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Das obsessive Streben eines Unternehmers nach Wohlstand und Ansehen droht, seine Familie zu zerstören. In seinem zweiten Spielfilm entwirft Sean Durkin ein unheimliches Charakterporträt und beweist, dass auch eine langsame Eskalation spannend sein kann.

The Nest - Alles zu haben ist nie genug (2020)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Ständig hoch hinaus

Bereits im Jahr 2011 trat Sean Durkin mit „Martha Marcy May Marlene“ dem Club der Spielfilmregisseure bei. Sein Debütwerk entpuppte sich als facettenreiche Mischung aus Charakterstudie und Psychothriller, die vom Taumel einer jungen Frau mit Sektenvergangenheit erzählt. Wer die US-Schauspielerin Elizabeth Olsen bis dahin nicht auf dem Radar hatte, dürfte erstaunt gewesen sein, mit welchem Feingefühl sie die komplexe Hauptrolle auszufüllen wusste. Obwohl Durkin für seinen Erstling viel Lob und Anerkennung erntete, ließen anschließend eigene Projekte auf sich warten. Nach der Miniserie Southcliffe, die 2013 auf dem britischen Fernsehsender Channel 4 ausgestrahlt wurde, meldete sich der gebürtige Kanadier erst beim Sundance Film Festival 2020 mit dem Drama „The Nest – Alles zu haben ist nie genug“ auf der großen Bühne zurück. Endlich, möchte man sagen angesichts eines Films, der auf untergründig brodelnde Weise beschreibt, wie ein von Wohlstand und Ansehen besessener Unternehmer den Zusammenhalt seiner Familie riskiert.

Erneut beweist der Regisseur ein gutes Händchen, was die Besetzung seiner Hauptfigur betrifft. Jude Law verleiht dem Ehrgeizling Rory O’Hara eine enthusiastisch-charmante Seite und transportiert auch seine destruktive Verbissenheit und seine Arroganz mit der notwendigen Überzeugungskraft. Sich von diesem Mann blenden zu lassen, erscheint durchaus plausibel. Hat man allerdings einmal hinter die Fassade geschaut, ist die Erschütterung über seine Geltungssucht, seinen Egoismus und seine Bereitschaft, den großen Traum mit Lügen aufrechtzuerhalten, umso größer. Durkin, aus dessen Feder wie schon im Fall von Martha Marcy May Marlene das Drehbuch stammt, setzt seinem Publikum einen unbequemen Protagonisten vor, an dem man sich trefflich reiben kann.

Mit seiner amerikanischen Ehefrau Allison (Carrie Coon), ihrem gemeinsamen Sohn Ben (Charlie Shotwell) und seiner Stieftochter Sam (Oona Roche) führt der in England geborene Rory in den 1980er Jahren eigentlich ein sorgenfreies, finanziell abgesichertes Leben in einer typischen US-Vorstadt. Das, was er bisher erreicht hat, ist dem Geschäftsmann allerdings nicht genug. Irgendwie fühlt er sich gefangen in einer festgefahrenen Situation und eröffnet seiner Gattin eines Morgens nach dem Aufwachen, dass er mit ihr und den Kindern in seine Heimat ziehen wolle. Dort, so bekräftigt er, warte eine riesige berufliche Chance auf ihn, die er unbedingt ergreifen müsse. Allison kann sich mit diesem Vorschlag nur schwer anfreunden, stellt sich seinen Plänen dann aber doch nicht in den Weg.

In England angekommen, beziehen die O’Haras ein altes Gutshaus, dessen ausladendes Grundstück sogar Platz für ein Gestüt bietet, um das sich die Pferdeliebhaberin Allison kümmern kann. Nicht lange nach der Ankunft zeigen sich allerdings erste kleine Risse in der vermeintlichen Idylle. Während Rory alles versucht, um den Karriereturbo zu zünden, wird der Rest der Familie mit der neuen Umgebung nicht richtig warm.

Durkins präziser Blick für das aufsteigende Unwohlsein manifestiert sich bereits während einer geschäftlichen Party, auf der Rorys Rückkehr gefeiert wird. Unentwegt schaut die Kamera Allison ins Gesicht und dokumentiert dabei ihren allmählichen Stimmungswandel. Sieht sie anfangs noch erfreut aus, schleicht sich zunehmend ein nachdenklicher Ausdruck in ihre Miene, bis sie regelrecht zu erstarren scheint. Der Beginn einer Abwärtsspirale, die nicht von plakativen Eskalationen lebt, sondern von einer langsamen, aber stetigen, musikalisch zurückhaltend begleiteten Zersetzung. Thrillerspannung im konventionellen Sinne sollte man nicht erwarten. In den Bildern macht sich aber oft ein beunruhigendes Knistern breit, das sich vor allem aus einer Frage speist: Ist der Ehemann und Vater, der sich dem kapitalistischen Geist des Mehrs verschrieben hat, in seiner Selbstverwirklichung bereit, seine Familie zu opfern?

Eine tragende Rolle im Prozess der Entfremdung kommt dem riesigen Haus zu, das Rory mit seinen Liebsten bezieht. Schweres Holz und braune Farben bestimmen das neue Domizil, das mit der Zeit einen immer bedrückenderen Charakter annimmt. Von einem geborgenen Nest, einem wärmenden Zufluchtsort kann nicht die Rede sein. Vielmehr wirkt die Villa, die manchmal an das Setting eines Spukhausfilms erinnert, kalt und gespenstisch leer.

Kleine Ausflüge ins Küchenpsychologische kann man The Nest – Alles zu haben ist nie genug leicht verzeihen, da die Handlung zumeist erfreulich unberechenbar bleibt, neben Jude Law auch Carrie Coon stark aufspielt und das überraschend leise Ende Stoff zum Diskutieren bietet.

The Nest - Alles zu haben ist nie genug (2020)

Das Leben eines US-amerikanischen Unternehmers und seiner Familie beginnt sich zu verändern, nachdem sie in den 1980er Jahren in ein englisches Herrenhaus gezogen sind. Die isolierte Umgebung und der teure Lebensstil ziehen sie auseinander.

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