The International (2009)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Berlinale 2009: Wettbewerb (Außer Konkurrenz)

Selten hatte ein Festivalchef wohl so ein glückliches Händchen bei der Auswahl des Eröffnungsfilms wie Dieter Kosslick in diesem Jahr: Denn The International ist so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau unter den Filmen der Berlinale. Er hat einen renommierten deutschen Regisseur – Berliner noch dazu -, internationale Stars wie Clive Owen und Naomi Watts, deutsche Edelmimen wie Armin Mueller-Stahl und Axel Milberg, er vereint Action im Stile von Michael Mans Heat mit visueller Brillanz, versöhnt das politisch Anspruchsvolle und Brandaktuelle mit großem Massenappeal. Und setzt zugleich Berlins neuem Hauptbahnhof in einer eindrucksvollen Anfangsszene ein erstes filmisches Denkmal. Na dann ist ja alles bestens. Oder vielleicht doch nicht?

Die Geschichte ist schnell erzählt und eigentlich recht simpel: Schon seit Jahren ist der Interpol-Fahnder Louis Salinger (Clive Owen) den kriminellen Machenschaften der luxemburgischen Großbank IBBC auf der Spur. Seine Vermutung: Die Bank mischt im großen Stil bei Waffenhandel, Geldwäsche und allerlei sonstigen Schweinereien mit. Das Problem ist dabei nur, dass Salinger nichts Greifbares gegen den Vorstandschef der Bank Jonas Skarssen (Ulrich Thomsen) in der Hand hat. Denn jeder Informant, der bereit ist, gegen die Bank auszusagen, wird entweder ermordet oder verschwindet spurlos. Auch dieses Mal scheint Salinger wieder das Nachsehen zu haben. Nach einem konspirativen Treffen mit dem IBBC-Manager André Clement stirbt ein Mitarbeiter vor Salingers Augen, ohne dass dieser eingreifen kann. Und klar, dass auch der Informant schon bald tot in seinem Wagen aufgefunden wird. Doch dieses Mal lässt der desillusionierte Interpol-Fahnder nicht locker. Gemeinsam mit der New Yorker Staatsanwältin Eleanor Whitman (Naomi Watts) macht er sich auf die Suche nach dem Mörder und mehrmals entgehen die beiden dabei selbst nur knapp dem Tod. Doch immer wieder stoßen sie gegen Mauern und geraten an die Grenzen der Legalität. Bis Salinger sich dazu entschließt, diese zu überschreiten, um die skrupellosen Finanziers von Kriegen endlich dingfest zu machen…

Mit seinem neuen Film scheint Tom Tykwer endgültig in Hollywood angekommen zu sein. In einigen Szenen knüpft er nahtlos an den großen Alfred Hitchcock und an die grandiosen Verschwörungsfilme der Siebziger, namentlich an die von Alan J. Pakula wie Zeuge einer Verschwörung / The Parallax View (USA, 1974) oder andere Werke wie Der Marathon Mann / Marathon Man von John Schlesinger an. Was, wie Tykwer selbst zugibt, auch die Vorbilder für The International waren. Mit einem erheblichen Unterschied: Seit dem Ende des Kalten Krieges haben sich die Vorzeichen und damit auch die Feinde geändert. Statt finsterer Politschurken und korrupter Geheimdienste sind es nun die smarten Banker, die hinter den Kulissen die Fäden ziehen und deren einzige Ideologie das Geld ist. Betrachtet man die Ereignisse der letzten Monate, von denen viele Menschen glauben, dass sie lediglich die Spitze des Eisberges sind, ist die ganze Geschichte um Waffenverkäufe und um die Kontrollwut abgefeimter Finanzjongleure plötzlich gar nicht mehr so unwahrscheinlich. Und wenn der italienische Politiker und Industrielle Umberto Calvini (Luca Barbareschi) erklärt, worum es wirklich bei dem Geschäft mit Waffen geht – nämlich darum, über die angehäuften Schulden Kontrolle über Staaten und Menschen zu bekommen, dann kann einem angesichts der milliardenschweren Konjunkturpakete Angst und Bange werden.

Optisch vertraut Tykwer abermals auf das geschulte Auge seines Stamm-Kameramannes Frank Griebe, dem zwischen den Action-Sequenzen immer wieder atemberaubende Bilder gelingen. Drehbewegungen, die die Abwärtsspirale verdeutlichen, in der sich alle Beteiligten befinden, häufige Vogelperspektiven auf Menschenmengen, in denen Salinger den Überblick zu verlieren droht (und mehrmals sagt er auch „I am a little bit confused“), der Blick über die Dächer Istanbuls, die sich plötzlich wie ein Ozean vor dem Zuschauer ausbreiten – das sind die typischen Szenen, an denen man Griebes Kameraarbeit erkennt. Auch bei der Filmmusik vertraut Tykwer auf bekannte Namen aus seinem Umfeld: Reinhold Heil und Johnny Klimek (Der Krieger und die Kaiserin, Heaven, Lola rennt) schaffen einen atmosphärischen Score, der die allgegenwärtige Bedrohung auch akustisch erfahrbar werden lässt.

Auch wenn die Ermittlungen von Salinger und Whitman und damit die Story manchmal auf reichlich einfache Weise vorangetrieben werden – wenn etwa die Schussbahn nach dem Attentat auf Calvini mittels zweier Plastikröhrchen rekonstruiert wird – so versinkt The International trotz einer ausgedehnten Schießerei in der Rotunde des Guggenheim-Museums in New York und vielen Litern Kunstblut nicht in hektischer Action, sondern bleibt bis zum Schluss spannend und bietet zahlreiche Aha-Momente zu gegenwärtigen Missständen auf. Dies verbunden mit Griebes außerordentlicher Kamerakunst macht aus The International zwar beileibe keinen Überfilm, aber doch einen äußerst geradlinigen Thriller, bei dem einzig stört, dass man so wenig über die Hauptfigur Louis Salinger erfährt. Vielleicht kommt darüber ja mehr in The International II

Wer den Film und sein Zustandekommen, seine bunt gemischte Crew aus Deutschen und internationalen Stars und die Drehorte wie Berlin, Istanbul, New York und Mailand genauer unter die Lupe nimmt, dem bleibt eines nicht verborgen: Nicht nur die undurchsichtigen Machenschaften der Banker und Geldwäscher, sondern auch die sichtbaren Ergebnisse von Filmteams wie jenem um Tom Tykwer sind Produkte einer globalisierten Welt. Und das ist zumindest ein kleiner Trost bei diesem Film, der keinen Hehl daraus macht, dass jeder Sieg gegen ein krankes und zutiefst kriminelles Finanzsystem nur ein Kampf gegen eine vielköpfige Hydra ist. Überträgt man das wiederum auf die Filmindustrie, scheinen uns in den nächsten Jahren noch einige Filme wie The International ins Haus zu stehen. Und das ist eigentlich keine schlechte Nachricht.
 

The International (2009)

Selten hatte ein Festivalchef wohl so ein glückliches Händchen bei der Auswahl des Eröffnungsfilms wie Dieter Kosslick in diesem Jahr: Denn The International ist so etwas wie die eierlegende Wollmilchsau unter den Filmen der Berlinale.

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