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Mit Hilfe biografischer Puzzlestücke reflektiert die Heldin von „The Persian Version” ihre Identität im Spagat zwischen ihrer Heimat in den USA und ihren iranischen Wurzeln und lernt ihre entfremdete Mutter neu kennen. Die Dramödie von Maryam Keshavarz eröffnete das 40. Filmfest München.

The Persian Version (2023)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

Tochter, Mutter, Culture Clash

Zu Beginn des Films schart sich eine Familie mit iranischen Wurzeln in New York um den Vater (Bijan Daneshmand), der eine Herztransplantation bekommt. Eigentlich ist der Vater aber nur eine Nebenfigur in dieser Geschichte, auch seine vielen Söhne bleiben Statisten. Die Hauptfigur ist die Tochter Leila (Layla Mohammadi), deren Erzählstimme das Geschehen begleitet, bis irgendwann Mutter Shirin (Niousha Noor) übernimmt. Der Culture Clash, der Leilas ganzes Leben durchzieht, findet seinen schärfsten Ausdruck in der konfliktbehafteten Beziehung zu ihrer Mutter. Shirin schickt Leila sofort wieder weg, als sie an Vaters Krankenbett erscheint, sie soll sich daheim um die Großmutter (Bella Warda) kümmern. Dass sie lesbisch ist, findet die Mutter unmöglich, und als sie Leilas Film auf einem Festival sieht, meint sie nur, die Tochter habe sie damit ärgern wollen. Aber dann findet Leila, mit Hilfe der Großmutter, einen Zugang, um die emotional reservierte Mutter besser zu verstehen. Der führt zurück in ein iranisches Dorf der 1960er Jahre.

Es sind die Geschichten, die erzählten und die noch zu entdeckenden, die Brücken zwischen Menschen, Generationen und Kulturen schlagen. Leila, gewissermaßen das filmische Alter Ego der Regisseurin und Drehbuchautorin Maryam Keshavarz (Sharayet – Eine Liebe in Teheran), bezeichnet ihre Arbeit als Autorin und Filmemacherin einmal als Versuch, sich selbst zu therapieren. Leila erzählt also, springt kreuz und quer durch die Zeiten zu den Schnipseln ihrer Erinnerung, die assoziativ aufploppen. Wie war das, als sie im Mädchenalter westliche Musik in den Iran schmuggelte? Wie reagierte ihre Mutter, als sie ihre Partnerin an Thanksgiving mitbrachte? Irgendwann erkennt Leila, dass sie ihre Mutter besser verstehen will. Die nichtlineare, mit unzähligen kurzen und längeren Rückblenden gespickte Handlung sucht ihre Mitte und findet sie schließlich in einer Hommage an die Mutterfigur und die Liebe zwischen Mutter und Tochter.

So wie Leila mit ihren Geschichten und Nachforschungen die Funkstille zwischen Mutter und Tochter attackiert, füllt die in New York geborene Filmemacherin mit dieser auf dem Sundance Filmfestival mit dem Publikumspreis ausgezeichneten Dramödie eine Leerstelle. Solange sich die USA und der Iran gegenseitig als Feinde betrachten, wird es Menschen mit iranischen Wurzeln in Amerika oft schwer gemacht, sich zugehörig zu fühlen. Die muntere Hauptfigur Leila zeigt dem Publikum, dass es möglich und bereichernd ist, sich kulturell sowohl als Amerikanerin, wie auch als Iranerin zu empfinden. Was hat es beispielsweise mit dem Imam Zamam auf sich, dem legendären überirdischen Retter, den die Mutter in der Not anzurufen pflegt? Leila erzählt von ihm augenzwinkernd, und die Regisseurin verleiht ihm mit derselben Ironie die Gestalt eines Motorradfahrers, womit sie der Legende weder Recht gibt, noch sie ihrer Macht beraubt. Manchmal tritt die Erzählerin gar aus dem Geschehen heraus, das sich kurz einfrieren und damit als subjektive Geschichte entlarven, vervollständigen oder korrigieren lässt. 

Überhaupt fühlt man sich durch die stilistische Vielfalt inklusive Zeitlupen, durch die von westlichem Pop – unter anderem Cindy Lauper – bis zu iranischen Liedern reichende Musik und die flatterhaft präsentierten Inhalte rasch in einen energetischen Strudel gezogen. Manchmal weiß man kaum mehr, worum es gerade geht, wozu wohl Nebenfiguren eingeführt wurden, die sich kaum entfalten oder wieso sich der Film so lange in Shirins Karriere als Immobilienmaklerin vertieft. Die Charaktere sind bei all dieser Dynamik schwer zu fassen, bleiben skizzenhaft. Das ergibt aber einen quirlig-verspielten Erzählstil: Nicht jeder Moment muss sich so ereignet haben, die Erinnerungen könnten auch imaginiert sein. 

Zu den Hauptfiguren baut sich trotz des Stils eine Nähe und ein emotionales Verständnis auf. So wie Leila beginnt, die Mutter besser zu verstehen, dämmert einem als Zuschauer*in, dass es um einen Prozess der Würdigung geht. Geschichten können ein Ausdruck von Zuneigung sein, die sich im direkten Kontakt von Mensch zu Mensch nicht äußern konnte. Am schönsten und ergreifendsten wird der Film, wenn er im späteren Verlauf in das iranische Dorf der 1960er Jahre geht. Shirin (Kamand Shafieisabet) ist erst 13, als sie heiratet. Aufgrund dramatischer Ereignisse reift sie rasch von der unsicheren und braven Ehefrau zur willensstarken Persönlichkeit. Allein schon diese Episode hätte einen ganzen Film füllen können und ist in diesem vollgepackten Werk doch nur ein etwas größeres Fundstück unter vielen anderen.

Etwas weniger wäre hier wohl mehr gewesen. Keshavarz präsentiert eine beinahe atemlose Leinwandshow, so als hätte sich ihr Bedürfnis, von diesen Themen zu erzählen, schon lange angestaut.

The Persian Version (2023)

Leila (Layla Mohammadi) ist eine iranisch-amerikanische junge Frau, die versucht, ihre beiden so gegensätzlichen und verfeindeten Kulturen in Einklang zu bringen — was nicht immer ganz einfach ist. Dabei stellt sie auch die Etiketten in Frage, die Familie und die Gesellschaft ihr kurzerhand verpassen. Als die ganze Familie wegen einer Herztransplantation ihres Vaters in New York City zusammenkommt, bemüht sich Leila, ihr Beziehungsleben unterm Radar zu halten und ihr „richtiges“ Leben von ihrem Familienleben zu trennen. Als ihr Geheimnis jedoch kurzerhand gelüftet wird, treten auch die deutlichen Parallelen zwischen Leila und ihrer Mutter Shireen (Niousha Noor) zu Tage…

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Meinungen

Horst Jung · 16.03.2024

Ein nachdenklicher, aber gleichzeitig ein positiver Film. Aus einem Erzkonsetativem Land in ein verrücktes aber freies Land. Hervorragender und unterhaltsamer Film. Sehr empfehlenswert