The King of Pigs

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Coming of (R)age

Die Schulzeit kann einem Aufenthalt in der Hölle gleichkommen. Diese Tatsache wurde bereits in zahllosen fiktionalen Werken thematisiert: in Theaterstücken (etwa in Frank Wedekinds Frühlings Erwachen aus dem Jahre 1891), in Romanen (z.B. in Robert Musils Die Verwirrungen des Zöglings Törleß von 1906) – und natürlich in Filmen (beispielsweise in Volker Schlöndorffs Musil-Adaption Der junge Törless aus den 1960er Jahren oder in Brian De Palmas Carrie von 1976, Mikael Håfströms Evil von 2003 sowie Tetsuya Nakashimas Geständnisse von 2010, bei denen es sich wiederum ebenfalls um Literaturbearbeitungen handelt).
In diese Reihe von überaus düsteren Geschichten des Heranwachsens gehört auch Sang-ho Yeons Animationsdrama The King of Pigs. Was diesen Film noch erschütternder macht als viele der anderen, ist die Erkenntnis, dass besagter Höllenaufenthalt mit dem Schulabschluss keineswegs beendet sein muss. Während der erwachsene Törleß bei Musil in einer Rückschau von einer abgeschlossenen Entwicklung spricht und daher meint, dass alles, was in der Pubertät geschehen sei, entschuldigt ist, zeigt Yeon ganz schonungslos auf, dass aus verstörten, gewalttätigen Kindern verstörte, gewalttätige Erwachsene werden können. Der koreanische Regisseur und Autor vermittelt dies mit so viel Härte, Wut und Wucht, dass man die Rezeption von The King of Pigs als „Extremerfahrung“ bezeichnen muss – eine Extremerfahrung, die sich, wohlgemerkt, vollauf lohnt.

Die Erzählung vollzieht sich auf zwei Ebenen. In der filmischen Gegenwart erhält der Ghostwriter Jong-suk einen überraschenden Anruf von seinem Kindheitsfreund Kyung-min, mit dem er seit etlichen Jahren keinen Kontakt mehr hatte. Die beiden Männer treffen sich in einem Lokal und lassen die Vergangenheit Revue passieren. Als Kinder wurden sie zur Mobbing-Zielscheibe von älteren, stärkeren Mitschülern (aus wohlhabenderen Familien) und mussten Hohn und Spott, Erniedrigungen und Brutalität über sich ergehen lassen – bis ihnen plötzlich ein unerwarteter Verteidiger zur Seite stand: Mit rabiaten Methoden schüchterte der undurchsichtige Chul die aggressiven Drangsalierer ein. Bald jedoch nahm Chuls Wunsch nach Vergeltung allzu monströse, obsessive Züge an. In den Szenen der Jetztzeit wird klar, dass zwischen Jong-suk und Kyung-min manches unausgesprochen blieb – und dass dies nun in aller Heftigkeit hervorzubrechen droht.

Yeon entwirft – sowohl in den Momenten der Gegenwart als auch in denen der Vergangenheit – eine inhumane Albtraumwelt ohne Ausweg: Die Adoleszenz erscheint als Abfolge schmerzhafter Ereignisse (im körperlichen sowie seelischen Sinne), die Schule ist ein hierarchisch strukturierter Ort mit absurden Regeln – und das „Leben danach“ lässt keine Loslösung zu, da die Wunden zu tief und der entstandene Zorn zu unbändig sind. Die Gesichter der Figuren verziehen sich immer wieder zu abscheulichen Fratzen, die von Frustration, Trauer und Hass erzählen und das Animalische zum Vorschein bringen. Gelegentlich geht der Leidensweg von Jong-suk und Kyung-min mit Horrorfilm-artigen Wahnvorstellungen einher: Die Toten sprechen zu den (Über-) Lebenden, verlachen ihre Qual, ihre Angst und ihre Hoffnungen. Als Zuschauer wird man rasch in diese Finsternis hineingezogen – und findet letztlich nur äußerst schwer wieder heraus. Sehr eindrucksvoll!

The King of Pigs

Die Schulzeit kann einem Aufenthalt in der Hölle gleichkommen. Diese Tatsache wurde bereits in zahllosen fiktionalen Werken thematisiert: in Theaterstücken (etwa in Frank Wedekinds „Frühlings Erwachen“ aus dem Jahre 1891), in Romanen (z.B. in Robert Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“ von 1906) – und natürlich in Filmen.
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