The Riot Club

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Wir hier oben und die da unten

„Carpe diem“, flüstert der von Robin Williams gespielte Lehrer John Keating seinen Schülern in Der Club der toten Dichter zu und fordert sie damit auf, zu selbstständig denkenden Menschen zu werden. Menschen, die jeden Tag ihres kurzen Lebens sinnvoll zu nutzen wissen und sich nicht von starren Regeln einengen lassen. Im Grunde könnte dieser Appell auch als Überschrift über Lone Scherfigs neuer Regiearbeit The Riot Club stehen, die von einer elitären Studentenverbindung an der ehrwürdigen University of Oxford erzählt. Bloß wird die bei Keating positiv konnotierte Pflücke-den-Tag-Metapher hier konsequent pervertiert, läuft die Adaption von Laura Wades Bühnenstück Posh doch auf ein grässlich-dekadentes Gelage verwöhnter junger Männer hinaus.
Während sich der Studienanfänger Miles (Max Irons, Sohn von Jeremy Irons) nach seiner Ankunft in Oxford im Handumdrehen einlebt und der sympathischen Lauren (Holliday Grainger) näherkommt, hat der in sich gekehrte Alistair (Sam Claflin) Schwierigkeiten, den richtigen Anschluss zu finden. Wohl auch, weil er in große Fußstapfen treten muss. Immerhin war sein älterer Bruder eine Legende an der Uni und stand sogar dem geheimnisumwitterten Riot Club vor, einer feierfreudigen Gruppierung von Studenten aus reichem Hause, deren Geschichte mehrere Jahrhunderte zurückreicht. Als die Mitglieder der Burschenschaft rund um den aktuellen Präsidenten James (Freddie Fox) erfahren, welcher Familie Alistair entstammt, bieten sie ihm umgehend an, dem erlauchten Zirkel beizutreten. Gleiches gilt für Miles, auf den der etwas ältere Hugo (Sam Reid) ein Auge geworfen hat und für dessen Aufnahme er sich bei seinen Freunden stark macht. Da die beiden Frischlinge den harten Initiationsmarathon bravourös meistern, werden sie beim berüchtigten Club-Dinner, das einmal im Jahr stattfindet, offiziell in den Kreis der exklusiven Gesellschaft eingeführt. Ein Ereignis, das einem organisierten Exzess gleicht und Miles mit stetigem Unbehagen erfüllt.

Während das Theaterstück fast ausschließlich vom ungezügelten Abendessen handelt, erweitern Lone Scherfig und Laura Wade, die ihr eigenes Werk adaptierte, in der Verfilmung den Blick. Zeigen uns die Ankunft der beiden Neulinge in Oxford. Führen uns schlaglichtartig vor Augen, wie das System der Elite-Hochschule funktioniert. Und konzentrieren sich, anders als in der Vorlage, vor allem auf Miles, der etwas weniger privilegiert ist als so mancher Riot-Club-Mitstreiter und sich damit zwischen den Welten bewegt. Einerseits verliebt er sich in Lauren, eine aus einfachen Verhältnissen stammende junge Frau, wird andererseits aber magisch angezogen vom Ethos der legendären Studentenvereinigung, die sicher nicht ganz zufällig an den berühmten Bullingdon Club erinnert, dem beispielsweise der jetzige Premierminister David Cameron angehörte.

Klassendenken und Standesdünkel, lange Zeit kennzeichnend für die britische Gesellschaft, sind von Anfang an fester Bestandteil des Dramas, das zunächst einen beschwingt-rebellischen Ton anschlägt, allerdings immer mehr ins Abgründige kippt, nachdem die Verbindungsmitglieder das gefürchtete Bankett in einem kleinen Landgasthof vor den Toren der Stadt eröffnet haben. Den gesamten Mittelteil über bleiben wir an diesem Ort. Zumeist in einem kleinen Hinterzimmer, das der bemühte, aber rasch überforderte Wirt liebevoll hergerichtet hat, ohne zu ahnen, welche Exzesse seine gut situierten Gäste planen. Schnell stellt sich die Kammerspielatmosphäre des Bühnenstücks ein, und man wird das Gefühl nicht los, dass irgendetwas schrecklich aus dem Ruder laufen wird. Auf wilde Trinkspiele soll eine weitere Ausschweifung folgen, doch ganz unerwartet regt sich Widerstand gegen die Herablassung der feinen Sprösslinge. In ihren Augen ein unerhörter Affront. Schließlich glauben sie, alle Maßlosigkeiten mit Geld entschädigen zu können.

Die dänische Filmemacherin Scherfig, die sich seit An Education als Gestalterin britischer Sittenbilder hervorgetan hat, treibt die fatale Gruppendynamik konsequent auf die Spitze und konterkariert das Bild der kultivierten High-Society-Söhne, die sich in maßgeschneiderte Anzüge geworfen haben, mit ihrem zunehmend grotesken Verhalten. Sexuelle Ausfälle und Hasstiraden auf das einfache Volk lassen nicht lange auf sich warten, was den Zuschauer unaufhaltsam von den Figuren distanziert. Selbst Miles wird von der aufgeheizten Stimmung mitgerissen und entpuppt sich als schwächlicher Opportunist, der dem mehr und mehr auftrumpfenden Alistair nicht entschieden entgegentreten kann.

Faszinierend ist dieser bedingungslose Sympathieentzug allemal. Gleichzeitig wirft er aber auch die Frage auf, wer sich eigentlich für einen Film interessieren soll, der seine Protagonisten derart rücksichtslos demontiert? Sie vorführt. Und als Unmenschen entlarvt. Unterhaltung im klassischen Sinne bietet The Riot Club jedenfalls nicht. Vielmehr gewährt er einen Einblick in eine Welt, die den meisten Betrachtern verschlossen sein dürfte. Eine Welt, die fatalerweise die zukünftigen Lenker der Gesellschaft ausspuckt. Diejenigen, die später an den Schaltstellen der Macht sitzen und ihr ungehemmtes Spiel möglicherweise weitertreiben. Politisch brisant ist der Stoff zweifellos. Das zeigen schon die verärgerten Reaktionen einiger konservativer Parlamentarier auf die Entscheidung des British Film Institute, die Theater-Adaption finanziell zu fördern.

Wades Drehbuch und Scherfigs Inszenierung setzen, wie soll es bei einer derartigen Versuchsanordnung anders sein, in vielen Fällen auf krasse Gegensätze, wenig subtile Mittel, schaffen es aber auch, spannende Nuancen in die dramatische Eskalation einfließen zu lassen. Ins Auge springt etwa der bemitleidenswerte Pub-Besitzer, der sich nach einer Aufwertung seines Lokals sehnt, im Verlauf des verhängnisvollen Abends jedoch plötzlich Gefahr läuft, seine bodenständigen Stammkunden zu verprellen. Interessant ist auch die Doppelmoral, die der aus altem Landadel stammende George (Jack Farthing) zum Besten gibt. Während seine Familie nach eigener Aussage in perfektem Einklang mit den gewöhnlichen Bewohnern ihres Dorfes zusammenlebt, setzt er sich freiwillig an einen Tisch, an dem einige der privilegierten Studenten die Überlegenheit der Oberschicht geradezu fanatisch hervorheben.

Brüche wie diese werten die bitterböse Abrechnung mit der britischen High Society auf und machen The Riot Club zu einem eigentümlich-fesselnden Filmerlebnis, dem man dennoch etwas gespalten gegenüberstehen kann.

The Riot Club

„Carpe diem“, flüstert der von Robin Williams gespielte Lehrer John Keating seinen Schülern in „Der Club der toten Dichter“ zu und fordert sie damit auf, zu selbstständig denkenden Menschen zu werden. Menschen, die jeden Tag ihres kurzen Lebens sinnvoll zu nutzen wissen und sich nicht von starren Regeln einengen lassen. Im Grunde könnte dieser Appell auch als Überschrift über Lone Scherfigs neuer Regiearbeit „The Riot Club“ stehen, die von einer elitären Studentenverbindung an der ehrwürdigen University of Oxford erzählt.
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