Log Line

An der Schwelle zum Erwachsenenleben leisten jährlich Tausende junger Mormoninnen und Mormonen einen Missionsdienst fern von Zuhause ab. Ihr Aufenthalt in der ziemlich säkularen Gesellschaft Finnlands wird für die vier Amerikaner*innen, die dieser Film begleitet, zur krisenhaften Erfahrung.

The Mission (2022)

Eine Filmkritik von Bianka Piringer

In die Fremde mit dem Buch Mormon

Sie ziehen die Blicke auf sich, in der U-Bahn, auf den Gehsteigen: Junge Männer mit Krawatten und schwarzen Namensschildern auf ihren weißen Hemden, die aussehen wie Kongressteilnehmer. Ihre weiblichen Pendants sind in züchtige Röcke oder Kleider gewandet. Wer keine Lust hat, sich in ein Gespräch über das gottgefällige Leben verwickeln oder gar religiös bekehren zu lassen, macht reflexhaft einen Bogen um diese Leute. Aber wie geht es ihnen selbst, wenn sie, noch keine 20 Jahre alt, in der Fremde ihren Missionsdienst für die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage leisten und tagtäglich auf desinteressierte, abweisende Mitmenschen stoßen?

Zum ersten Mal hat die mormonische Glaubensgemeinschaft einem Filmteam erlaubt, junge Leute während ihrer gesamten Missionszeit zu begleiten. Der Dokumentarfilm von Tania Anderson bietet Einblicke in eine Welt, die sich Außenstehenden sonst entzieht. Die religiöse Gemeinschaft schickt jedes Jahr rund 60.000 ihrer jungen Mitglieder hinaus in die Welt, um ihr Evangelium zu verkünden. Anderson, die in Finnland lebt, begleitet vier junge Amerikaner*innen – zwei Männer und zwei Frauen – während ihres Aufenthalts in Finnland, der mindestens 18 Monate dauern soll. Vorher hat sie beobachtet, mit welchen Hoffnungen sie von daheim aufbrechen, wie sie sich von ihren Familien verabschieden, wie sie wenige Sätze in finnischer Sprache auswendig lernen, die sich in der neuen Umgebung rasch als völlig unzureichend erweisen. 

Die Teenager*innen wirken fröhlich, von Aufbruchstimmung beseelt, aus ihren Voice-Over-Kommentaren spricht Hoffnung. Die Regisseurin tritt nicht in Erscheinung und es gibt keine Statements Dritter vor der Kamera. So werden interessante Fakten eher beiläufig in den beobachteten Gesprächen eingestreut: Die Familien müssen für den Missionsdienst finanziell aufkommen. Auf diesen Meilenstein im durchgeplanten mormonischen Leben soll bald der nächste folgen — die Eheschließung. Da stehen dann diese stets freundlich lächelnden Menschen, die Optimismus ausstrahlen sollen, in der finnischen Kälte auf der Straße einer Ortschaft, die sie kaum aussprechen können. Pflichtgemäß treten sie auf die wenigen Leute zu, die ihnen begegnen: „Hallo, wie geht’s?“ Bald macht sich Ernüchterung breit, den ratlosen Mienen ist deutlich anzumerken, dass die Missionar*innen nicht auf das Desinteresse vorbereitet waren, dass ihnen entgegenschlägt. 

Was könnten junge Leute, deren Aufgabe sich als pures Schwimmen gegen den Strom erweist, denn tun, um den Aufenthalt besser durchzustehen? Vielleicht mit Leuten einfach so ins Gespräch kommen, in die Sauna gehen oder sich ins kulturelle Leben stürzen? Das ist den Missionar*innen nicht erlaubt, ihr Regelwerk ist erschreckend restriktiv: Sie müssen in gleichgeschlechtlichen Zweierteams, die regelmäßig neu gemischt werden, ein Zimmer bewohnen, Tag und Nacht beisammen bleiben. Häufiges Beten ist erwünscht, nur kirchliche Musik erlaubt, Internet gar nicht, der Kontakt zu Familie und Freunden auf einmal die Woche beschränkt. Die Härte dieses Auslandsaufenthalts bekommt den Charakter einer Initiationsprüfung. Alle scheinen in eine persönliche Krise zu geraten,  aber niemand will über sein Unglück lamentieren. Einer der beiden Männer steigt in dieser Zeit in der Hierarchie auf, der andere wird ernsthaft psychisch krank und vorzeitig heimgeschickt. Die beiden Frauen versuchen, fröhlich zu bleiben, die eine singt oft zur Gitarre. Ab und zu gelingt es den jungen Leuten auch, ihrer Kirche neue Mitglieder zuzuführen, die zur Taufe in ein gefliestes Wasserbecken steigen. Nach der Heimkehr hören einige Protagonist*innen, sie seien nun ernster, gefestigter im Glauben – ein kirchlicher Betreuer sagt auch, dass eine derartige Selbstmissionierung zum Programm gehöre. 

Der Film weckt Empathie für die jungen Missionar*innen, die ja nicht nur überfordert, sondern auch harmlos und gutherzig wirken. Einmal lädt eine finnische Familie zwei Missionarinnen, die an der Tür klingelten, zum Gespräch ins Wohnzimmer. Dort bekommt sie unter anderem zu hören, dass Jesus Christus seinerzeit auch das alte Amerika besucht habe. Wie eigenwillig das Gedankengebäude dieser religiösen Gemeinschaft ist, wie prekär die Bevormundung ihrer Mitglieder werden kann, wird hier immer wieder nur gestreift oder angedeutet. Vermutlich gehörte der Verzicht auf Kritik zu den Voraussetzungen für die Dreherlaubnis. 

Anderson geht aber auch nicht vertiefend in die Etappen hinein, die ihre Protagonist*innen emotional durchlaufen. Sie springt in ihren Beobachtungen mal hierhin, mal dorthin, nimmt auch weitere Missionar*innen ins Visier, kehrt in kurzen Szenen zu den Hauptpersonen zurück, die nun in einer anderen Stadt, mit anderen Gefährt*innen durch die Straßen ziehen und an Türen klingeln. So bleiben die Einblicke letztlich begrenzt, aber intensiv genug, um das Publikum zu berühren. Vielleicht werden einige Zuschauer*innen das nächste Mal nicht mehr achtlos an den jungen Leuten mit den schwarzen Namensschildern vorbeigehen, sondern ihnen zumindest ein wenig freundliche Aufmerksamkeit schenken — wissend, wie gut ihnen das in ihrer angespannten Lage tut.

The Mission (2022)

Jedes Jahr werden über 60 000 Missionare der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (LDS, meist als Mormonen bezeichnet) in die ganze Welt geschickt, um ihr Evangelium zu verkünden. Der Dokumentarfilm folgt vier amerikanischen LDS-Teenagern, die von Gott einen Auftrag erhalten haben, der sie von ihren Familien und der Sicherheit ihrer abgelegenen, von Religion erfüllten Blasen in die eisigen, bewaldeten Gebiete Finnlands führt, der Heimat der am wenigsten religiösen, verschlossensten und skeptischsten Menschen in Europa.

Die Reise, die sie antreten, wird sich als die emotional und psychologisch schwierigste Zeit ihres jungen Lebens erweisen. Während diese großäugigen, leidenschaftlichen Teenager mit dem Fehlen ihrer Familien, sprachlichen Hürden, schmerzenden Füßen und täglicher Ablehnung zu kämpfen haben, werden sie über ihre Grenzen hinausgetrieben und fallen immer tiefer in ihren Glauben. (Quelle: UCM.ONE)

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen