diesem Kuriosum?

The Royal Train (2020)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Wenn die Kronprinzessin durch Rumänien fährt

Hupend fährt ein schmucker blau-weißer Zug über das Land. Mitten im Nirgendwo schlachtet eine Bauernfamilie ein Schwein. Sie winkt dem prächtig vorbeiziehenden Boten aus einer anderen Welt zu. Am Horizont formen sich Hügelketten, einmal taucht ein graues Bauwerk auf, das wie ein besonders krudes Beispiel von Fabrikarchitektur anmutet. Auf einem Provinzbahnhof wartet eine Menschenmenge, Fähnchen in den Landesfarben werden geschwenkt. Der Zug hält, Prinzessin Margareta, Hüterin der Krone, und ihr Mann, Prinz Radu, steigen aus und bleiben auf dem roten Teppich stehen. Die Hymne erklingt, es ist der 1. Dezember, Nationalfeiertag im Rumänien des 21. Jahrhunderts.

Alljährlich am 1. Dezember fährt seit 2013 ein königlicher Zug durch das einst kommunistische Land. Kronprinzessin Margareta von Rumänien, die älteste Tochter des 1947 abgedankten und ins schweizerische Exil gezwungenen Königs Mihai, hat eine Tradition ihrer Familie aus den 1930er Jahren wieder aufgegriffen. Sie besucht auf jeweils wechselnden Routen mehrere Orte im Land und trifft auf den Bahnhöfen das Volk. 

Die minutiös von Protokollanten der königlichen Familie vorbereiteten Besuche werden im Vorfeld beworben und die Bahnhöfe sind bevölkert von Schaulustigen und Fans, die applaudieren. Ein junges Paar in Tracht überreicht Salz und Brot, eine Blaskapelle spielt, Vertreter historischer Vereine stehen in halben Rüstungen Spalier. Margareta, zum Zeitpunkt des Drehs eine Frau in den Sechzigern, trägt dezente Kleidung aus gegenwärtiger Zeit. Das trifft nicht auf das Zugpersonal in der Amtslivree zu, die aus einem Kostümfilm entsprungen sein könnte. Besonders merkwürdig wirkt, dass Margareta stets ein älterer Herr in einer militärischen Uniform zu folgen hat. Selbst als sie mit ihrem Mann im Salonwagen aus dem Fenster schaut, sitzt er dort still wartend in einer Ecke.

Der österreichische Dokumentarfilmer Johannes Holzhausen (Das große Museum) hat die Kronprinzessin – ihr Vater verlieh ihr diesen Titel 2007 – auf Zugfahrten begleitet. Er mischt sich auf den Bahnhöfen unter das mit hektischen Vorbereitungen beschäftigte Volk, sieht dem hohen Gast beim Verteilen und Signieren des Buches Margareta von Rumänien – Eine Prinzessin im Dienste der wiedergefundenen Heimat zu. Er bekommt Zugang zum Palast-Domizil des Prinzen-Ehepaars in Bukarest, beobachtet die Abläufe der dortigen Öffentlichkeitsarbeit, filmt später sogar im königlichen Zug, als Margareta 2017 den Sarg ihres verstorbenen Vaters zur letzten Ruhestätte in der Heimat begleitet.

Holzhausen ist selbst ein entfernter Verwandter der königlichen Familie. Er beschränkt sich formal auf die Rolle des Beobachters, der nur zusieht und anderen im Gespräch lauscht, um die so gewonnenen Eindrücke zu einer kuriosen Posse zu montieren. Einmal sitzen Margareta und Radu – ein ehemaliger Schauspieler – auf einer Bühne in einem Saal mit vielen Kindern, die Lang lebe der König rufen müssen. Eine Opernsängerin gibt ein Lied zum Besten. 

Man wird bei alldem den Eindruck nicht los, einem Karnevalstheater beizuwohnen, aber so unernst ist die Sache nicht. Margareta spricht sogar einmal im Bukarester Parlament, und sagt dort, mit Bezug auf ihren königlichen Urgroßvater und die Vergrößerung des Staatsterritoriums nach dem Ersten Weltkrieg den leicht irritierenden Satz: „Wenn es uns gelingt, auf die moralische Höhe unserer Vorfahren aufzusteigen, werden wir auch die Gegenwart meistern und wissen, wie wir unsere Zukunft gestalten.“ 

Eine Bahnhofsangestellte in einem der bereisten Provinzorte meint hingegen unbeeindruckt, den roten Teppich für die königliche Familie mitten auf dem Bahnsteig auszurollen, sei übertrieben. Schließlich sei der Bahnhof eine Institution für die Öffentlichkeit. Tatsächlich wirken die Auftritte der Kronprinzessin, als arbeite sie auf die Rückkehr der Monarchie hin und übe mit dem Volk schon mal die entsprechenden Zeremonien ein. 

Aber die Rolle, die die königliche Familie mit ihrer Stiftung in Rumänien spielen wird, dürfte in Wahrheit ein paar Nummern kleiner konzipiert sein. Einige der früheren Besitztümer hat der Staat restituiert, es fehlt noch immer ein Gesetz, das den Status der königlichen Familie im Land genauer regelt. Man erfährt im Film nicht viel darüber, was Prinzessin Margareta vorschwebt, außer, dass sie „inspirieren“ möchte. Gegenwärtig scheint also, einschließlich der Zugfahrten, ihre Rolle eine repräsentative, der Traditions- und Kulturpflege dienende zu sein. 

Die Menschen, die dem Zug zuwinken, scheinen auch nach der königlichen Tradition ihrer Geschichte zu hungern. Schon als König Mihai 1992 das Land besuchte, jubelten ihm in der Hauptstadt eine Million Menschen zu, was die damalige Regierung so hochgradig verschreckte, dass sie die Wiedereinreise sogleich verbot.  Holzhausen begleitet einen Mitarbeiter Margaretas, der überall im Land nach Objekten sucht, die mit dem Königshaus zusammenhängen. Die Menschen, die ihm ein Buch mit alten königlichen Fotografien, einen Fahrplan des einstigen Königszuges, eine Schallplatte anbieten, erzählen davon, dass solcher Besitz im Kommunismus als konterrevolutionär verboten war. Manche Menschen versteckten die Objekte auf dem Speicher, aber manche wurde ihretwegen zur Zwangsarbeit deportiert. 

In einer Ortschaft im heutigen Moldawien erscheint Prinz Radu zur Einweihung einer neuen Büste des früheren rumänischen Königs Ferdinand, Margaretas Urgroßvater. Die alte hatte 1944 abmontiert werden müssen, der Mann, der sie versteckte, wurde deportiert. Prinz Radu kommt mit eiliger Blaulichteskorte, vor Ort herrscht Aufregung, weil der Priester das Wasser noch nicht geweiht hat. 

Als dokumentarische Balkankomödie ist das alles sehr unterhaltsam, stimmt aber zugleich nachdenklich. Man kann die Repräsentationsauftritte der Prinzessin als unbeholfen, als übertrieben auf adeligen Pomp ausgerichtet, als Experiment lesen. Sie stellen einen Brückenschlag über jahrzehntelang der Gesellschaft auferlegtes Schweigen und Vergessenmüssen der eigenen Geschichte dar. Im wohl gerade erst begonnenen öffentlichen Diskurs über die wechselhafte Historie des Landes im 20. Jahrhundert und ihre kollektive Aufarbeitung kann die Tochter des Königs als symbolische Figur vielleicht hilfreich sein. Auch in anderen Ländern genießt königlicher Adel, selbst wenn er, wie beispielsweise in Bayern, keinen Anspruch auf den Thron mehr erhebt, oft hohes Ansehen und nimmt repräsentative Aufgaben wahr.

 

Sobald der königliche Zug in der rumänischen Provinz zum Halten kommt, hapert es allerdings mit dem Finden der Ideallinie zwischen erbaulicher Traditionspflege und modernem demokratischem Bewusstsein. Bräuchte es solche Herrschaftssignale wie den Mann in der Militäruniform? Der Film wäre ein anderer geworden, hätte er Margareta, Politikern, Wissenschaftlern Fragen gestellt. So schmissig und ironisch wie er inszeniert ist, könnte er das Publikum dazu verleiten, das Geschehen nur unter dem Aspekt einer lächerlichen Sehnsucht nach dem Feudalzeitalter zu interpretieren. Das aber wäre zu einfach. 

The Royal Train (2020)

In Rumänien fährt einmal im Jahr ein ganz besonderer Zug durchs Land: Von vielen tausend Menschen entlang der Strecke begeistert bejubelt befinden sich in dem Zug einige der Nachfahren des legendären Ex-Königs Mihai von Rumänien. Der Dokumentarfilm „The Royal Train“ zeigt die Hintergründe dieser nostalgisch anmutenden Fahrt und nimmt die Zugreise als Ausgangspunkt für eine filmische Expedition in die Geschichte und Gegenwart des osteuropäischen Staates: über royalistische Inszenierungen in einer postkommunistischen Republik.

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